Wir finden es selbstverständlich, dass Produkte und Dienstleistungen permanent so optimiert werden, dass wir sie noch einfacher bedienen und noch schneller in Anspruch nehmen können. Warum funktioniert das eigentlich ausgerechnet beim Sozialstaat nicht?
Wir haben uns daran gewöhnt und erwarten, dass Produkte und Dienstleistungen in unserem Alltag bequem, schnell und ganz nach unseren Wünschen funktionieren: Der Fahrkartenautomat zeigt sein Angebot in der passenden Sprache, damit wir unseren Fahrschein ziehen können, bevor der nächste Bus kommt. Die Bedienung im Restaurant ist freundlich und zuvorkommend, das Essen ansprechend drapiert. Das Smartphone gibt uns eine Empfehlung für die schnellste Route zum Ziel...
Alles um uns herum bemüht sich um optimale Nutzerfreundlichkeit. Warum scheint ausgerechnet der Staat davon noch nichts mitbekommen zu haben?
Schonungsloser Wettbewerb
Was dem Prinzip Nutzerfreundlichkeit in der Wirtschaft zugrunde liegt, ist offener, schonungsloser Wettbewerb: Wir entscheiden uns für das Produkt oder die Dienstleistung, die unsere Wünsche im richtigen Maß antizipieren, die uns wohlwollend behandeln und uns als Menschen mit unseren unterschiedlichen Bedürfnissen ansprechen. Dann sind wir zufrieden, bleiben dem Produkt oder der Dienstleistung treu, geben Trinkgeld, kaufen den Fahrschein.
Ist umgekehrt die Kommunikation undurchsichtig und unfreundlich oder dauert ein Handlungsschritt zu lang, wechseln wir radikal zur Konkurrenz. Weil es meistens mindestens eine Alternative gibt, haben wir als Verbraucher*innen die Macht darüber zu entscheiden, wie wir behandelt werden möchten und wie nicht.
"Zwischen den Zeilen sendet der Sozialstaat eine Nachricht: Misstrauen."
Beim Sozialstaat fehlt uns diese Macht. Hier können wir nicht einfach den Anbieter wechseln, selbst wenn seine Ansprache und Anliegen teilweise noch so unsinnig sind. Entsprechend zynisch, verärgert und verzweifelt fallen unsere Reaktionen aus. Sie sind vor allem auch das Ergebnis einer Nachricht, die zwischen den Zeilen steht: Misstrauen.
Wie man in den Wald hineinruft...
Getreu dem Motto “Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus”, ist unser Verhalten das Ergebnis wechselseitiger verbaler und non-verbaler Kommunikation. Wenn wir im Restaurant freundlich empfangen werden und den Vertrauensvorschuss spüren, dass wir schon nicht kleckern werden, dann sind wir viel motivierter, uns entsprechend zu verhalten. Seine Erwartungshaltung an uns muss das Restaurant dann gar nicht als "Bitte nicht kleckern!"-Schild an die Eingangstür kleben – wir erfüllen sie ganz automatisch.
Und doch verhält sich der Sozialstaat genau umgekehrt: In allen Details ausformulierte Verbote weisen den Menschen in oft unnötig starke Schranken, Mahnungen und Sanktionen triefen vor Misstrauen. Das ist auf zwei Ebenen problematisch: Erstens begegnen wir dem Staat dadurch mit mindestens ebenso großem Misstrauen. Zweitens laufen wir Gefahr, genau die Erwartung der Unfähigkeit zu erfüllen, wie sie der Staat uns unterstellt.
Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die aber allein den Maßnahmen dieses Paternalismus geschuldet ist. Das beste Beispiel: Die (angedrohten) Sanktionen im Hartz IV-System führen die Menschen mitnichten in vielversprechende Arbeitsverhältnisse, sondern sie schüchtern ein, machen klein und rauben den letzten Ehrgeiz.
Fordern und fördern = Fördern und fordern?
Oft wird behauptet, das Bedingungslose Grundeinkommen wolle den Sozialstaat abschaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Der heutige Sozialstaat ist eine beeindruckende Errungenschaft, aber ein extrem teures Unterfangen, wenn wir uns vor Augen führen, dass Misstrauen und Desinteresse jede positive Wirkung seiner Ausgaben schmälert.
Bedingungslosigkeit ist die Chance, mit jedem Euro genau die Wirkung zu erzielen, die für jede*n Einzelne*n gut ist und damit auch für eine Gesellschaft, in der wir uns vertrauen und unterstützen. Ein wichtiger Schritt ist die Umkehrung des Mantras “Fordern und Fördern”: Wir müssen anfangen, die Menschen zuerst zu unterstützen, sowohl finanziell als auch in der Ansprache.
Bedingungslosigkeit bedeutet nicht die Abschaffung, sondern die Geburt eines neuen, nutzerfreundlichen Sozialstaates.
Die Idee des nutzerfreundlichen Sozialstaats ist Teil unseres Bestsellers „Was würdest du tun?“, der als Buch im Econ Verlag und als Hörbuch im Argon Verlag erschienen ist.