Soziale Ungleichheit endet nicht mit dem Rentenbeginn. Im Gegenteil: Armut im Alter wird immer schlimmer. Junge Menschen verschließen davor gerne die Augen. Jannes schaut hin.
Die Rentenfrage zu stellen ist in meinem Alter ehrlich gesagt ziemlich uncool. Ich bin 26 Jahre alt und habe seit noch nicht einmal fünf Jahren einen richtigen Job. Soll ich mir schon am Anfang meiner so genannten Karriere den Kopf über die Zeit danach zerbrechen? Wir Menschen in unseren Zwanzigern leben eben im Jetzt.
Warum schreibe ich trotzdem über Altersvorsorge und Altersarmut? Darauf kann ich nur eine wirklich privilegierte Antwort geben: Weil ich es kann.
Ich muss noch nicht an morgen denken – aber ich kann. Das ist ein riesiger Unterschied. Ich habe gerade keine Existenzängste, mir fällt es leicht, jenseits von Stigma und Scham über etwas zu schreiben, von dem ich selbst nicht betroffen bin.
In unserer Serie Das Thema beleuchten wir diesmal Die soziale Spaltung. Wie sehr bestimmen Armut oder Reichtum unser Leben – und können wir diese Spaltung irgendwie überwinden? Diskutiere mit und abonniere unseren Newsletter, um nichts zu verpassen.
Die gesetzliche Rente ist für meine Generation tot
Viele Menschen können gar nicht an morgen denken, weil in ihrem Heute einfach nie etwas zum Zurücklegen übrig bleibt. Wer ins Ungewisse blickt, bekommt Angst – das betrifft übrigens auch schon Menschen in ihren Zwanzigern! Und wer Altersarmut bereits bei den eigenen Großeltern miterlebt, bei dem wird aus Angst schnell Panik.
Der Niedriglohnsektor wächst, das Rentenniveau sinkt. Mal ernsthaft, die gesetzliche Rente ist für meine Generation tot. Wir müssen uns selbst um unsere Altersvorsorge kümmern. Die Menschen, die es sich leisten können, sorgen vor und freuen sich auf ihren Lebensherbst. Die das nicht können, bleiben für immer abhängig – und arm.
Diese Menschen blicken mit geschlossenen Augen in eine Zeit der Abhängigkeit, jenseits der Selbstbestimmung. Sie arbeiten im Rentenalter weiter, stocken mit Grundsicherung auf oder gehen Pfandflaschen sammeln, um ihren Enkeln ein Geburtstagsgeschenk kaufen zu können.
Mir wird klar, Altersarmut ist nicht so weit weg, wie ich dachte. Alter hat viel mehr mit sozialer Spaltung zu tun, als ich vermutet habe. Zwei Fragen beschäftigen mich: Wird man arm, wenn man alt ist? Und: Wird man (überhaupt) alt, wenn man arm ist?
Fast jede*r Fünfte im Rentenalter ist arm
Das Armutsrisiko in Deutschland ist aktuell auf ein Rekordniveau gestiegen, das haben wir in unserer Analyse zur sozialen Spaltung gezeigt. Mit Abstand am stärksten betroffen sind Rentner*innen. Ihre Armutsquote stieg von 2006 bis 2020 um unfassbare 66 Prozent: zwei Drittel mehr arme alte Menschen! Mittlerweile ist fast jede*r Fünfte im Rentenalter von Armut betroffen, jede zweite Rente liegt unter 900 Euro.
Seit 2003 hat sich außerdem die Anzahl älterer Menschen, die Grundsicherung beziehen, fast verdoppelt: Über eine Million Rentner*innen müssen ihre Rente mit Grundsicherung aufstocken. Die Scham, zum Sozialamt zu gehen, ist sehr groß, so dass zusätzlich eine hohe Dunkelziffer wahrscheinlich ist.
Sozialer Status und Lebenserwartung hängen zusammen
Gesundheit und sozialer Status sind unbekannte Zwillinge. Die soziale Spaltung unserer Gesellschaft lässt sich nämlich extrem gut an der Lebenserwartung ablesen. Oder plakativer: Der Tod ist eine extreme Ausprägung sozialer Ungerechtigkeit.
Frauen trifft es im Alter besonders hart: Die Gender Pension Gap gibt die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen im Alter an. Im europäischen Durchschnitt beziehen Frauen 28 Prozent weniger Rente oder Pension. Deutschland belegt mit großem Abstand den unrühmlichen ersten Platz der Ungleichheit: Bei uns haben Frauen im Rentenalter sogar 45 Prozent weniger Einkommen als Männer.
Fakt ist: Arme Menschen werden weniger alt und alte Menschen werden zunehmend ärmer. Außerdem trifft Altersarmut Frauen besonders hart. Ich bin weder alt noch eine Frau, aber Stand heute wird mein Einkommen im Alter auch nicht besonders üppig sein. Doch bis dahin kann ja noch so viel passieren.
Bis dahin sollte vor allem aber auch viel passieren.
Zeit für neue Antworten
Jetzt mal ehrlich: Das geht doch besser. Ich möchte einfach nur alt werden, ohne mir Sorgen machen zu müssen. Vor allem aber will ich mir auch um alle anderen keine Sorgen machen müssen. Absicherung im Alter darf nicht länger Luxus sein.
Als vor über einhundert Jahren das staatliche Rentensystem eingeführt wurde, hat man sich vor allem eine gute Frage gestellt: Wie kann man Menschen im Alter absichern? Diese Frage wird wieder lauter und sie braucht neue Antworten.
Eine Antwort könnte das Grundeinkommen sein. Wie wäre es, wenn wir es einfach mal ausprobieren? Damit wäre die Spaltung in Menschen über und unter dem Existenzminimum Vergangenheit. Und wir würden dafür sorgen, dass alle an der Gesellschaft teilhaben können, egal wie alt sie sind.
Ich finde, wenn wir als Gesellschaft es uns nicht mal leisten können, in Würde alt zu werden, brauchen wir uns die Frage nach sozialer Gerechtigkeit gar nicht erst zu stellen.
Was denkst du? Fühlst du dich gut fürs Alter abgesichert? Schreib es uns in die Kommentare. Wir freuen uns auf deine Meinung!
355.623
Menschen haben bisher
1.897
Grundeinkommen finanziert