Nirgends zeigt sich soziale Spaltung aktuell so plastisch wie auf dem Mietmarkt. Alle brauchen ein Zuhause – aber wer bekommt’s? Malina hat David und Anneke in den Kampf ums Wohnen begleitet.
“Wir haben jetzt alle Unterlagen zusammen”, verkündet David. Vorfreude auf die nun beginnende Wohnungssuche steht ihm nicht gerade ins Gesicht geschrieben. Seine Freundin Anneke ergänzt: “Wir haben beide bewusst unseren zweiten Vornamen mit angegeben, weil die auch so deutsch klingen.” Es ist ihnen merklich unangenehm.
Für die nächsten Wochen bin ich immer mittwochs mit Anneke und David verabredet. Zu Coronazeiten nur digital, versteht sich. Jede Woche wollen mir die beiden erzählen, wie ihre Wohnungssuche läuft.
Was wird ihnen begegnen? Auf welche Hindernisse werden sie stoßen? Und werden sie am Ende ein neues Zuhause gefunden haben?
Nicht nur Anneke und David suchen in Berlin eine neue Wohnung. Im Schnitt erhalten Vermieter*innen fast 140 Anfragen auf ein Wohnungsinserat. Deutschlandweit zieht jede*r durchschnittlich viereinhalb Mal im Leben um. Übrigens aus unterschiedlichen Beweggründen je nach Lohnlage: Haushalte mit niedrigem und hohem Einkommen häufiger wegen des Jobs, mittlere Einkommen der Liebe zuliebe.
Bei Anneke und David kommt die Verschärfung durch die Pandemie schon bei unserem ersten Treffen zur Sprache: “Ohne Corona wärest du im Büro und ich in der Bibliothek, dann hätten wir die Problematik mit dem Platz nicht so”, meint Anneke und guckt David trotzdem warmherzig von der Seite an.
In unserer neuen SerieDas Themabeleuchten wir diesmalDie soziale Spaltung. Wie sehr bestimmen Armut oder Reichtum unser Leben – und können wir diese Spaltung irgendwie überwinden? Diskutiere mit undabonniere unseren Newsletter, um nichts zu verpassen.
David und Anneke sind beide 27. Anneke schreibt an ihrer Masterarbeit und David gestaltet die Website von Mein Grundeinkommen. Nach dem Frühstück funktionieren sie den Küchentisch zum Arbeitsplatz um, auch das Schlafzimmer muss regelmäßig dafür herhalten.
Anneke zog in Davids Wohnung, weil es in ihrer Wohnung zwar Schimmel, aber keine sich darum kümmernde Hausverwaltung gab. Für zwei ist die Wohnung von David aber eigentlich zu klein. Sie suchen: 2,5 Zimmer/Küche/Bad. Ein Balkon wäre schön, aber den Wunsch haben sie in vorauseilender Hoffnungslosigkeit eigentlich schon abgehakt.
Noch während ich für diesen Magazinbeitrag recherchiere, macht ein beklemmendes Urteil die Runde durch die tagespolitischen Nachrichten: Der Berliner Mietendeckel wurde gekippt. Mit ihm wollte der Berliner Senat per Gesetz die Mieten absenken und begrenzen.
Auch wenn der Mietendeckel ein Berliner Ding war, strahlte er doch ein hoffnungsvolles Signal an weitere Orte mit exorbitanten Mietsteigerungen. Diese Hoffnung ist nun erstmal passé. In Berlin konzentrieren sich Mietaktivist*innen nun auf die Möglichkeit, die größten Vermieter*innenkonzerne zu enteignen.
Was sagt ein Vermieter zur Mietmarkt-Misere?
“Es wird einfach nichts angeboten”, stellt David ernüchtert fest. Gemeinsam mit Anneke fragen wir uns: Werden fast alle Wohnungen unter der Hand vergeben, sodass keine mehr für den Mietmarkt übrig bleibt? Gibt es einen Schattenmarkt?
Um diese Frage zu klären, nehme ich Kontakt mit Uwe L. aus Hamburg auf. Ihm gehören 20 Wohnungen in der Hansestadt. Er sagt, dass ihm gut ein Drittel der neuen Mieter*innen von befreundeten Immobilienbesitzer*innen empfohlen oder von den Ausziehenden als Nachmieter*innen vorgeschlagen werden.
“Heute hab’ ich mit einem neuen Mieter telefoniert. Das ist der Bruder von der Frau, die auszieht. Sie hat ihre Miete immer pünktlich gezahlt. Ihr Bruder arbeitet als Augenoptiker, da wird das auch so sein.” Uwe pickt sich die finanzstarken Mieter*innen raus. Meist macht die Miete maximal 20 Prozent ihres Einkommens aus.
Dass für viele das Verhältnis von Gehalt und Miete ganz anders aussieht, weiß auch Uwe: “Manche Mieter*innen zahlen die Hälfte ihres Einkommens als Miete. Das ist schon heftig vom Lebensplan.” Er sagt das so, als wäre es eine bewusste Entscheidung.
Am Mittwoch nach Ostern stellen Anneke und David fest, dass es auch über die Feiertage ruhig auf dem Berliner Wohnungsmarkt geblieben ist. Nur eine Wohnung kommt wirklich in Frage. “Aber der Vermieter wollte, dass wir unsere Gehaltszettel in so eine Datenbank hochladen. Das kam uns komisch vor und wir haben’s lieber nicht gemacht”, erzählt Anneke.
Dominik Bloh hatte elf Jahre lang gar keine Wohnung. Er glaubt, dass niemand obdachlos bleiben muss und fordert “bedingungsloses Wohnen”. Wie soll das gehen?
Der Druck des Mietmarkts bringt viele Suchende dazu, den Vermieter*innen alles offen zu legen, von A wie Auskunft der Schufa bis Z wie Zettel mit Gehaltsangaben. Immobilienbesitzer Uwe sind vor allem die Einkommensnachweise wichtig. Seine größte Angst ist es, dass Mieter*innen die Miete nicht zahlen. “Wir müssen die Häuser ja abbezahlen können”, erklärt er und meint damit, dass Immobilienbesitzer*innen ihre Häuser oft auf Kredit kaufen.
Wie würden Vermieter*innen entscheiden, wenn es Grundeinkommen gäbe?
Ein Gedankenspiel: Das Grundeinkommen soll bedingungslos die Existenz eines*r jeden Einzelnen sichern, somit auch das Wohnen – weil ein Zuhause nun mal jede*r braucht. Es wäre sicher, dass jede*r Miete zahlen kann. Ich frage Uwe: Wonach würdest du deine Mieter*innen aussuchen, wenn alle Menschen ein Grundeinkommen hätten?
Zum ersten Mal in unserem Gespräch rechnet mir Uwe nichts vor. Es ist auch seine erste Antwort, bei der er überlegen muss. “Die Miete sollte auch dann noch pünktlich gezahlt werden. Nur weil jemand ein Grundeinkommen bekommt, heißt es ja nicht, dass er oder sie damit dann auch die Miete bezahlt.”
Ich bohre nochmal nach: Alle Menschen haben durch das Grundeinkommen ihre Miete sicher. Wem würdest du dann eine Wohnung geben? “Die Person müsste nett und freundlich sein und zu den anderen Mieter*innen im Haus passen. Ich würde eine alleinstehende Frau eher nehmen als einen ledigen Mann. Männer fangen an zu trinken, wenn sie allein bleiben. Und dann bleibt auch die Wohnung nicht in Ordnung.”
Unseren Gewinner*innen brauchen wir die Grundeinkommensfrage nicht mehr im Konjunktiv zu stellen. Sie können jetzt schon ausprobieren, wie es sich mit Grundeinkommen wohnt.
Abschließend fragt mich Immobilienbesitzer Uwe, was mein Kollege David und seine Freundin denn suchen würden. Nach meiner Antwort urteilt er: Die werden noch bis in alle Ewigkeit suchen.
Bei unserem nächsten Mittwochabend verschweige ich Anneke und David diese Prognose besser.
Was denkst du? Kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen helfen, die soziale Spaltung auf dem Wohnungsmarkt zu beenden? In unserer Umfrage zu Das Thema: Die soziale Spaltung zählt deine Meinung. Oder schreib sie uns hier in die Kommentare. Danke, dass du mitmachst!
355.623
Menschen haben bisher
1.897
Grundeinkommen finanziert