Am Ende ging es sehr schnell: Nahtlos konnte ich vom Bedingungslosen Praktikum ins Angestelltendasein wechseln. Das Bedingungslose Praktikum ist nun nicht mehr Teil meines Lebens, aber ich werde es in liebevoller Erinnerung behalten. Geschätzt habe ich es vor allem für seine offene und freiraumgebende Art. Da war es wirklich unübertroffen! Es heißt nun Abschied nehmen von einer aufrüttelnden Zeit. Noch einmal blicke ich darauf zurück, aber schaue auch, welche hinterlassenen Spuren für die Zukunft wegweisend sind.
Wie wir zusammenkamen
Wir lernten uns im Frühling letzten Jahres kennen, über eine Anzeige: Gesucht wurde ein*e Bedingungslose*r Praktikant*in. Es stand völlig frei, was, wie viel, wann und ob überhaupt gearbeitet wird. Dabei war etwas anderes sicher: 1.000 Euro am Anfang des Monats, bedingungslos.
Im Sommer zog es mich dann nach Berlin, ich hatte JA zu diesem Experiment gesagt! Recht unbedarft in diese Beziehung gestolpert, merkte ich schnell, dass unsere Begegnung alles andere als leichtfertig war, sondern vom ersten Moment an sehr intensiv.
Erinnerungen und Anekdoten
Nie werde ich vergessen, wie gut es tat, von Anfang an einen sehr ehrlichen Umgang im Team zu erfahren und von nichts ausgeschlossen zu sein. Sämtliche Informationen waren mir zugänglich: Aha, das wurde also beim Treffen vor der Verlosung diskutiert? Wie hoch waren die Kosten für die letzte Veranstaltung? Und oh, wie wurde im Team über die Bundestagswahl debattiert?
Schon vor meinem ersten Praktikumstag bekam ich den Zugang zum E-Mail-Konto. Nach und nach las ich die bereits eingegangenen Mails und stutzte plötzlich: Da stand mein Name. In dieser E-Mail war zu lesen, wie das Team mit mir während des Praktikums umgehen kann: Ich könne immer alles fragen und solle in keinster Weise unter Druck gesetzt werden. Auf den ersten Blick war es befremdlich, diese Kommunikation über mich mitzulesen. Im nächsten Moment beruhigte es mich jedoch, hier noch einmal das zu lesen, was mit mir sowieso schon besprochen worden war. Ich war also von keinen leeren Versprechungen angelockt worden!
Nur zu gut erinnere ich mich daran, wie überrascht ich war, als ich merkte, dass ich schon bei der ersten Abstimmung und bei der ersten Projektentwicklung eine völlig gleichberechtigte Stimme hatte. Nix mit “die Praktikantin schaut mal von der Seite zu”. Nix mit “nur die alten Hasen hoppeln nach vorn”. Stattdessen: Gleichberechtigung und damit einhergehende Verantwortung – wie bei allen anderen auch.
Das fiel mir gleich bei der ersten Besprechung für ein Kooperationsprojekt auf: Wir verabredeten uns außerhalb des Büros - ich fand das Thema spannend, wollte gerne dabei sein. Die zwei anderen Beteiligten aus unserem Team waren dann aber verhindert, sodass ich allein zum Treffen ging. Plötzlich war ich nicht “einfach nur dabei”, sondern in der Position Mein Grundeinkommen und unsere ersten Projektideen zu vertreten.
Ich werde wohl auch nie wieder einem Praktikum begegnen, bei dem ich so stark auf mich selber zurückgeworfen werde. Bei dem mir so viel Raum gelassen wird, meinen eigenen Weg zu finden - abgesichert durch eine existenzsichernde Bezahlung. Wann möchte ich arbeiten? Lieber mit möglichst vielen zusammen oder allein? Wozu sage ich Ja und wozu Nein? Was möchte ich ausprobieren und wo möchte ich meine Nase erst gar nicht reinstecken?
Ich bin mir absolut sicher, dass das Bedingungslose Praktikum das Leben all jener bereichert hat, die es selbst erlebt haben.
Was unterscheidet das Bedingungslose Praktikum von anderen Praktika?
Ist das Bedingungslose Praktikum wirklich so besonders, wie es auf den ersten Blick scheint? Um das herauszufinden, fragte ich meine Freund*innen nach ihren Praktikumserfahrungen. Zumindest keine*r sah das kaffeekochende Klischee bedient. Auch konnten viele von Anfang an selbstständig Aufgaben übernehmen: Auf die Baustelle rausfahren, Regie bei einem Theaterstück führen, Schulmaterial vorbereiten, Ideen und Kritik in Klientengespräche einbringen.
Oft resultierte diese Selbständigkeit aber daraus, dass es richtig viel zu tun gab und die Praktikant*innen einfach mit anpacken mussten, damit der Laden weiter läuft. An den bestehenden Strukturen der jeweiligen Arbeitsstelle war nicht zu rütteln. Dass jemand eine ganz neue Stelle im Team überhaupt erst etabliert, wie es unsere ehemalige Bedingungslose Praktikantin Marcella mit dem Support gemacht hat, wäre also gar nicht möglich gewesen. Und eine finanziell absichernde Bezahlung gab es bei den Praktika meiner Freund*innen schon gar nicht.
Bedingungsloses Praktikum als Praktikum der Zukunft?
Aber reicht es schon aus, keinen Kaffee kochen zu müssen und stattdessen bei vielen Arbeitsaufgaben mitmachen und sie übernehmen zu können? Genügt uns das?
Im Kern soll ein Praktikum einen Einblick in die Arbeitswelt geben. Und “die Arbeitswelt” ist nicht etwas Abstraktes, sondern von uns Mitgestaltetes. Wenn wir uns fragen, wie wir zukünftig arbeiten wollen, müssen wir uns auch fragen, wie das Praktikum der Zukunft aussehen soll.
Ich denke, ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist die sinnige Antwort auf die Herausforderungen unserer Gegenwart. Ich sage aber auch: Es ist kein Heilsversprechen. Ich denke, es fordert uns heraus, unser Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen ist das Einkommen von der Arbeit entkoppelt. Was wir dann für uns unter Arbeit verstehen wollen, können wir ausprobieren. (Was ist Arbeit? Und wie definiert ein Bedingungsloses Grundeinkommen Arbeit neu?)
Es braucht wahrscheinlich etwas Übung, sich von dem alten Diktat der Arbeitsidentität zu lösen. Da ist ein Bedingungsloses Praktikum nur konsequent, das habe ich eigens erfahren. Ich konnte nicht allein verschiedene Tätigkeiten ausprobieren, sondern mir auch die wirklich wichtigen Fragen stellen: Wo und wie will ich wirken? Und was brauche ich, um überhaupt gut tätig sein zu können? Ich konnte mutig hinterfragen, wo meine Schwächen liegen und wie ich meine Stärken weiter entfalten kann. Dafür wurde mir ein Entwicklungsraum gegeben, ein bedingungsloser.
Meine rückblickenden Worte verstehe ich deshalb nicht nur als Nachruf, sondern gleichzeitig als Aufruf: Das Bedingungslose Praktikum als Praktikum der Zukunft einzuführen!
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