Die Coronakrise macht deutlich: Unser Gesellschaftsvertrag ist nicht krisenfest. Warum testen wir jetzt nicht ein Grundeinkommen, das Existenzangst durch Sicherheit ersetzt?
"Will dann noch jemand arbeiten gehen?" ist die häufigste Frage, die mir Menschen zum Grundeinkommen stellen. Normalerweise. Seit ein paar Tagen steht eine ganz andere Frage im Raum: "Was, wenn niemand mehr arbeiten gehen kann?"
In den kommenden Wochen werden Unternehmen in die Coronakrise rutschen. Sie werden Angestellte entlassen müssen, Kurzarbeit anordnen oder in die Pleite schlittern. Selbstständige werden ohne Aufträge dastehen, freie Kulturschaffende ohne Auftritte. Die Existenzangst ist überall spürbar.
Die Krisen häufen sich
Wer kein Geld mehr hat, kann nicht konsumieren. Darunter wird die Konjunktur leiden, noch mehr Jobs drohen dann gestrichen zu werden. Weniger Jobs heißt weniger Einkommensteuer – die Haupteinnahmequelle des Staates. Wovon zahlt er dann seine Sozialleistungen?
Unsere Wirtschaft, in der alles auf Wertschöpfung durch Erwerbsarbeit optimiert ist, ist ein gut funktionierendes System – in Zeiten des Wachstums. Kommt die Krise, wird es fragil. Und die Krisen häufen sich: Klimawandel, Handelskriege, Epidemien – und die Digitalisierung, die grundsätzlich in Frage stellt, wie viel menschliche Arbeit es überhaupt noch braucht.
Wir sollten unseren Gesellschaftsvertrag jetzt krisenfest machen. Der Erhalt unseres Wohlstands darf nicht mehr davon abhängen, ob wir acht Stunden am Tag in einem Büro sitzen können.
41 Prozent der Deutschen haben kein Vermögen. Wer von ihnen freiberuflich arbeitet, steht durch die Coronakrise binnen weniger Wochen vor Hartz IV. Wer in Kurzarbeit geschickt wird oder zur Kinderbetreuung unbezahlten Urlaub nehmen muss, wird sich verschulden. Beides führt neben der persönlichen Demütigung auch unweigerlich zu sinkender Kaufkraft und zerstörter Produktivität.
Die Krisen-Resilienz im Kopf steigern
Aber wie durchbricht man diese Spirale? Hätten wir alle in diesem Moment ein Bedingungsloses Grundeinkommen, könnten wir vermutlich die zwangsweise freie Zeit nicht nur als Bedrohung sehen, sondern auch als unglaubliche Chance: Etwas neues zu lernen, Kraft zu tanken, uns neu zu orientieren – oder anderen Menschen zu helfen, besser durch die Krise zu kommen.
Stattdessen verschwenden wir diese für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft so wichtige Ressource – weil wir es uns unnötig kompliziert machen, unseren Lebensunterhalt zu erhalten. Wundert es da irgend jemanden, dass die Idee des Grundeinkommens im Angesicht dieser Krise gerade so vieleneueFürsprecher*innenfindet?
Die Mehrheit befürwortet ein befristetes Grundeinkommen
53,2 Prozent aller Deutschen sind dafür, jetzt ein befristetes Grundeinkommen für sechs Monate einzuführen, um die Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Dagegen sind 32,7 Prozent. Das ist das repräsentative Ergebnis einer Civey-Online-Umfrage in unserem Auftrag. Dazu wurden am 17. und 18. März 2.500 Menschen ab 18 Jahren befragt. Der statistische Fehler liegt bei 3,5 Prozent.
Wer jetzt einwirft, dass ein Grundeinkommen ungerecht sei, weil es alle unabhängig von ihrer Bedürftigkeit bekämen, hat das Grundeinkommensmodell noch nicht verstanden: Wer es nicht braucht, weil sie*er trotz Krise viel verdient, würde es durch höhere Steuern wieder abgezogen bekommen.
Das Grundeinkommen ist nicht, wie oft behauptet, „zusätzliches Geld fürs Nichtstun“, sondern im Prinzip dasselbe wie der Einkommenssteuerfreibetrag. Nur, dass es erstmal jeder und jedem ausgezahlt wird. Damit spart es nicht nur Bürokratie, sondern macht vor allem den Kopf frei – was könnte wichtiger sein, gerade jetzt, wo sich die Ereignisse jeden Tag überschlagen?
Das Grundeinkommen ersetzt Existenzangst durch Sicherheit. Der irrationale Überlebensmodus, in den wir in der Krise umschalten ohne es zu merken, weicht vorausschauender Umsicht. Solidarisches Verhalten statt Hamsterkäufe. Dieses Muster konnten wir bei so vielen der über 500 Menschen beobachten, mit denen wir das Grundeinkommen ausprobiert haben.
Ein Grundeinkommen löst nicht nur individuelle Krisen – es könnte auch die Wirtschaftskrise nach der Viruskrise abmildern. Es würde die Einkommen stabilisieren. Es würde Arbeitsplätze sichern. Wenn eine Hälfte des Gesamteinkommens von Arbeitnehmer*innen aus Lohnzahlungen käme und die andere Hälfte als Grundeinkommen von der Gemeinschaft bezahlt würde, hätten Arbeitgeber*innen geringere Lohnkosten.
Dauerhafte Sicherheit statt Notfall-Programme
In wirtschaftlich prosperierenden Zeiten würden Arbeitgeber*innen das Grundeinkommen über höhere Steuern indirekt mitbezahlen. Wenn sie aber, wie sich für die kommenden Wochen und Monate abzeichnet, Verluste machen und weniger Steuern zahlen, dann springt der Staat ein. Genau so, wie er es jetzt ohnehin tun will – nur eben dauerhaft. Ohne Bürokratie, ohne komplizierte Notfallprogramme.
Ich bin Realist. Natürlich wird ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle nicht von heute auf morgen eingeführt. Aber die Coronakrise bietet uns jetzt die Chance, es einfach mal auszuprobieren. Vorübergehend. Um Erfahrungen, Daten und Wissen über das Grundeinkommen in der Praxis zu sammeln.
Wir werden in den kommenden Wochen zwangsweise neue Formen von Zusammenleben und Arbeit ausprobieren müssen. Home Office, verkürzte Arbeitszeiten, flexible, familienfreundliche Arbeitsmodelle und eine allgemeine Entschleunigung, die sich schon jetzt ökologisch positiv auswirkt.