Alexandras Schwester verliert ihren Job, Krankenpfleger Mo muss seinen Vater ins Heim schicken, Minh will sein Studium wechseln, Angelika ist im Alter arm und Philipp bekommt kein Gehalt. Alle fünf stehen vor Herausforderungen, für alle fünf ändert sich das Leben mit Grundeinkommen radikal.
Draußen bläst der Wind die inzwischen gelben, roten und orangefarbenen Blätter von den Bäumen. Es ist ein bisschen zu warm für diese Jahreszeit, der Herbst war spät dran in diesem Jahr.
Nein, wir schreiben nicht das Jahr 2023. Es ist 2026 und die Bundesrepublik nicht mehr, was sie einmal war. Bei den Bundestagswahlen im vergangenen Jahr war das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) heiß diskutiertes Wahlkampfthema – und so ist es tatsächlich wahr geworden: Deutschland hat das Grundeinkommen für alle eingeführt.
Natürlich sind wir wahnsinnig gespannt, wie diese neue Realität aussieht und wie sie die Menschen berührt, ihr Dasein prägt. Dafür haben wir fünf fiktive Charaktere ins Leben gerufen, die uns einen Einblick in ihren Alltag mit Grundeinkommen geben. Komm mit uns auf eine Zeitreise in eine (gar nicht ganz so) ferne Zukunft und triff Minh, Mo, Alexandra, Philipp und Angelika aus dem Jahr 2026.
Minh N., 22 Jahre und kinderlos – Psychologie-Student in Niedersachsen
Neulich habe ich gelesen, dass meine Generation besonders durch Geld motiviert und von Verlustängsten getrieben sei. Das wundert mich in diesen Zeiten der Dauerkrise ehrlich gesagt nicht. Wenn alles wackelig und im Wandel ist, hält man sich halt an der Sache fest, die Sicherheit verspricht: Geld. Ich wollte letztes Jahr auch noch auf Nummer sicher gehen und entschied mich deshalb für ein BWL-Studium.
Die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens hat die Karten dann nochmal neu gemischt für mich. Mit der Gewissheit, abgesichert zu sein, kann ich langfristiger planen und Karriereschritte ins Auge fassen, die etwas mehr Durchhaltevermögen brauchen.
Deshalb habe ich mich jetzt entschlossen, meinem Bauchgefühl zu folgen und Psychologie zu studieren. In der Corona Zeit habe ich selbst miterlebt, wie mein halber Freundeskreis mit mentalen Krisen zu kämpfen hatte. Genügend Therapieplätze gab und gibt es nicht. Das muss sich dringend ändern – und ich will ein Teil dieses Wandels sein.
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Bisher habe ich bei meinen Eltern gewohnt, um Kosten zu sparen. Mit dem Grundeinkommen im Rücken kann ich mir jetzt auch ein WG-Zimmer in meiner Uni-Stadt Braunschweig leisten. Meine Werkstudentenstelle beim sozialpsychiatrischen Dienst mache ich vor allem, um praktische Erfahrung zu sammeln, aber das zusätzliche Geld ist natürlich auch nicht schlecht.
Auch wenn die Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, sicher nicht zu unterschätzen sind: Das Grundeinkommen hat mir ein bisschen Gelassenheit zurückgegeben. Es ermöglicht mir den Freiraum, mich selbst zu entfalten, aber dabei auch das große Ganze im Blick zu behalten.
Alexandra F., 43 Jahre und zwei Kinder – Juristin in Baden-Württemberg
Ich bin zufrieden, da wo ich stehe. Ich habe einen tollen Mann, der mir auch mal den Rücken freihält, zwei wunderbare Kinder, die mittlerweile aus dem Gröbsten raus sind. Wir sind froh, das Haus in Ulm gefunden zu haben, es gibt ausreichend Platz und meine Schwester ist ganz in der Nähe.
Auch beruflich bin ich gut aufgestellt. Unsere kleine Kanzlei kann die eintreffenden Mandate adäquat auffangen und bearbeiten. Durch die immer neuen Energie-Gesetze seit 2022 bekommen wir laufend Aufträge. Zusammen mit den Kollegen entwickle ich derzeit ein Förderprogramm für aufstrebende, junge Juristen. Das ist gerade eine schöne Herausforderung.
Die große Politik interessiert mich weniger, ich konzentriere mich lieber auf die Einzelfälle meiner Klienten, das Wirkungsgefüge ist schon groß genug. Die Entscheidung für ein Bedingungsloses Grundeinkommen nach der letzten Bundestagswahl hat mich dann aber doch sehr beschäftigt.
Ich habe ein Jahresbruttogehalt von ungefähr 110.000 Euro, das sind im Monat etwa 4.500 Euro netto. Seit letztem Jahr muss ich davon jeden Monat 150 Euro abgeben. Das hat mich anfangs schon verärgert, schließlich hat es ja seinen Grund, warum ich hier stehe. Mein Studium, vor allem mein Examen, mein Referendariat – das war, gelinde gesagt, kein Zuckerschlecken. Während andere Studierende feiern waren, habe ich noch bis zur Schließzeit in der Bibliothek gesessen.
Dann muss ich aber ehrlich sagen, dass ich gar nicht so richtig gemerkt habe, dass mir monatlich 150 Euro fehlen. Als meine Schwester vor fünf Monaten urplötzlich ihren Job verlor und durch das Grundeinkommen aufgefangen wurde, war das eine sehr gute Sache. Da war ich wirklich froh, dass es das Grundeinkommen in Deutschland gibt.
Moritz “Mo” H., 45 Jahre und kinderlos – Altenpfleger in Hessen
“Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz”, das war ja auch wieder so ein Wort. Sicher, die Tarifpflicht für Angestellte in Pflegeheimen seit 2022 hat schon was gebracht. Für Fachkräfte in Altenheimen wie mich gab es ja lange keinen flächendeckenden Tarifvertrag. Und auch die schrittweise Anhebung des Mindestlohns für Pflegekräfte 2024 und 2025 damals hat auf jeden Fall geholfen.
Aber ich sag’s, wie’s ist: Die Pflege in Deutschland ist seit langem so dermaßen überlastet und unterfinanziert – da brauchte es einen richtigen Game Changer wie das Grundeinkommen, um wirklich was für uns Pflegekräfte zu ändern. Auch an den Arbeitsbedingungen.
Ich bin 2019 wieder in meinen gelernten Beruf als Altenpfleger zurückgegangen. Das war ganz kurz vor Ausbruch der Pandemie. Ich liebe meinen Job ja wirklich, aber hätte ich damals gewusst, was da auf das Gesundheitssystem zukommen würde… Gut, das ist ein anderes Thema. Als dann mein Vater zum Pflegefall wurde, war es absolut utopisch, mich selbst um ihn kümmern zu wollen: die vielen Doppel- und Dreifach-Schichten, das ständige Auf-Abruf-Parat-Stehen. Das muss man sich mal vorstellen, diese Ironie: Ich, Pfleger, und mein Vater muss ins Heim.
Ricardo Lange ist gar nicht fiktiv, sondern sehr real. Wie Mo ist er Pfleger. In einem viral gegangenem Post machte er seinem Ärger über den Pflegenotstand Luft. Unser Kollege Volker hat ihn für einen Spaziergang getroffen.
Naja, und als dann das Grundeinkommen eingeführt wurde, saßen meine Kolleg*innen und ich auf einmal – ich will nicht sagen: am längeren Hebel, aber irgendwie doch. Wir haben dann mal auf den Tisch gehauen, könnte man sagen. Schichtpläne und Personalschlüssel, Pausenregelungen und Vertragssicherheit ganz neu verhandelt, solche Sachen.
Zu meinen 3.089 Euro brutto war der direkte finanzielle Unterschied für mich gar nicht so wesentlich – das waren letztlich auch “nur” 118 Euro mehr im Monat. Aber das Gefühl, dass ich mir nicht mehr jeden Blödsinn bieten lassen muss, wenn ich meinem Beruf nicht wieder den Rücken kehren will; dass ich verhandeln kann. Das war Gold wert.
Ich konnte dann auch meine Stunden etwas reduzieren und so endlich besser für meinen Vater da sein. Diese Momente sind unbezahlbar. Letzte Woche war ich auch mal wieder auf einem Date. Dafür muss man ja auch erstmal Zeit und Nerven haben, nicht wahr?
Philipp M., 39 Jahre und drei Kinder – Hausmann in Berlin
Der Tag fängt mit Chaos an. Leon braucht immer wieder Anschub, das dauert wirklich, bis er sich aus dem Bett geschält hat und am Frühstückstisch sitzt. Lina ist da schon viel schneller unterwegs, aber ich muss ihr ständig ihre Sachen hinterhertragen. Da vergisst sie ihr Mathebuch, die Zahnpasta für die Bürste und ihren Schal. Ich mach’ echt jedes Mal drei Kreuze, wenn die beiden zur Grundschule loszuckeln. Die ist zum Glück wenigstens bei uns um die Ecke.
Dann kommt Ella dran. Ich fahre sie zur Logopädie, speziell für Kinder mit Down-Syndrom, dann zum Kindergarten. Ich hab’ mich mal als aufgeräumt empfunden, als jemand, der die Zügel sicher in der Hand hat. Was soll ich sagen? Mit drei Kids bin ich nur noch ein fahles Abziehbild von früher.
Ich glaube, wir sind da eher so reingerutscht, wir haben uns das nicht groß vorgenommen. Also in dieses Modell: Einer bleibt zu Hause und die andere arbeitet. Meine Partnerin Nina ist Lehrerin, ich war früher mit Softwareprojekten selbständig. Jetzt bin ich eben Vollzeit-Hausmann, anders schaffen wir die Betreuung nicht.
Ich mach’ das wirklich gerne, es ist total schön, meine Kinder auf ihrem ganz eigenen Weg zu begleiten. Und wenn wir abends alle zusammen “Verrücktes Labyrinth” spielen, ist eh alles in Ordnung. Aber finanziell war es oft arg. Die Erhöhung des Kindergeldes 2023 um 31 beziehungsweise 25 Euro war da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Studien zeigen, wie sehr unsere Gesellschaft unter Druck steht. Welche Veränderungen braucht es für den sozialen Zusammenhalt?
Ich weiß noch genau, wie wir vor einem Jahr zusammensaßen und über den Zahlen gegrübelt, Ausgaben hin- und hergeschoben haben. Und dann kommt in der Tagesschau, das BGE für alle wurde verabschiedet. Wow.
Es war die pure Erleichterung, als die ersten Grundeinkommen auf unser Konto flossen. Ohne Einkommen bekomme ich ja zur Zeit 1.200 Euro, die Kinder je 350 Euro (zusätzlich zum Kindergeld). Was vorher eine monatliche Hängepartie war, ist jetzt einfach das Modell, was am besten zu uns passt: Solange die drei noch nicht auf eigenen Beinen stehen, bleibe ich zu Hause. Wir freuen uns alle fünf schon riesig auf unseren Herbsturlaub auf Møn.
Angelika T., 76 Jahre und kinderlos – Rentnerin in Nordrhein-Westfalen
“Ihr sollt es einmal besser haben” – Das war der Leitsatz meines Vaters, mit dem er erklärte, warum er mehr Zeit auf der Arbeit als mit uns Kindern verbrachte. Und wahrscheinlich hatten wir das auch. Während er den Krieg noch hautnah miterlebte, wuchs ich in friedlicheren Zeiten auf. Da, wo sein Leben von Konformität geprägt war, atmete meine Generation den Geist der Veränderung: 68, Mauerfall.
Ich wollte auch immer wieder Abwechslung und versuchte mich als Kindergärtnerin, Weinhändlerin und Autorin. Dass das zu keiner üppigen Rente führen würde, war mir zwar klar, aber wie wenig es nun wirklich ist – das wurde erst vor acht Jahren deutlich, als ich in den Ruhestand ging. Ohne die Witwenrente von meinem Manfred würde es kaum zum Überleben reichen.
Umso erleichterter war ich, als dann letztes Jahr das Bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wurde. Ganze 609 Euro im Monat habe ich seitdem mehr zur Verfügung! Erst stand ich der Idee ja etwas skeptisch gegenüber, weil meine Nachbarin meinte, dass alle hart Arbeitenden zukünftig die Faulen mitfinanzieren müssen. Aber dann habe ich verstanden, dass es darum geht, Armut zu bekämpfen und allen ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Dass man uns Rentner dabei nicht vergisst, finde ich total wichtig. Schließlich haben wir alle viel geleistet. Das sollte auch anerkannt werden, oder?
Ob die jungen Leute von heute mal ein besseres Leben haben werden als wir? Ich wünsche es ihnen und hoffe, dass sie die Aufbruchstimmung von damals kennenlernen. Einfacher scheinen die Zeiten allerdings nicht zu werden. Mit dem Grundeinkommen sind sie aber zumindest finanziell abgesichert.
Alle Personen sind fiktiv, gleichwohl nicht aus der Luft gegriffen. Unter anderem dienten uns diese Quellen als Inspiration:
Was sind deine Gedanken? Findest du dich in einer der Personen wieder? Was würde ein Grundeinkommen an deiner Situation ändern? Wir freuen uns auf deine Kommentare!
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