Dominik Bloh weiß wie es sich anfühlt, ganz unten zu sein. Er glaubt, dass niemand obdachlos bleiben muss und fordert “bedingungsloses Wohnen”. Wie soll das gehen? Jannes hat Dominik gefragt.
Hallo Dominik, wo sind die Lücken im sozialen Sicherungsnetz?
Dominik: Ich glaube, an vielen Stellen! Mir ist bewusst, dass wir in Deutschland ein gutes soziales Netz haben. Meine Frage ist aber: Was passiert, wenn alle Stricke reißen? Dann fängt dich nichts und dann fällt man.
Dann landet man ganz unten und das kann ganz unterschiedlich aussehen. Das ist dann “aus dem Raster gefallen” oder “außerhalb des Systems”. Wir führen dann die Diskussion, wie das passieren konnte. Wir leisten Hilfe an dem Punkt, wo Menschen ganz unten angekommen sind.
Ich denke mir dann immer: Wieso verschieben wir nicht die Diskussion? Wieso sagen wir nicht: Es ist völlig egal, was einem Menschen passiert ist und bauen schon vorher einen doppelten Boden rein? Diese simple Sache reicht aus, um ganz viel Veränderung zu schaffen.
Wir führen die Diskussion am falschen Punkt. Wir fangen ganz unten an, aber kein Mensch sollte ganz unten sein.
In unserer neuen Serie Das Themabeleuchten wir diesmal Die soziale Spaltung. Wie sehr bestimmen Armut oder Reichtum unser Leben – und können wir diese Spaltung irgendwie überwinden? Diskutiere mit und abonniere unseren Newsletter, um nichts zu verpassen.
Wie fühlt es sich an, keinen festen Wohnort zu haben?
Dominik: Dieses Gefühl, jetzt einen Schlüssel zu haben, ist krass. Das ist etwas, was einfach immer gefehlt hat. Den hat man mal ausgeliehen oder in Einrichtungen von Betreuern bekommen. Aber du hattest nicht deinen Schlüssel.
Ansonsten hat mir damals alles, wirklich alles gefehlt, was ich heute habe. Für mich ist es der größte Luxus, nur in Boxershorts zu schlafen und ein Badezimmer zu benutzen.
Das sind Dinge, die ich auf der Straße nicht kannte. Ich habe mit meinen Klamotten geschlafen und mit meinen Zwiebelschichten darüber. Über meine Schuhen habe ich Plastiktüten gemacht, damit ich den Schlafsack nicht von innen dreckig mache.
Waschen und alles, was wir in einem Badezimmer-Durchgang erledigen, dafür musst du auf der Straße verschiedene Orte und Anlaufstellen besuchen.
Deswegen gibt es diesen Kreislauf, in dem du dich zwar die ganze Zeit bewegst, in dem sich aber nichts bewegen kann.
Was waren die Stereotype und Vorwürfe, denen du begegnet bist, während du wohnungslos warst?
Dominik: Ich bin den ganzen klassischen Klischees begegnet. Warum gehst du nicht arbeiten und besorgst dir einfach einen Job? Warum machst du nicht einfach deinen Antrag auf Arbeitslosengeld und beziehst da Kohle und versuchst, etwas zu schaffen? Das sind die typischen Sachen, die man immer wieder hört.
Das ist das am schwierigsten zu Beschreibende an der Straße: diese Rastlosigkeit. Dass du immer nur Stress hast. Es ist reines Überleben.
Es gibt diesen Spruch "in der Ruhe liegt die Kraft". Und wo soll ein Mensch, der keine Ruhe findet, Kraft hernehmen, um sich irgendwelche weiteren Gedanken über sich oder sein Handeln machen zu können?
Es geht nicht. Ich bin beschäftigt und bin heute hier und morgen da. Ich esse von der Hand in den Mund. Und irgendwann geht das so weit, dass Obdachlosigkeit und unser bürgerliches Leben für mich zwei unterschiedliche Welten sind. Du kommst einfach nicht mehr in diese andere Welt.
Dominik Bloh hat noch mehr zu sagen. Hier siehst du unser Interview in voller Länge:
Trotzdem sind Obdachlose fester Teil des Straßenbildes. Gleichzeitig werden sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Da du von zwei Welten sprichst: Fehlt Wohnungslosen eine Stimme in der Gesellschaft, also in dieser Welt?
Dominik: Ich glaube ja. Das ist ja mit vielen Problemen so, dass sich bestimmte Dinge in unseren Köpfen so manifestiert haben und so sehr in uns drin sind, dass wir meinen, das nicht rauskriegen zu können.
Ich sehe immer noch "das Problem" nicht als Problem. Obdachlosigkeit könnten wir hier in Deutschland einfach abschaffen. Wir könnten das in den nächsten fünf Jahren beenden. Es ist nicht so groß. Aber die Not, die ist jetzt groß und die Menschen, die wir jeden Tag sehen, die leiden jetzt. Dieses Land hätte jederzeit die Möglichkeit, wirklich alle Menschen von der Straße zu holen. Und das ist das, was mich die meiste Zeit beschäftigt.
Wir müssen als Gesellschaft generell menschlicher miteinander sein. Und wir müssen politisch dafür sorgen, dass wir Grundrechte leben und dass hier jeder ein menschenwürdiges Leben führen kann. Dazu gehört wohnen, dazu gehört waschen.
Was wäre für wohnungslose Menschen anders, wenn es ein Grundeinkommen geben würde?
Dominik: Ich glaube, sehr vieles! Ich glaube auch immer mehr daran, dass Geld tatsächlich die beste Hilfe ist. Das ist unser System, es beruht darauf, dass wir Geld haben müssen, um es auszugeben. Und ich kann noch so viele Suppen ausgeben und noch so viele Kleidungsstücke und Schlafsäcke. Aber am Ende braucht ein Mensch einfach Geld in die Hand, damit er hier selbstbestimmt seinen Weg gehen kann.
Ich bin mir sicher, dass Menschen, die ein regelmäßiges Einkommen zur Verfügung haben, daraus für sich selber eine bessere Situation schaffen. Und dass das Geld nicht wieder investiert wird in das, was viele womöglich als erstes denken, dass die das direkt nach drei Tagen für sonst was ausgeben.
Ich glaube das konkrete Gegenteil: Jeder Mensch braucht eine Chance und wenn er sie hat, dann greifen die meisten zu. In Wirklichkeit will niemand so leben.
Würden obdachlose Menschen dann auch wieder Teil der Gesellschaft werden und als Mitmenschen anerkannt?
Dominik: Dazu gehört sicherlich noch mehr. Aber ich glaube, wenn wir die Rahmenbedingungen schaffen, um Teil dieser Gesellschaft zu sein, ist das ein ganz wichtiger Faktor. Das ist der Weg, wie Hilfe zur Selbsthilfe möglich wird.
Genauso ist es bei "GoBanyo", dem Duschbus-Projekt, das wir in Hamburg machen, wo sich Menschen, die auf der Straße leben, duschen können. Weil wir denken, das ist Hilfe zur Selbsthilfe.
Das sind Möglichkeiten, wie jemand mehr Selbstbewusstsein und Mut finden kann, seine nächsten Schritte zu gehen. Wenn man jemandem Geld in die Tasche steckt, dann löst das dasselbe Gefühl aus, wie frisch geduscht zu sein. Überleg mal, wenn du Geld in der Tasche hast oder dich richtig "fresh" fühlst, ist das ein ganz ähnliches Gefühl. Deswegen glaube ich, dass der Effekt vom Grundeinkommen genauso gut funktionieren kann.