Marlene, Gewinnerin des 39. Grundeinkommens, hat sich wieder bei uns gemeldet! In ihrem Brief schreibt sie über ihre Gedanken, die sie seit ihrem Gewinn begleitet haben:
Seit dem ersten Grundeinkommen, das ich im Juni bekommen habe, ist einige Zeit vergangen. Die erste Euphorie ist verflogen und der Alltag hat sich eingestellt. Das erste Geschenk, das mir der Gewinn ermöglicht hat, war, dass ich mutiger und leichter in die Selbständigkeit starten konnte. Und dass ich parallel dazu eine Feng Shui-Ausbildung angefangen habe, die ich wohl ansonsten auf später verschoben hätte.
Seit Oktober bin ich als Mentaltrainerin selbständig. Wobei noch einiges getan werden muss, bis ich damit Geld verdienen kann. Ich lerne gerade, was alles zur Selbständigkeit dazu gehört. Ich kämpfe mich durch das Dickicht der Formulare und Steuerfragen und merke dabei, dass alles viel länger dauert, als ich es mir vorgestellt habe. Es wird noch einige Zeit dauern bis die geplanten Online-Angebote fertig sind und ich damit Geld verdienen werde. Wie würde es mir gerade gehen, wenn ich kein Grundeinkommen hätte?
Jetzt bin ich eine der Gewinner*innen und müsste mich doch wirklich freuen. Es darf doch jetzt kein Jammern geben, es soll doch leichter und weniger anstrengend sein. Ich sollte mich doch jetzt mehr entspannen können, aber das Gegenteil ist manchmal der Fall. Ich stelle mir deshalb in letzter Zeit immer mehr Fragen. Ich frage mich, woher der Druck kommt. Ist es mein innerer Anspruch an mich, dass ich das, was ich auf mein-grundeinkommen.de auf die Frage, was ich mit einem Grundeinkommen tun würde, angegeben habe, gerecht werden zu wollen?
Ist der Druck nur meine hohe Erwartungshaltung an mich oder ist es auch das öffentliche Interesse an dem, was sich in meinem Leben durch das Grundeinkommen ändert? Wie wäre es für mich, wenn ich nicht eine einzelne Gewinnerin wäre, sondern, wenn es für alle gilt? Würde ich mich dann weniger unter Druck gesetzt fühlen? Würde ich es mir dann mehr gut gehen lassen? Wie wäre es, wenn ich das Grundeinkommen für immer bekommen würde und nicht nur für 12 Monate? Dann gäbe es nicht die tickende innere Uhr, die sagt: “Du hast zwölf Monate Probezeit, um dann auf den eigenen Füßen zu stehen”. Würde ich dann das Grundeinkommen als festen Bestandteil in mein Leben einbauen und beispielsweise für die Altersvorsorge oder Urlaube einplanen? Ist es nicht so, dass man sich schnell an ein Einkommen gewöhnt und sich der Lebensstandard schleichend anpasst?
Diese Sonderrolle, die ich jetzt als Gewinnerin habe, hat die Folge, dass mein Lebensmodell nicht vergleichbar ist. Mein Umfeld akzeptiert es, dass ich mein Leben gerade als Experiment sehe und mich mit einer Idee selbständig gemacht habe, bei der noch nicht abzusehen ist, ob es Früchte tragen wird oder nicht.
Wie wäre die Reaktion gewesen, wenn ich kein Grundeinkommen gewonnen hätte? Ich würde wahrscheinlich mit mehr Sorgen und Bedenken konfrontiert sein und merke, dass eine finanzielle Absicherung für uns alle essentiell ist. Es ist also gar nicht so schlecht, dass ich ein Einzelfall bin und auch, dass der Zeitraum begrenzt ist. Denn das sind die perfekten Ausgangsbedingungen, um den Schritt ins Ungewisse zu wagen. Mich entspannt es, dass ich gerade aus der Rolle falle, denn das hat zur Folge, dass meine Lebensform weniger von außen bewertet oder verurteilt werden kann.
Um vom “Was wäre, wenn…” wieder zum Hier & Jetzt zu kommen: Was ich sagen kann ist, dass mich das Grundeinkommen ermutigt hat, etwas zu wagen und das Leben als Experiment zu sehen. Es zwar bedingungslos, aber ich setze mir selbst Bedingungen und zwar die, die ich mir Anfangs auf der Webseite gestellt habe.
Es hat sich etwas in meiner Denke gedreht. Ich habe nun Geld, mit dem ich etwas erschaffen kann. Ich möchte etwas Sinnvolles schaffen, das Früchte trägt. Früchte, die mir wiederum ein Einkommen ermöglichen sollen. Das Grundeinkommen bietet mir die Gelegenheit, spielerisch meine Potenziale zu entdecken und auszuleben. Und ich bin überzeugt, dass dabei was Gutes rauskommen wird.
Es ist nun nicht mehr so, dass ich arbeite, um Geld zu verdienen, das ich dann wieder für etwas ausgebe, was ich für sinnvoll halte. Sondern ich habe schon jetzt Geld und Zeit, die ich sinnvoll einsetzen kann. Ich investiere zwar zielgerichtet in die Selbständigkeit und meine Feng Shui-Weiterbildung, ansonsten lebe ich sehr sparsam. Ich kaufe mir kaum Klamotten und brauche auch sonst nicht viel. Was ich mir an Konsum mehr gönne ist, mich mit Freunden zum Essen zu verabreden und eine anstehende Reise nach Äthiopien.
Seitdem ich gewonnen habe, beschäftige ich mich viel mehr mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Dass wir neue Lösungen für die Zukunft brauchen, steht außer Frage. Leider sind die Lösungsansätze oft nur abstrakte Ideen, über die man Stunden lang ergebnislos diskutieren kann, weil das Greifbare fehlt. Deshalb finde ich es toll, als Gewinnerin die Idee des bedingungslosen Grundeinkommen etwas greifbarer machen zu können.
Die Reaktionen auf meinen Gewinn sind überwiegend positiv. Oft startet dann die Diskussion, ob das bedingungslose Grundeinkommen ein funktionierendes Modell für Deutschland wäre und es geht um die Finanzierungsfrage oder darum, ob überhaupt noch jemand arbeiten würde. Manchmal bekomme ich auch zu hören, dass ich es ja jetzt leichter habe durch den Gewinn oder werde gefragt, ob ich faul geworden bin.
Meine Wahrnehmung ist, dass mir das Grundeinkommen ermöglicht hat, mutiger zu leben, was aber nicht unbedingt leichter ist. Die gewohnten Pfade zu verlassen, bedeutet für mich, dass ich mich mit neuen Themen beschäftige und mich selbst neu kennenlerne. Wieviel und welche Sicherheiten brauche ich? Was will ich? Wo beeinflusst mich meine Umgebung? Es wäre sicherlich leichter gewesen, in meinen gewohnten Pfaden zu bleiben, also einen Lohn unter fremdbestimmten Bedingungen zu bekommen. Selbstbestimmung kostet Kraft und sie macht stark! Bedingungsloses Grundeinkommen ist nichts für Faulpelze, sondern für Menschen, die sich vor dem Lernen und der Selbstverantwortung nicht scheuen.
Liebe Grüße Marlene