Steuermodelle, Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und Sozialleistungen - die Öffentlichkeit diskutiert wie wild über das Grundeinkommen. Aber eine entscheidende Perspektive fehlt: Wie fühlt es sich an, so ein Grundeinkommen zu erhalten? Wir haben unsere Gewinner*innen eingeladen und sie gefragt.
Die fehlende Perspektive
Das Bedingungslose Grundeinkommen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zwei Drittel der Bevölkerung befürworten es, ebenso einige bekannte Konzernchef*innen, Philosoph*innen und Parteivorsitzende. Dieser rasante Aufstieg einer politischen Idee hat gute Gründe: Der bisherige Sozialstaat wirkt wenig zukunftsfähig, die Digitalisierung verändert die Welt massiv, die junge Generation hat neue Erwartungen ans Erwerbsleben, große Teile der Bevölkerung stehen vor dem Burnout und sehnen sich nach anderen Perspektiven.
Neuerdings wird also in den Kolumnen gestritten: Wie hoch muss ein Grundeinkommen sein? Wird es eine Inflation geben? Welches Modell ist das fairste? Wie wird sich der Arbeitsmarkt verändern?
Ich glaube, dass neben diesen Fragen eine entscheidende Perspektive fehlt. Eine Perspektive, die das Grundeinkommen überhaupt erst so mächtig und populär macht: Das Gefühl.
Grundeinkommen ist nämlich nicht einfach eine weitere sozialpolitische Maßnahme, bei der es ausreicht, quantitative Vor- und Nachteile zu kalkulieren. Grundeinkommen ist Ausdruck eines fundamental neuen Paradigmas. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft brauchen Menschen Geld zum Überleben. Und eine Grundeinkommensgesellschaft gibt es ihnen einfach, jeden Monat neu, ohne Rückfragen, bedingungslos, einfach so, weil sie Menschen sind. Das Grundeinkommen sagt mir jeden Monat: Du bist okay, du darfst sein, wir glauben an dich, wir vertrauen dir. Das ist etwas ganz Neues! Das wird uns verändern - von innen!
Und wie?
Das berichten die Gewinner*innen!
Schon mehr als 100 Menschen haben die Erfahrung gemacht. Was können wir von ihnen lernen? In der letzten Woche haben wir alle Grundeinkommens-Gewinner*innen nach Hamburg eingeladen, um mit ihnen darüber zu sprechen, was sich denn nun wirklich bei ihnen verändert hat und ob es so ein Grundeinkommensgefühl tatsächlich gibt.
Christoph kündigt im Callcenter Da ist zum Beispiel Christoph, einer der ersten Gewinner. Er verhielt sich so, wie es viele befürchten, sollte Grundeinkommen eingeführt werden. Kurz nachdem die ersten 1.000 Euro auf seinem Konto eintrafen, kündigte er seinen Job im Callcenter. Er fühlte sich plötzlich “frei, leicht und entspannt”.
Bei Christoph hat sich aber noch mehr verändert. Durch das Grundeinkommen konnte er ein Pädagogik-Studium beginnen. So wurde seine Freundin plötzlich zur Hauptverdienerin in der Familie. In Hamburg berichtete mir Christoph ganz nebenbei und selbstverständlich: "Natürlich mach ich den Abwasch zu Hause.“ Das zeigt: Wo Grundeinkommen hinkommt, entsteht neuer Verhandlungsspielraum, der auch dazu führen kann verkrustete Lebensweisen zu verändern.
Es haben übrigens neben Christoph nur weitere 4 von 112 Gewinnern ihren Job gekündigt. Alle arbeiten in anderen Jobs weiter oder haben sich selbstständig gemacht.
Robins Familie verhandelt die Machtfrage Robin war 8 Jahre alt, als er gewann. Doch wer würde das Geld verwalten? Er selbst? Dann hätte er möglicherweise mehr Geld in der Tasche als seine Eltern. Oder seine Eltern? Die dann sagen könnten: „Du bekommst dein Grundeinkommen erst, wenn du dein Zimmer aufräumst.“
Die Familie konnte nicht anders als sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Das zeigt: Wo Grundeinkommen hinkommt, wird automatisch die Machtfrage neu gestellt und man kann sich ihr nicht entziehen. Robin teilte sein Geld übrigens bereitwillig mit der ganzen Familie, die seither enger zusammengerückt ist.
Marcs chronische Krankheit ist plötzlich symptomfrei Marc hat, wie rund 300.000 andere Deutsche, die Darmkrankheit Morbus Crohn. Es traten immer dann neue Schübe auf, wenn er sich mit verschiedenen Behörden um die Zahlungen zu seinem Lebensunterhalt streiten musste. Seitdem Marc sein Grundeinkommen bedingungslos erhielt, kamen plötzlich keine Schübe mehr. Zum ersten Mal seit zehn Jahren konnte er seine Medikamente absetzen. Die Existenzangst war plötzlich weg.
Ähnliche Effekte berichten fast alle Gewinner*innen. Sie schlafen besser seitdem sie bedingungslos abgesichert sind. Angestellte berichten zudem, dass sie nun mehr arbeiten, aber dabei viel weniger gestresst sind. Stress und Krankheiten kommen eben häufig nicht von den langen To-do-Listen, sondern von den dahinterstehenden Sorgen, was passiert, wenn man die To-do-Liste nicht schafft.
Jesta wagt ein Geschäftsexperiment Vier Grundeinkommensgewinner*innen haben sich während ihres Jahres selbstständig gemacht und zahlreiche weitere weitergebildet, weil nun das Geld für neue, mutige Schritte da war.
Jesta ging aber noch weiter: In ihrer Coaching-Tätigkeit startete sie, mit dem Grundeinkommen im Rücken, ein Experiment: Ihre Kund*innen konnten fortan bezahlen soviel sie wollten.
Hier zeigt sich, wie ein Grundeinkommen seine Wirkung potenzieren könnte. Nicht nur verändert sich etwas im eigenen Leben, in der eigenen Gesundheit und im nahen Umfeld. Wenn ich keine Existenzangst mehr haben muss, dann kann ich auch anderen viel mehr vertrauen - daraus könnten sich ganz neue Geschäftspraktiken und -modelle entwickeln.
Für Astrid wird Unmögliches denkbar Die für mich beeindruckendste Geschichte ist die von Astrid. Sie zeigt, wie sehr die neue Bedingungslosigkeit die Brille verändern kann, durch die man die Welt sieht. Denn für Astrid waren Geld und Konsum auf einmal gar nicht mehr so wichtig, weil es ja keinen Mangel mehr gab. Plötzlich wurden Dinge denkbar, die früher nicht denkbar waren, wie z.B. kein Auto zu besitzen oder mit Anfang 50 nochmal in eine WG zu ziehen.
Das Grundeinkommen ist nicht die Antwort, sondern stellt die richtigen Fragen
Auch vergangene Woche in Hamburg berichteten fast alle Gewinner*innen: Mit Grundeinkommen hat sich oft auf dem Papier nicht viel geändert, aber dafür die Haltung zum Leben selbst. Die Bedingungslosigkeit wurde dabei als monatlicher Vertrauensvorschuss empfunden, der die Gewinner*innen motiviert hat. Es setzt ein „Om-Gefühl“ ein, eine neue Ruhe, die dafür sorgt, dass die wirklich wichtigen Dinge mehr Beachtung bekommen. Viele hatten sich auch vorher schon ein anderes, bewussteres, stressfreieres Leben gewünscht – aber erst Grundeinkommen hat ihnen geholfen, es zu leben.
Der Austausch mit den Gewinner*innen hat mir verdeutlicht, warum Grundeinkommen so einen radikal anderen Ansatz zum Status Quo darstellt. Es fordert uns heraus, ohne uns etwas aufzuzwingen. Die Gewinner*innen sagten einstimmig: diese Herausforderung fühlt sich mächtig an und macht Spaß! Grundeinkommen löst Gefühle aus, die das Potential haben, tiefgreifende Veränderung zu bewirken. In uns selbst, in unseren Beziehungen, in unserer Arbeit. Warum also nicht auch für unser gesellschaftliches Zusammenleben?
356.811
Menschen haben bisher
1.945
Grundeinkommen finanziert