In Diskussionen ums Bedingungslose Grundeinkommen taucht ein Argument hartnäckig immer wieder auf: Wir haben doch schon sowas wie Grundeinkommen – Hartz IV. Die Schlussfolgerung daraus: In Deutschland muss niemand arm sein. Ist das wirklich so? Greta hat genauer hingeschaut, wie viel Grundeinkommen wirklich in Hartz IV steckt.
Schon als Kind hatte ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und trage eine gehörige Portion Idealismus mit mir herum. In der Welt, in der wir leben, ist das nicht immer einfach. Oft schlägt mein (Un-)Gerechtigkeitsradar Alarm: zum Beispiel beim Thema Hartz IV.
Seit ich mich mit Grundeinkommen beschäftige, komme ich an dem Thema schwer vorbei. Für viele Menschen scheint es einen klaren Zusammenhang zwischen Hartz IV und dem Bedingungslosen Grundeinkommen zu geben. Vielleicht ist ja was dran?
Jeder Mensch hat einen individuellen Anspruch auf das Bedingungslose Grundeinkommen
Es wird ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt
Es ist weder an einen Zwang zur Arbeit noch an eine andere Gegenleistung geknüpft
Es sichert die Existenz und darüber hinaus gesellschaftliche Teilhabe
Erfüllt Hartz IV diese Kriterien auch? Finden wir es heraus...
In unserer neuen Serie Das Thema beleuchten wir diesmal Die soziale Spaltung. Wie sehr bestimmen Armut oder Reichtum unser Leben – und können wir diese Spaltung irgendwie überwinden? Diskutiere mit und abonniere unseren Newsletter, um nichts zu verpassen.
1. Wer hat Anspruch auf Hartz IV?
Die offizielle Bezeichnung für Hartz IV ist “Arbeitslosengeld II”. Das macht deutlich, wer in erster Linie Anspruch auf die Grundsicherung hat: Menschen ohne Arbeit. Frage beantwortet, oder?
So einfach ist es leider nicht, denn nicht jeder Mensch ohne Arbeit ist automatisch berechtigt, Hartz IV zu beziehen. Nur Menschen, die auch erwerbsfähig sind, also grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, haben ein Anrecht auf Hartz IV. Eine weitere Voraussetzung ist die finanzielle Hilfsbedürftigkeit, aber dazu später mehr.
Immerhin scheint der Anspruch individuell zu sein, so wie beim Grundeinkommen. Wenn ein Mensch mit Anspruch auf Hartz IV in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft lebt, ist das allerdings nicht der Fall. Ehepartner*innen bilden zum Beispiel eine solche Bedarfsgemeinschaft. Für die Berechnung des Leistungsanspruchs wird dann das gesamte Einkommen und Vermögen betrachtet – nicht die individuelle Situation. Das kann dazu führen, dass plötzlich gar kein Anspruch mehr besteht.
Hat jeder Mensch einen individuellen Anspruch auf Hartz IV? Nein.
2. Was möchte das Jobcenter wissen, bevor Geld auf dem Konto landet?
Bei der Beantragung von Hartz IV müssen umfassende Nachweise über das eigene Einkommen und Vermögen oder das der Bedarfsgemeinschaft erbracht werden, in der man lebt. Also ein Haufen Bürokratie, bevor die Unterstützung auf dem Konto landet.
Diese Bedürftigkeitsprüfung soll sicherstellen, dass alle anderen Möglichkeiten zur Sicherung der Existenz bereits ausgeschöpft wurden. Vermögen muss beispielsweise aufgebraucht werden, wenn es über bestimmte Freibeträge hinaus geht, bevor ein Anspruch auf Hartz IV greift. Denn Hartz IV ist eine so genannte nachrangige Leistung.
Bei einigen Bedürftigkeitsprüfungen finden sogar unangekündigte Hausbesuche statt, um etwa zu überprüfen, ob WG-Mitbewohner*innen eventuell doch Lebenspartner*innen sind und eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Sowohl die Offenlegung der finanziellen Situation als auch der Wohnsituation sind ein klarer Eingriff in die Privatsphäre. Zusätzlich stellt bereits die Beantragung von Hartz IV für viele Menschen eine bürokratische Hürde dar.
Das sind allerdings nicht die einzigen Gründe, weshalb laut Schätzungen 43 bis 56 Prozent der Menschen mit Anspruch auf Hartz IV erst gar keine Leistungen beantragen: Sie haben Angst vor Stigmatisierung.
Erhalten Hartz-IV-Beziehende ihr Geld ohne Bedürftigkeitsprüfung? Nein.
3. Welche Gegenleistung wird von Hartz-IV-Beziehenden erwartet?
Das Motto von Hartz IV ist “Fördern und Fordern”: Wir unterstützen dich, wollen dafür aber auch was von dir haben – klingt nach dem klassischen Leistungsprinzip.
Sobald ein Antrag gestellt wird, dürfen sich Hartz-IV-Beziehende in der Regel maximal 21 Tage im Jahr außerhalb ihres Wohnortes aufhalten und müssen erreichbar sein, um dem Arbeitsmarkt jederzeit zur Verfügung zu stehen. Sie müssen Bewerbungen schreiben und sind verpflichtet, zumutbare Arbeitsangebote anzunehmen und an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Andernfalls drohen Sanktionen in Form von Kürzungen der Leistungsbezüge.
Das übergeordnete Ziel von Hartz IV ist die Reintegration in die Arbeitswelt, sodass die Beziehenden für ihren Lebensunterhalt wieder selbst aufkommen können. Wird dieses Ziel erreicht? Die Statistik zeigt, dass Hartz IV eher eine Armutsfalle ist, als ein Sprungbrett zurück in die Erwerbsarbeit. 45 Prozent erhalten seit mehr als vier Jahren Hartz IV.
Wird Hartz IV ohne Knüpfung an Gegenleistungen bewilligt? Nein.
4. Können Hartz-IV-Beziehende überleben und sogar ab und zu ins Theater?
Hartz IV soll ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern. Die Berechnung der Regelsätze orientiert sich an den einkommenschwächsten Haushalten. Damit soll gewährleistet sein, dass Menschen, die für den Mindestlohn arbeiten, mehr Geld zur Verfügung haben als arbeitslose Menschen in Hartz IV. Der Arbeitsanreiz soll so groß genug bleiben...
Gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass ein regulärer Hartz-IV-Satz die Existenz sichert – dann gibt es noch immer die Existenzbedrohung durch Sanktionen. Bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November letzten Jahres konnten durch Sanktionen bis zu 100 Prozent der Leistungen gestrichen werden. Nach dem Urteil sind es “nur noch” 30 Prozent des Existenzminimums. Besonders bitter: Sanktionen betreffen im Zweifel automatisch auch Kinder in Bedarfsgemeinschaften.
Für Hartz-IV-Beziehende, die sich um ihre Existenz sorgen müssen, rückt gesellschaftliche Teilhabe eher in weite Ferne.
Eine wirklich bedingungslose Grundsicherung gibt es zwar heute schon, allerdings nicht für alle: Der Verein Sanktionsfrei gleicht über einen spendenfinanzierten Solidartopf Leistungskürzungen aus und macht so Hartz IV sanktionsfrei. Ganz unbürokratisch.
Sichert Hartz IV die Existenz und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe? Nein.
Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens geht bereits mit einem Vertrauensvorschuss voran und unterstellt allen Menschen statt Hang zur Faulheit die intrinsische Motivation, einen Beitrag leisten zu wollen. Ein Grundeinkommen könnte statt Leistungsdruck und Stigmatisierung allen Menschen eine bedingungslose Existenzsicherung ermöglichen und ihnen die Freiheit geben, selbstbestimmt zu leben und die Gesellschaft der Zukunft aktiv mitzugestalten.
Ist der Arbeitsanreiz mit Grundeinkommen groß genug? Zumindest unsere bisherigen Gewinner*innen haben nicht massenweise ihre Jobs geschmissen. Und wenn doch, dann, weil sie sich mit der Sicherheit des Grundeinkommens im Rücken endlich getraut haben, etwas Erfüllenderes zu tun oder sich weiterzubilden – oder mehr Care-Arbeit zu leisten. Unbezahlte Arbeit, die übrigens sehr wertvoll für unsere Gesellschaft ist.
Das alles sind Gründe dafür, dass wir das Bedingungslose Grundeinkommen auch weiterhin in der Praxis ausprobieren, um herauszufinden, was es mit uns macht. So kommen wir der Grundeinkommens-Gesellschaft Schritt für Schritt näher.
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