Will man 2022 am liebsten schnell vergessen – oder gab es auch Momente, an die man sich gerne erinnert? Schwer zu sagen bei so vielen schlimmen, aber auch hoffnungsvollen Ereignissen. Unser erster Jahresrückblick zeichnet die letzten zwölf Monate aus Sicht des Grundeinkommens nach.
Wir blicken zurück auf ein Jahr voller großer Erfolge und bitterer Rückschläge für die Idee bedingungsloser sozialer Gerechtigkeit. Was überwiegt jetzt am Jahresende? Entscheide selbst.
Januar: Das 1.000ste Grundeinkommen und eine hitzige Debatte
Das Jahr startet mit dem größtmöglichen Knall: Wir dürfen das 1.000ste Grundeinkommen verlosen! Wer hätte vor acht Jahren zu träumen gewagt, dass eines Tages 1.000 Menschen selbst ausprobieren können, was das Grundeinkommen in ihrem Leben verändert? Und das alles dank der Spenden unserer Crowdhörnchen.
Auch im Januar erreicht die Debatte um ein Grundeinkommen für alle einen neuen Höhepunkt. Befeuert durch die wirtschaftlichen Folgen von fast zwei Jahren Pandemie diskutieren mehr Menschen denn je das Für und Wider.
Nur zwei Beispiele, die im Januar für viel Wirbel sorgen: In der Zeit verläuft sich die Journalistin Anna Mayr in dem Gedankengang, das Grundeinkommen sei eigentlich nur hilfreich für die Mittelschicht, um ihr schlechtes Gewissen gegenüber den Armen zu beruhigen, die sie insgeheim verabscheue. Das alles versteckt hinter einer Bezahlschranke, wie passend.
Als Antwort schreibt der Philosoph Philip Kovce für das Netzwerk Grundeinkommeneinen Verriss dieses Grundeinkommens-Verrisses. Beide Texte sind lesenswert. Sie zeigen, wie viel Überzeugungsarbeit die Menschen noch leisten müssen, die das Bedingungslose Grundeinkommen für alle wollen. Das Jahr 2022 wird das immer wieder zeigen...
Februar: Die wichtigste Stimme des Grundeinkommens verstummt
Am 8. Februar stirbt Götz Werner, die prominenteste Stimme des Grundeinkommens in Deutschland. Fast zwei Jahrzehnte lang setzte sich der Unternehmer mit seiner Initiative Unternimm die Zukunft unermüdlich für die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens ein.
Erreicht hat Götz Werner viel mehr als das bloße Reden über Utopien. Ohne seinen Rat und seine Hilfe gäbe es auch Mein Grundeinkommen nicht. "Vom ersten Moment an unterstützte er unseren Verein. Er half uns, die Idee zu schärfen. Er mahnte uns, stets unabhängig zu bleiben. Und er war der Erste, der uns auf die Idee brachte, die Verlosung dauerhaft durchzuführen", erinnert sich Micha Bohmeyer, der Gründer unseres Vereins, in einem Video am Tag nach seinem Tod.
März: Premiere im Parteiprogramm?
Die Partei Die Linke startet ihren Mitgliederentscheid zum Bedingungslosen Grundeinkommen am 15. März bei einer Regionalkonferenz in Thüringen. Es ist das erste Mal, dass eine Bundestagspartei ihre Mitglieder fragt, ob sie das Grundeinkommen in ihr Parteiprogramm aufnehmen wollen.
Es hat lange gedauert bis zu diesem Moment. Der Gegenwind aus dem Parteivorstand ist massiv, doch die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen ist zuversichtlich, dass sie im kommenden halben Jahr genug Mitglieder überzeugen kann, im Herbst mit "Ja" zu stimmen, wenn die eigentliche Abstimmung anläuft. Mit links zum Grundeinkommen heißt folgerichtig ihre Kampagne.
Bis dahin wird sich Die Linke allerdings wegen ganz anderer Themen aufreiben. Vor allem ihre programmatische Ausrichtung in der Sozialpolitik, im Krieg in der Ukraine und Vorwürfe sexueller Übergriffe werden die Partei im Laufe des Jahres viele weitere Wähler*innen-Stimmen kosten. Bleibt da überhaupt noch Raum für Ideen zu sozialer Gerechtigkeit?
April: Österreich unterschreibt fürs Grundeinkommen
In Österreich tritt das Volksbegehren Grundeinkommen am 21. April mit einer großen Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Ihr Plan: Genügend Unterschriften zu sammeln, damit sich das österreichische Parlament mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen für alle auseinandersetzen muss.
Die Zuversicht ist gerechtfertigt: Schon vor dem offiziellen Sammlungsstart zählt die Initiative 98.000 Unterstützungs-Erklärungen. Am Ende werden 168.981 Menschen das Volksbegehren unterstützen – bei nicht einmal neun Millionen Einwohner*innen in Österreich.
Auch im April bricht Precht bei Markus Lanz eine Lanze für das Grundeinkommen: "Das Grundeinkommen ist ja nicht die Alternative zum Arbeiten. Das Grundeinkommen ist die Alternative zum Arbeitszwang. Das ist ein ganz großer Unterschied", sagt der Philosoph, der später in diesem Jahr mit einem ganz anderen Thema in derselben Talkshow eine Kontroverse auslösen wird. Manchmal kann man sich seine Fans eben nicht aussuchen.
Mai: #IchBinArmutsbetroffen und wir sind mittendrin in Sachsen
Am 12. Mai legt die alleinerziehende Anni auf Twitter den Grundstein für eine soziale Bewegung. Sie schreibt: "Ich würde mich freuen, wenn ihr mitmacht. Nur ein kleiner Tweet zu euch. Lasst uns zeigen, wer wir sind. Dass wir KEINE Zahlen sind. Ob Hartz4, Rente, Aufstocker oder oder oder..."
Ihrem ersten Tweet mit dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen folgen allein im Mai 100.000 weitere. Die Bewegung will nicht mehr schweigend hinnehmen, dass fast 14 Millionen Menschen arm oder armutsgefährdet sind – sondern das Tabu brechen, dass man über finanzielle Not lieber nicht spricht.
Der "virale Aufstand der Armen", wie ein Journalist die Tweets nennt, schafft es aus dem sozialen Netzwerk in sämtliche Zeitungen, in Bundestagsreden und den ganzen Sommer über auf die Straße zu Protestaktionen in mehreren deutschen Städten.
Auch Mein Grundeinkommen ist im Mai unterwegs: Einen Monat lang reisen wir quer durch Sachsen. Wir wollen mit den Menschen ins Gespräch kommen: Wie steht Sachsen zum Grundeinkommen? Trauen die Menschen ihm zu, dringende soziale Probleme zu lösen? Welche Fragen und Zweifel haben sie? Was spricht für sie dagegen? Das Finale unserer Sachsentour ist eine Open-Air-Verlosung am 25. Mai direkt vor der Dresdner Frauenkirche.
Und noch etwas passiert im Mai: In einem Fernsehstudio in Baden-Baden lernen sich die Wissenschaftlerin Susann Fiedler und die Komikerin Helene Bockhorst kennen. Warum diese denkwürdige Begegnung in einem Jahresrückblick zum Grundeinkommen erwähnt werden muss, wird sich aber erst im Oktober zeigen...
Zum Jahrestag häufen sich die Anfragen aus Medien und Öffentlichkeit: Habt ihr schon was herausgefunden? Wie wirkt denn nun das Grundeinkommen auf Arbeitsmotivation, Gesundheit, Konsumverhalten oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
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Das erste Grundeinkommens-Halbjahr 2022 hatte es schon in sich. Aber das zweite übertrifft das locker...
Juli: Im Schlauchboot unterwegs zu mehr Gerechtigkeit
Die Bundesregierung beschließt: Ab dem 1. Juli werden die Hartz IV-Sanktionen ausgesetzt. Kürzungen des Existenzminimums sind damit erstmal nicht mehr möglich. Obwohl es selbst im neuen Gesetz noch Ausnahmen gibt. Hinter der Entscheidung steht allerdings kein Sinneswandel der Ampelkoalition in Richtung Bedingungslosigkeit – sondern das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor drei Jahren, das die Sanktionen für teilweise verfassungswidrig erklärte.
Noch haben manche Beobachter*innen die Hoffnung, dass die Sanktionen nie wieder kommen. Schließlich will die Ampel Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzen, das womöglich ganz auf die würde- und wirkungslosen Sanktionen verzichten wird. Im November werden wir es besser wissen...
In Argentinien gehen im Juli Menschen für den Salario Universal, das Grundeinkommen auf Spanisch, auf die Straße. Die Inflation hier ist bereits im Sommer ein Vorbote dessen, was viele andere Länder im Herbst erleben werden. Sie stürzt den ohnehin ärmsten Teil des Landes in noch extremere Armut. Das Land diskutiert über Umverteilung von oben nach unten – bislang ohne Ergebnis.
August: Bei Anruf... Grundeinkommen
Im August kann man zum ersten Mal hören, wie Freude über ein Grundeinkommen klingt: In der Verlosung am 31. August überbringen Christina und Jannes unseren Gewinner*innen die gute Nachricht erstmals live am Telefon.
Mittlerweile ist der Live-Anruf bei unseren Gewinner*innen längst ein fester Bestandteil der Verlosung – und wohl der beste Grund, an Verlosungstagen zwischen 19 und 20 Uhr immer in der Nähe des Telefons zu sein.
September: Erfolge und Rückschläge liegen dicht beieinander
Die Partei Die Linke sagt "Ja". Sie will das Bedingungslose Grundeinkommen in ihrem Parteiprogramm verankern. Der erste Mitgliederentscheid über das Thema in einer Bundestagspartei endet am 30. September erfolgreich.
Ein Drittel aller Parteimitglieder haben abgestimmt. 56,6 Prozent von ihnen entscheiden sich für die Aufnahme des Grundeinkommens in das Programm der Partei. "Ein bedeutender Schritt ist getan! Die Mehrheit der Mitglieder gibt der Partei eine neue Richtung vor", kommentiert die Arbeitsgemeinschaft Grundeinkommen den Erfolg ihrer Initiative.
Beide Initiativen wollen es wieder versuchen, erklären sie nach den verlorenen Abstimmungen.
Oktober: Schluss mit den nervigsten Sozialklischees!
Am 13. Oktober startet unser neuer Podcast Steile Thesen. Hier prallen in vorerst vier Podcastfolgen Forschung und Satire aufeinander, um einen gemeinsamen Endgegner zu erledigen – die schlimmsten sozialen Vorurteile.
Vor den Mikrofonen sitzen Prof. Dr. Susann Fiedler und Helene Bockhorst. Die eine erforscht, wie sich Menschen ökonomisch, sozial oder moralisch verhalten – unter anderem beim Pilotprojekt Grundeinkommen. Die andere spricht als Kabarettistin öffentlich über ihre eigenen Schulden und den Reichtum der anderen.
Kennengelernt haben sie sich im Mai, als sie im Fernsehen mit dem Modedesigner Harald Glööckler über "Gutes Geld" diskutierten – aber nicht so oft zu Wort kamen, wie sie hofften.
Weil es so viele, tiefsitzende soziale Vorurteile gibt und die erste Staffel Steile Thesen gut ankommt, geht der Podcast im kommenden Jahr übrigens in die Verlängerung.
November: Die schmutzige Debatte ums Bürgergeld
Apropos Vorurteile: Das neue Bürgergeld spaltet im November das Land und die Politik. Im Bundesrat scheitern die Pläne der Regierung, Hartz IV abzulösen durch ein System, das weniger sanktioniert und mehr vertraut. Die CDU/CSU sieht dadurch die Motivation in Gefahr, arbeiten zu gehen. Die Debatte wird mit negativen Vorurteilen und allerhand Unwahrheiten geführt.
Wer gehofft hatte, dass das Bürgergeld ein erster zaghafter Schritt zu mehr Bedingungslosigkeit unserer Sozialpolitik werden könnte, wird im November maßlos enttäuscht. Wir stellen der ungerechten Gegenwart trotzdem konstruktive Ideen für die Zukunft entgegen: "Bürgergeld? Ja, aber für alle!"
Lina zeigt im November, wozu Menschen in einem Sozialsystem fähig wären, das sie bedingungslos stützt: Die Gewinnerin unseres 920. Grundeinkommens erzählt in einer sehr persönlichen 37 Grad-Reportage, wie sie sich nach ihrem Gewinn selbstständig gemacht hat: "Arbeit ist für mich nicht nur Anstrengung, sondern immer auch Leidenschaft."
Dezember: Das Jahr endet mit ganz viel Hoffnung
Zum Jahresende werden die Folgen von Inflation und Energiekosten immer sichtbarer: Eine Mehrheit der Deutschen muss sich jetzt vor Weihnachten einschränken. Weniger oder keine Geschenke, kein Tannenbaum dieses Jahr sind da noch die mildesten Zeichen. Für viele Menschen fällt Weihnachten auch einfach komplett aus.
Unter dem Motto "Wann, wenn nicht jetzt: Hoffnung schenken!" bieten wir im Dezember unsere Gutscheine an, mit denen man für ein Jahr lang die Chance auf ein Grundeinkommen verschenken kann – auch kostenlos, wenn es nicht anders geht. Nur eine kleine Geste, die aber viel bewirken kann.
Willst du dieses Jahr auch ein bisschen Hoffnung verschenken? Dann probiere doch unsere Gutscheine für die Chance auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus.