Eine heute veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu dem Schluss: Die Hälfte der Deutschen befürwortet ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Dabei würde die andere Hälfte – die momentan noch dagegen ist – ebenso von einem Grundeinkommen profitieren. Das zeigen zumindest unsere Erfahrungen aus fünf Jahren Praxis. Ein Plädoyer gegen die altbackene Polarisierung.
Grundeinkommen ist kein Nischenthema mehr
Die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen führte lange Zeit ein Schattendasein und galt vielen als utopische Spinnerei. Doch diese Zeiten gehören der Vergangenheit an. Inzwischen gibt es in Deutschland eine breite öffentliche und vor allem sachliche Debatte zu dem Thema. Das merken wir tagtäglich in unserer Arbeit. So schafften wir es Ende vergangenen Jahres erst auf die Couch von Anne Will und pünktlich zum neuen Jahr mit unserem Buch “Was würdest du tun?” auf die Bestsellerliste. Das große öffentliche Interesse am Thema ruft natürlich auch die bekannten Umfrageinstitute auf den Plan. Wie steht die Bevölkerung zum Grundeinkommen? Wer sind Befürworter*innen und wer Gegner*innen? Was treibt sie an? Mit genau solchen Fragen hat sich die heute veröffentlichte repräsentative Studie des DIW beschäftigt und kommt zu spannenden Ergebnissen. Hier eine kurze Zusammenfassung:
Die Hälfte ist dafür: In Deutschland befürworten zwischen 45 und 52 Prozent der Befragten ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Die meisten anderen europäischen Länder haben sogar noch höhere Zustimmungsraten.
Zustimmung geht oft mit jungem Alter, hohem Bildungsabschluss, niedrigem Einkommen sowie einer eher linken politischen Einstellung einher.
Gerechtigkeit spielt eine Rolle: Wer die Bedürfnisse der “Schwächsten” in der Gesellschaft als nicht gedeckt sieht, befürwortet eher ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Menschen, denen das Leistungsprinzip besonders wichtig ist, tun sich mit der Idee noch schwer.
Nachdem das Thema Grundeinkommen jahrelang massiv an Zustimmung gewonnen hat, zeigen die Zahlen nun, dass die Zustimmung sich bei circa der Hälfte stabilisiert. Damit es nicht zu einer Polarisierung kommt, ist es an der Zeit mit einigen Missverständnissen aufzuräumen:
1. Polarisierung widerspricht der Grundidee
Die DIW-Studie stellt fest, dass über 65-Jährige sowie Menschen mit hohem Einkommen und konservativen Ansichten das Grundeinkommen eher ablehnen, während junge, studierte Menschen mit niedrigem Einkommen und eher linken Einstellungen die Idee weitestgehend favorisieren. In den letzten zwei Jahren hat sich die Zustimmung in dieser Gruppe sogar noch stärker ausgebaut.
Diese Entwicklung ist nachvollziehbar: Viele aus der älteren Generation haben den Großteil ihres Lebens damit verbracht, viel zu arbeiten – für sich selbst und die eigene Familie. Sie haben verinnerlicht, dass man sich ein gutes Leben erst durch harten Einsatz verdienen muss. Grundeinkommen hinterfragt diese Logik und das empfinden viele von ihnen als Angriff auf ihr Lebenskonzept. Die jüngeren Generationen (Gen Y und nun vor allem die Gen Z) hingegen sind in mehr Sicherheit aufgewachsen. Viele haben dadurch ein besonders vertrauensvolles Welt- und Menschenbild, ihr Denken ist globalisierter und ihr empathisches Bewusstsein ist stark ausgeprägt. Sie sehnen sich nach fundamentalen aber gewaltfreien Lösungen. Dazu passt das Grundeinkommen perfekt.
Ein Grundeinkommen können wir allerdings nur einführen, wenn alle mit an Bord sind: jung und alt, reich und arm, mit und ohne Studium, von links bis konservativ. Am Ende sollen es ja auch alle bekommen. Und das geht nur, wenn wir bereit sind, uns gegenseitig zu vertrauen, statt uns gegenseitig zu kontrollieren. Wenn wir füreinander da sind, statt gegeneinander zu agieren.
2. Gerade die Skeptiker*innen würden von einem Grundeinkommen profitieren
Viele denken: Geld vom Staat für alle, da profitieren vor allem die Armen! Das dachten wir auch. Aber in den letzten fünf Jahren haben wir über 300 Menschen aller gesellschaftlichen Schichten Grundeinkommen ausgezahlt und festgestellt: Bedingungslos Geld zu erhalten wirkt bei allen und – zu unserem Erstaunen – besonders bei denen, die immer dachten, sie hätten längst genug.
Grundeinkommen beflügelt Gutverdiener*innen
Das erklären uns die Gewinner*innen so: Zwar war in ihren Familien immer genug Geld da, es war aber mit einem hohen Leistungsanspruch, einem verinnerlichten Druck oder einer subtilen Erwartung verknüpft. Dadurch herrschte oft ein Leben lang ein angespanntes Verhältnis zum Geld. Weil die Menschen aber nichts anderes kannten, hielten sie die Getriebenheit bei der Arbeit oder die Ängstlichkeit beim Umgang mit Geld für normal. Erst mit dem bedingungslosen Geld konnten sie darüber reflektieren, dass sie ihr Leben bisher zwar ohne finanzielle Not, aber in einer Art Hamsterrad verbracht haben.
Die Gewinnerin und Hotel-Erbin Marlene zum Beispiel hat erst durch ihr Jahr mit Grundeinkommen die Reflexionsfähigkeiten und das Selbstvertrauen erlernt, um mit ihren finanziellen Privilegien verantwortungsvoll umzugehen und ihr Potential zu entfalten. Erst durch die Erfahrung der Bedingungslosigkeit kam der Wohlstand in ihrem Herzen an.
Grundeinkommen beflügelt ältere Menschen
Wer ein Leben lang hart für sein Geld gearbeitet hat, dem mag es bisweilen schwer fallen, einer neuen Generation zu gönnen, dass sie ohne den Zwang zur ebenso harten Arbeit ein sorgenarmes Leben führen kann. Wofür hat man sich dann krumm gemacht?
Anderen zu gönnen ist leichter, wenn man selbst genug hat. Deshalb ist es so wichtig, dass ein Grundeinkommen an alle Menschen in der Gesellschaft ausgezahlt wird. Und deshalb ist es auch nachvollziehbar, warum viele ältere Menschen gegen ein Grundeinkommen sind: Sie haben schlicht und ergreifend nicht genug Geld und damit die berechtigte Sorge, zu kurz zu kommen. 70 Prozent aller Renten liegen unter 1.000 Euro. Das ist ein Skandal, der mit einem Grundeinkommen sofort behoben wäre.
Ältere Menschen wie Erdmute, Gabi und Freddy berichten: Mit dem Grundeinkommen fühlt sich das Alter nicht mehr wie eine Ruhigstellung an. Zwei von ihnen machten sich sogar mit 60 nochmal selbstständig, weil sie es sich plötzlich leisten können, einen Beitrag zu leisten.
Grundeinkommen beflügelt Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen
Befürworter eines Grundeinkommens sprechen häufig davon, dass sich damit jeder selbst verwirklichen könnte, die kreativen Branchen florieren würden und gar jeder Mensch ein Künstler werden könnte. Das mag für einige wie ein arroganter und elitärer Traum studierter Leute klingen. Wir haben festgestellt, dass Grundeinkommen aber gerade denen hilft, die bisher nur einen geringen Bildungsabschluss erreichen konnten und deshalb oft prekär leben müssen. Von diesen Menschen fordern Politiker regelmäßig, dass sie mehr Risiko wagen und mehr in ihre Ausbildung investieren. Aber wovon sollen sie dann leben?
Wenn die Menschen aber Grundeinkommen haben, dann haben sie plötzlich neue Möglichkeiten. Viele unserer Gewinner*innen bildeten sich weiter. Christoph zum Beispiel kündigte im Callcenter und kann sich jetzt ein Pädagogikstudium leisten. Meike, René, Jens und viele andere konnten mit Grundeinkommen endlich die Fortbildung machen, die ihnen ermöglicht, das zu verdienen, was ihnen in ihrem Job längst zustand. Gabi, die früh ein Kind bekam, nie eine Ausbildung gemacht hat und sich deshalb heute mit vier Jobs über Wasser hält, konnte den einen Job, in dem sie der Chef ausbeutete, endlich kündigen. Sie fand kurzerhand einen neuen, besser bezahlten.
Grundeinkommen kennt kein Links-Rechts-Schema
Das Grundeinkommen wirkt für viele auf den ersten Blick wie eine genuin linke Idee: Egalitär, weil alle das Gleiche kriegen und emanzipatorisch, weil es die Verhandlungsmacht vieler Menschen, zum Beispiel am Arbeitsplatz, verbessert. Gleichzeitig ist es aber auch sehr liberal: Es wird individuell ausgezahlt, es gibt keine Bedürftigkeitsprüfung, es ermutigt einige gar zum Unternehmertum.
Letztendlich lässt sich das Grundeinkommen einfach nicht in das klassische Links-Rechts-Schema einordnen. Vielmehr ist es ein vernünftiger Mix aus guten Elementen des Liberalismus und des Egalitarismus. Bis zu 1.000 Euro sind wir alle gleich. Darüber kann sich alles ändern, muss es aber nicht.
3. Grundeinkommen schafft Arbeit und Leistung nicht ab, sondern ermöglicht sie
Wenn über Grundeinkommen berichtet wird, geht es meist nur um eine Frage: Wer geht dann noch arbeiten, wenn keine*r mehr muss? Diese Frage ist nachvollziehbar, schließlich arbeiten fast alle Menschen, die wir kennen, Tag ein Tag aus, bezahlt oder unbezahlt. Wer dann einmal im Jahr Urlaub hat, kommt schnell auf den Gedanken: Ach, wenn es doch nur immer so wäre!
Aber mit der Realität hat das nichts zu tun. Erwerbslose leiden darunter, immer “Urlaub” zu haben. In keinem einzigen Grundeinkommensexperiment weltweit sind die Menschen dauerhaft weniger arbeiten gegangen. Unsere Gewinner*innen waren empört, wenn wir sie gefragt haben, warum sie trotz Grundeinkommen weitergearbeitet haben. Ja, selbst Lottogewinner*innen arbeiten weiter, nachdem sie Millionen auf dem Konto haben.
Der Mensch möchte tätig sein und etwas zur Gesellschaft beitragen. Viele aber können nicht das beitragen, was sie gern beitragen würden und sind aufgrund von Geldmangel in schlechter, ineffizienter und krankmachender Arbeit gefangen. Das Grundeinkommen bietet die Möglichkeit, diese Arbeit nicht mehr ausüben zu müssen, sondern einen Job zu finden, der besser passt.
Wir haben in den letzten fünf Jahren gelernt: Allein die Möglichkeit, den Job kündigen zu können, lässt die Menschen mit einer anderen Haltung zur Arbeit gehen. Sie kündigen dann eben nicht, sondern arbeiten teilweise mehr und besser bei gleichzeitig vermindertem Stress. Sie fühlen sich plötzlich wirksam, weil sie aus freien Stück arbeiten gehen. Das Grundeinkommen befreit das Potential, das in den Menschen steckt, indem es die Existenzangst entfernt. Wer nicht mit der Angst im Rücken lebt, der kann klügere und nachhaltigere Entscheidungen treffen und damit langfristig produktiver sein. Wer also will, dass Leistung “sich wieder lohnt”, der sollte ein Grundeinkommen einführen. Denn anders als in unserem heutigen Sozialsystem haben diejenigen, die arbeiten, mit einem Grundeinkommen immer mehr, als diejenigen, die nicht arbeiten. Wer nicht arbeitet hat ein Grundeinkommen und wer arbeitet hat ein Grundeinkommen plus das, was sie*er verdient. Und niemand hat mehr zu wenig.
Für uns bei Mein Grundeinkommen heißt das: Bei uns sollen weiterhin alle mitmachen können, vom Kind bis zur Rentnerin, vom Geringverdiener bis zur Topmanagerin, vom Befürworter bis zur Skeptikerin. Denn ein Bedingungsloses Grundeinkommen hat das Potenzial all diese Gruppen zu vereinen – damit wir die gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellen statt uns gegenseitig. Nur so schaffen wir es, uns als gesamte Gesellschaft weiterzuentwickeln und die großen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.
Von Maheba und Micha
Hier kannst du mitmachen und alle einladen: Vom Befürworter bis zur Skeptikerin.