Fachkräftemangel, kein “Bock auf Arbeit” – sind wir als Gesellschaft etwa lustlos und träge geworden? Wie könnten wir wieder mehr Motivation verspüren? Und was hat das Bedingungslose Grundeinkommen damit zu tun?
Ob Verhaltensforscherin Prof. Dr. Susann Fiedler und Komikerin Helene Bockhorst wohl Lust hatten, die aktuelle Folge von "Steile Thesen" aufzunehmen? Und wenn ja, wären sie damit in Deutschland allein auf weiter Flur?
Glauben wir Steffen Kampeter, dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), so mangelt es uns als Gesellschaft nämlich neuerdings an eben dieser Lust: der Lust, zu arbeiten.
So heißt denn auch die erste steile These, die Helene und Susann in der neuen Folge unseres Video-Podcasts vorgelegt bekommen: 'Fachkräftemangel und zu wenig Bock auf Arbeit – wir sind einfach zu lustlos und faul!'
Dabei stellt sich den beiden die Frage: Sind wir als Menschen wirklich einfach arbeitsscheu? Oder fehlt es uns vielleicht eher an der Motivation, Tätigkeiten zu verrichten, die (nicht) unter bestimmten Rahmenbedingungen stattfinden?
Viele haben es schon einmal gespürt, dieses zermürbende "Und da soll ich jetzt jeden Tag bis zur Rente hin?!"-Gefühl. Es hängt aber häufig gar nicht direkt mit der Arbeit als solcher zusammen, sondern mit den Konditionen, die sie charakterisieren.
Ob wir "Bock haben", liegt ganz oft an diesen und ähnlichen Fragen: Erfahren wir Wertschätzung für unsere Arbeit? Erkennen wir eine Sinnhaftigkeit dahinter? Werden uns dabei bestimmte Freiräume und ein gewisser Grad an Verantwortung zuteil? Arbeiten wir in einem wohlwollenden und empathischen Umfeld?
Tatsächlich haben sich die Bedingungen für Arbeit in den letzten Jahrzehnten durch den technologischen Fortschritt rasant verändert. Aber hat sich dabei auch unsere Gesellschaft an die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen angepasst? Susann stellt im Podcast klar: "Es gibt viele Jobs, die unter Umständen mit bestimmten Tools ganz schön gut ersetzbar sind; da kann man schon mal eine Sinnkrise haben."
Bei vielen Menschen stehen mittlerweile zudem die Themen Gesundheit, Wohlbefinden sowie eine gute Work-Life-Balance auf der Prioritätenliste weit oben. Helene bringt es auf den Punkt:
Ginge es nach Andrea Nahles, der Chefin der Bundesagentur für Arbeit, dürften wir in diesem Zusammenhang zwar Fragen der Work-Life-Balance neu aushandeln, vor allem die jüngere Generation müsse sich aber darüber klar werden, dass Arbeit eben auch "kein Ponyhof" sei.
Stimmt, könnte man sagen – ist sie für viele Menschen wirklich nicht. So zeigt beispielsweise eine Auswertung der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), dass im Jahr 2022 von ihren 1,6 Millionen Versicherten 57.000 Krankschreibungen mit 2,3 Millionen Fehltagen wegen psychischer Probleme eingereicht worden waren.
Nun sind sicherlich nicht sämtliche dieser Erkrankungen direkt oder indirekt auf Gründe beruflicher Natur zurückzuführen. Von ausgebrannten, angsterfüllten oder depressiven Menschen "Bock auf Arbeit" zu verlangen, erscheint jedoch etwas zynisch.
Müsste nicht also der Arbeitsgaul von hinten aufgezäumt werden? Sollten nicht zunächst die Arbeitsbedingungen den durch Digitalisierung und Krisen veränderten Bedürfnissen der Arbeitenden angepasst werden?
Verhandlungssicher dank Grundeinkommen
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) würde es uns als Gesellschaft ermöglichen, solche Jobs zu wählen, die diese Bedürfnisse erfüllen. Es würde die arbeitende Bevölkerung emanzipieren, und Arbeitgeber*innen letztendlich dazu – sagen wir – ermutigen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die auf Arbeitnehmer*innen ansprechend wirken.
Mit dem Grundeinkommen würde es einfacher, unter unglücklich oder krankmachenden Arbeitsbedingungen früher die Reißleine zu ziehen – oder eben Bedingungen auszuhandeln, unter denen wir wieder gern arbeiten gehen.
Denn das tun wir Menschen unter den richtigen Konditionen. Die Treiber für die innere Arbeitsmotivation sind zwar von Person zu Person verschieden; wir tragen aber viel mehr solcher Motivatoren in uns, als wir uns selbst mitunter zugestehen wollen: Identifikation, Erfolg, Verbindung, Sicherheit oder Status – sie alle können sich als "Bock auf Arbeit" zeigen.
Es gilt also, Anreize zu schaffen, und so die Arbeitswelt dem Ponyhof ein wenig ähnlicher zu machen. Findet auch Helene: "Bei allen anderen menschlichen Beziehungen ist ja auch klar: Wenn man will, dass jemand Lust auf einen hat, muss man auch etwas liefern, muss man sich ein bisschen Mühe geben."
Und dann ist da ja auch noch die Generationenfrage. Das Selbstverständnis vieler (vor allem junger) Menschen weicht heute fundamental von demjenigen der Nachkriegsgeneration ab. Diese hätte noch, so Helene, von den Eltern eine "Was-dich-nicht-umbringt"-Mentalität mitbekommen, nach dem Motto: "Wir hatten es auch schwer. Wir haben diese Stadt neu aufgebaut, also heul nicht rum, wenn du die ganze Zeit Überstunden machen musst."
Es sei ein Fortschritt, findet sie, dass wir heutzutage oft sagen: "Hey, ich hätte auch gerne noch ein bisschen was von der Lebenszeit nach der Arbeit, und will dann nicht sofort an einem Lungenkarzinom eingehen, sondern noch ein paar Jahre meinen Garten genießen. Das kommt mir eigentlich nicht wie ein vermessener Wunsch vor."
Bei der Frage nach der Work-Life-Balance sind sich unsere Podcasterinnen einig. Die Studienlage sei klar, sagt Susann: Menschen werden einerseits sehr unzufrieden, wenn sie nicht arbeiten dürfen. Wenn es aber um strukturelle Änderungen geht, wie beispielsweise die 35-Stunden-Woche in Frankreich, werden Menschen gesünder und entspannter, und sie verteilen ihre Hausarbeiten anders.
Mithilfe des BGE passen wir auf uns auf
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde es uns als Gesellschaft ermöglichen, nicht mehr zu arbeiten als gut für uns ist. Wir könnten auf uns achtgeben, ohne finanzielle Engpässe befürchten zu müssen. Stattdessen hätten wir mehr Zeit für unsere Interessen, unser Wohlbefinden und unsere Familien. So könnte das BGE einen Weg in eine zufriedenere, produktivere und ausgewogenere Arbeitswelt weisen.
Aber wären wir dann nicht auf gesamtgesellschaftlicher Ebene am Ende viel unproduktiver? Die zweite These, die Helene und Susann diesmal diskutieren, lautet: 'Produktiver ist, wer mehr arbeitet und mehr verdient!' Ob das so stimmen kann, erfährst du, wenn du die "Steilen Thesen" anhörst – oder Susann und Helene beim Diskutieren auf YouTube zuschaust.
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Die nächste Folge erscheint am 15. Juni und es wird darin um das Thema Grundsicherung gehen. Du darfst gespannt sein!
Was denkst du? Sollte Arbeit immer auch ein bisschen Ponyhof sein? Oder müssen wir mit der Peitsche vor dem Joch hergetrieben werden, um produktiv zu sein? Schreib es uns in die Kommentare!
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