Fünfzehn Jahre lang versucht Lara, den Stress ihres Berufs durch noch mehr Anstrengung zu besiegen. Aber der Druck macht alles nur noch schlimmer. Erst in ihrem Jahr mit Grundeinkommen findet Lara einen Ausweg. Malina hat sie zuhause besucht.
Ein Apriltag in Lüneburg. Es ist noch zu frisch zum draußen sitzen, wir machen es uns in Laras* Sofaecke bequem. Sie erzählt aus ihrem Jahr mit Grundeinkommen. Aber auch von einer einschneidenden Entscheidung kurz vor ihrem Gewinn und wie es dazu kam. Laras Grundeinkommensgeschichte ist auch ihre Lebensgeschichte.
Alles beginnt an einem Haus am See. "Dort bin ich fröhlich und naiv in Mecklenburg über die Wiesen gehüpft", so blickt Lara auf ihre Kindheit zurück. Sie darf Tiere haben, einen Hund, eine Katze, ein Meerschweinchen. Das Leben als Kind hat für Lara Bullerbü-Charakter.
"Irgendwann kommt ja die Zeit, wo man überlegen soll: Was willst du denn mal werden?" Lara will Tieren helfen, will, dass sie gesund sind. Tierärztin will sie werden. Um einen Studienplatz zu bekommen, braucht Lara ein Einser-Abitur. Da ihre Noten in der Oberstufe dafür noch nicht ausreichen, entscheidet sie sich, die 11. Klasse zu wiederholen. Sie schafft es und studiert Tiermedizin.
Zeit, Geld, Schlaf... alles wird knapp
Nach dem Studium bekommt Lara ihre erste Anstellung als Tierärztin. Sie ist in ihrem Traumjob angekommen – dann aber schlägt die harte Berufsrealität zu. Anfangs hat sie jedes zweite Wochenende Notdienst. Insgesamt 60 Stunden, in denen sie in der Praxis die einzige Ansprechperson für alle Notfälle ist. Laras soziales Umfeld bröckelt. Sie schafft es nicht mehr, sich mit Freund*innen zu treffen, zu Familienfeiern zu fahren und zeitweise liegt auch ihre Beziehung auf Eis.
Lara wechselt die Tierarztpraxis und verspricht sich davon Besserung. Aber auch hier steht das kleine Team rund um die Uhr für die Menschen mit ihren tierischen Patienten zur Verfügung. Feiertage inklusive, Überlastung inklusive. Wenn mal nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen gefragt wird, gibt es nur die Antwort: "Notfälle in die Kliniken weiterschicken, das machen nur Verpisser-Praxen."
Die Tage in der Praxis sind lang. "Die Leute kamen auf den Trichter: Wenn sie kurz vor Schluss kommen, müssen sie nicht so lange warten." Das führt oft dazu, dass Lara ihren Zug nach Hause verpasst und sich ein neues Ticket kaufen muss. Als Lara ihre zwei Kinder bekommt, wird alles knapp: "Die Zeit, der Schlaf, das Geld. Gut verdienen kann ich, vor allem im Notdienst, nicht."
Neben der zeitlichen Überlastung verkümmert Laras Wunsch, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Mit neuer Motivation beginnt sie ihre Arbeit in der dritten Praxis. Lara will gerne dazulernen, Ultraschall interessiert sie. Da wieder zeitlich alles so eng gestrickt ist, bleibt aber kein Raum zum Lernen. Sie erledigt, was die Praxis braucht.
Lara stellt im Nachhinein fest: "Ich bin fachlich zusammengesackt. Ich war so traurig darüber, dass ich doch dazulernen wollte, aber immer schlechter, immer angepasster und immer grauer wurde. Und gar nicht mehr ich war."
Ein Warnschuss des Körpers als Stoppschild
Obwohl Lara über ihre Grenzen geht, kämpft sie sich weiter durch: "Ich muss mich mehr anstrengen", versucht sie sich vorzuhalten. Sie hat so viel für diesen Beruf getan. Sie will ihr Studium "nicht wegschmeißen". Auch bedeutet ihr Job finanzielle Sicherheit für sie, ihren Partner und die beiden Kinder.
15 Jahre geht das so. Lara hat Schlafstörungen, die sie zunächst nicht ernst nimmt. Dann gibt ihr Körper ein noch deutlicheres Warnsignal: Eine Auto-Immunkrankheit bricht aus. Das ist für Lara das Stoppschild. Sie kündigt.
Plötzlich Pause. "Keine Ansprüche, weder von mir an mich, noch von irgendjemanden an mich. Ich war total glücklich in meinem Kokon, wo mich niemand erreichen konnte", erinnert sich Lara. Aber sie hat auch Zukunftsangst: Wie soll es jetzt bloß weitergehen?
Kurz nach ihrer Kündigung gewinnt Lara Grundeinkommen. Auch ihr Partner gewinnt als Tandem ein Grundeinkommen für ein Jahr. Damit ist die finanzielle Sicherheit wiedergewonnen, die mit der Kündigung verloren ging.
Lara sieht klar, was sie als erstes geraderücken muss: "Dass ich wieder gesund werde." Sie sucht ein auf Immunkrankheiten spezialisiertes Labor auf, sie kauft Probiotika und entzündungshemmende Mittel. Mit der ersten Grundeinkommens-Überweisung zahlt sie die Rechnungen für ihre Gesundheit.
Fast ein Jahr lang kann Lara im Lüneburger Impfteam arbeiten. Sie erfährt, wie Arbeit unter guten Bedingungen laufen kann. Und sie kann sich so in der Corona-Pandemie für andere einsetzen. Lara kommt zur Ruhe, geht wieder Reiten und Tanzen, lernt neue Menschen kennen. "Mein Leben ist wieder bunt", freut sie sich. Auch die Krankheitssymptome lassen nach.
Dranbleiben! Mit dem wichtigsten Newsletter zum Grundeinkommen
In dem Jahr mit Grundeinkommen und nach ihrer Kündigung fragt sich Lara auch: "Welcher Typ von Mensch bin ich eigentlich?" Sie probiert sich an Persönlichkeitstests und besucht ein Coaching. Lara lernt, ihre eigenen Wünsche und Grenzen klar zu kommunizieren. Und sie stellt fest: Es muss nicht immer alles so laufen, dass es nach außen optimal erscheint, dass es ins Bild der Anderen passt. Viel wichtiger ist, sich auf die eigenen Stärken und Interessengebiete zu fokussieren.
Eines dieser Interessengebiete ist seit langem die Nachhaltigkeit: Wie können wir als Gesellschaft möglichst schnell auf den Klimawandel reagieren? Lara sieht dieses Thema als den Einflussbereich, in dem sie fortan verstärkt wirken will.
Ein Aspekt davon kann nachhaltiger Tourismus sein. "Tourismus als kleine Blaupause für das, was auch im Größeren funktionieren kann", sagt Lara. Sie probiert es schon mal in dem Haus ihrer Eltern aus, das sie inzwischen an Urlauber*innen vermietet. Das Haus soll energieeffizient gestaltet werden. Auf dem See schippert bereits ein Boot, das allein durch Pedalantrieb vorwärts kommt. Ihren Gästen gefällt’s.
Und so kehrt Laras Erzählung an den Anfang zurück, an das Haus am See.
* Lara heißt eigentlich anders. Aus Rücksicht auf ihre Privatsphäre nennen wir sie in diesem Text Lara. Ihre Geschichte und ihre Zitate haben wir nicht verändert.
Was denkst du? Bist du in einer ähnlichen Situation, wie Lara sie erlebt hat? Wie gehst du mit Stress und Überlastung um? Schreib es uns in die Kommentare!
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