Alle haben eine Meinung über die Generation Z: Sie sei entweder faul und unpolitisch – oder aktivistisch und extrem. Ja, was denn nun?! Wir reden nicht über die jungen Erwachsenen, sondern lassen sie selbst sprechen. Kyo (22) aus Sachsen und Ianthe (20) aus Thüringen erzählen uns ganz offen, was ihnen heute Angst macht und wie sie sich eine bessere Zukunft vorstellen. Wer die GenZ verstehen will, sollte ihnen zuhören.
Dresden, vier Tage vor der Landtagswahl, 33 Grad. Wir haben uns mit Kyoji zu einem Picknick auf den Elbwiesen verabredet. Aber in der Sonne ist es viel zu heiß, also verziehen wir uns unter die schattigen Bäume flußabwärts. Setzen uns auf eine Decke und stoßen mit kühler Ostmost-Limo an.
"Nenn mich einfach Kyo! Die meisten Leute können Kyoji eh nicht richtig aussprechen", stellt sich der 22-Jährige vor. Kyo ist in Dresden geboren und hat nie woanders gelebt. Er hat Fachabitur gemacht und würde gerne Fotograf oder, noch lieber, Regisseur werden: "Ich liebe einfach Kreativität."
Wenn man Kyo fragt, wie nah dieses Ziel ist, sagt er: "Sehr, sehr, sehr weit weg! Ich könnte jetzt zehn Jahre lang 'sehr' sagen. Einfach, weil ich die finanziellen Möglichkeiten nicht habe." Er hat Freunde, deren Eltern ihnen alle beruflichen Träume ermöglichen. "Ich bin nicht neidisch auf sie – aber es ist unfair. Es macht was mit einem. Ich werde abwechselnd wütend und traurig, dass manche diese Möglichkeiten haben und andere, die es so sehr wollen, aber nicht."
Kyos Familie unterstützt ihn, so sehr sie kann. Aber es reicht nicht. Seine Mutter bezieht seit 15 Jahren Hartz IV und jetzt Bürgergeld. "Aber sie war nie eine Person, die faul zuhause rumliegt. Sie hat immer versucht, ihr Bestes zu geben", das ist ihm wichtig zu betonen. Weil es zuhause trotzdem nicht immer einfach war, ist Kyo vor zwei Jahren mit Hilfe des Jugendamtes in eine eigene Wohnung gezogen. "Ich habe immer zu meiner Mum gehalten, aber der Abstand jetzt ist schön."
Seit seinem Auszug bezieht Kyo selbst Bürgergeld. Er will auf eigenen Beinen stehen, das merkt man. Dafür hat er schon einiges versucht: Ein Jahr lang hat er sich zum Sozialassistenten ausbilden lassen, dafür ein Praktikum in einem Altenpflegeheim begonnen. Das musste er nach persönlichen Schicksalsschlägen abbrechen: "Ich hatte einen Nervenzusammenbruch, das hat mich mental so fertig gemacht." Seitdem hat er größten Respekt vor allen Pflege-Fachkräften.
Eine Bewerbung zur Ausbildung in einem Fotostudio in Süddeutschland scheiterte wegen Corona. Die private Fotoschule in Hamburg, auf die er gerne gehen würde, war viel zu teuer. Schließlich stotterte Kyo noch bis letzten Monat die Schulgebühren für sein Fachabitur ab: "Dadurch hatte ich nochmal 150 Euro weniger zum Leben im Monat."
Zuletzt jobbte Kyo bei H&M. Sein Gehalt wurde auf das Bürgergeld angerechnet. Dass Christian Lindner das Bürgergeld nochmal um 20 Euro kürzen will, lässt Kyo nur mit dem Kopf schütteln. "Ihm möchte ich sagen: Dir machen diese 20 Euro nichts aus, aber für mich ist das ein ganzer Einkauf."
Alle Menschen, die sagen, das Bürgergeld sei genug oder sogar zu viel, sind für Kyo "so empathielos und unfair". Weil er gleichzeitig beobachtet, wie viele extrem reiche Menschen sich immer mehr Geld in die Taschen stecken. Stattdessen werde aber nur über 14.000 Totalverweigerer diskutiert. "Ich verstehe nicht, warum alle ehrlichen Menschen mit denen in einen Topf geworfen werden und darunter leiden müssen. Können wir nicht aufhören, arme Menschen gegeneinander auszuspielen?"
Es ist schon später Nachmittag, aber wir haben noch so viele Fragen an Kyo. Wie schaut er auf seine eigene Zukunft? Und die seiner ganzen Generation? Und was werden die Landtagswahlen verändern?
Ortswechsel. Erfurt, mitten in der Altstadt. Auch hier scheint die Sonne. Ianthe empfängt uns vor den Stufen vom alten Schauspielhaus, das jetzt KulturQuartier heißt.
Graffiti an den Hauswänden, farbige Lichtpunkte tanzen vom Sonnenschein und Ianthes Hose leuchtet bunt. Wir setzen uns auf die Treppe und sie fängt an zu erzählen. Von früher...
Ianthe ist bei ihrem Papa aufgewachsen, er hat viel gearbeitet, oft auch Nachtschichten: "Ich war viel auf mich allein gestellt." Meist gab es zum Frühstück Toast. Manchmal kaufte ihr Papa extra Ianthes Lieblingskäse: "Für 4,30 Euro! Dabei hat das Toastbrot doch nur 75 Cent gekostet." Das sind die schönen Momente, an die sie sich Ianthe erinnert.
Die beiden wohnten in einer kleinen Zweiraumwohnung. Ianthe hat es noch vor Augen: "Um in mein Zimmer zu kommen, musste ich immer erst durch das Zimmer von meinem Papa." Sie will so früh wie möglich ausziehen, unabhängig sein.
"Viele in meinem Alter wollen natürlich aus dem Elternhaus ausziehen und müssen sich dann eine eigene Wohnung leisten, also eine Mietwohnung", erzählt Ianthe, "Wohnthemen sind groß in meiner Generation." Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass der Auszug eine finanzielle Herausforderung ist: "Das ist ja nicht nur die Miete, da kommt eine Versicherung, das eigene WLAN und einmalig die Kaution dazu. Kaution, davor fürchten sich die meisten - da werden schnell mal 1.400 Euro verlangt."
Inzwischen wohnt Ianthe mit ihrem Freund zusammen. Sie hat ihr ganz eigenes Zimmer, eine Wand darin gelb gestrichen und fühlt sich "das erste Mal zu Hause." Nur der Blick aus ihrem Fenster sei gerade grässlich: Sie schaut direkt auf ein AfD-Wahlplakat. Jugendliche hatten ein Vorheriges sogar runtergerissen, wurden dabei aber erwischt. "Kurze Zeit später hing ein neues Plakat da. Jetzt guckt mich morgens immer Höcke an." Ianthe verzieht ihr Gesicht.
Um die Miete und sämtliche Kosten bezahlen zu können, arbeitet Ianthe vormittags als Putzkraft in einer Apotheke. Danach beginnt ihr zweiter Job im Büro vom Kalif Storch, einem mittlerweile sehr etablierten Club hier in Erfurt: "Ich wollte das Club-Leben kennenlernen, aber am Tag. Ich schnuppere überall mal rein, bei der Technik, im Social Media Bereich oder bei der Veranstaltungsbuchung." Mit beiden Arbeitsstellen kommt sie als Minijobberin auf 538 Euro.
Neben ihren Jobs engagiert sich Ianthe viel ehrenamtlich. Sie will ihre Stadt aktiv mitgestalten: "Für Erfurt, weil ich hier gerne lebe und aufgewachsen bin und Erfurt ist einfach so ein Zuhause für mich. Ich möchte, dass das auch für ganz viele andere so ist."
Ianthe denkt an Erfurt als ihr Zuhause, aber auch an die Landtagswahlen und Fragen hämmern in ihrem Kopf: "Was ist das für ein Ergebnis? Wie beeinflusst das meine Zukunft? Wie beeinflusst das dann, wie ich hier weiter leben kann?"
In ihrer ehrenamtlichen Arbeit gestaltet Ianthe das soziale und kulturelle Leben in Erfurt mit. Schon früh ist sie bei Radio F.R.E.I. aktiv, das inzwischen "wie eine zweite Familie" für sie ist. Ianthe schreibt eigene Beiträge, gestaltet Sendungen und führt Interviews. "Aber das ist leider zu kurz gekommen in den letzten Monaten, weil ich einfach zu viel arbeite, um Geld zu verdienen."
Auch den Verein ArbeiterKind.de unterstützt Ianthe gerne - sie hilft dort jungen Menschen ins Studium zu kommen. "Vor allem Leute, die als erste in der Familie studieren - so wie ich", ergänzt Ianthe.
Eigentlich wollte Ianthe erst gar nicht studieren, aber ihr Papa meinte: "Jetzt hast du dich schon durchs Abitur gebissen, jetzt musst du das auch nutzen." Also bewarb sie sich für ein einziges Studium, eines, das ihr wirklich viel bedeutet: Medienkunst und Mediengestaltung an der Bauhaus-Universität in Weimar. Ianthe wurde angenommen. Am liebsten möchte sie Dokumentarfilmerin werden.
In Dresden unterbricht jetzt eine Lautsprecherstimme unser Gespräch mit Kyo. Wir schauen rüber zum anderen Elbufer. Auf dem Schlossplatz hält Sahra Wagenknecht mit sonorer Stimme eine Wahlkampfrede. Kyo sagt: "Ich halte nichts von ihrer Partei, gar nichts. Dabei bräuchten wir so dringend eine gerechtere Sozialpolitik. Aber in der politischen Stimmung jetzt glaube ich, dass alles eher schlimmer als besser wird."
Ein paar Tage später werden in Sachsen 10 Prozent der Unter-24-Jährigen für das Bündnis Sahra Wagenknecht stimmen – aber 31 Prozent für die AfD. Im Nachbarland Thüringen sogar 38 Prozent. Was hält Kyo davon, dass so viele in seiner Generation hier noch extremer wählen als die Älteren? "Die meisten wählen rechts, weil sie entweder mit der Regierung unzufrieden sind oder weil sie einfach sozial total schlecht dastehen." Bei Kindern und Jugendlichen komme das vor allem durch den Einfluss der Eltern und durch Social Media.
Kyo weiß, wovon er spricht. Er hatte selbst eine rechte Phase: "Bei mir kam das durch mein Umfeld: In der Schule, bei Pegida, überall wurde gesagt: 'Merkel muss weg!' Oder: 'Die Migration legt Deutschland in Schutt und Asche.' Das habe ich als Kind aufgeschnappt und dachte, das wäre gut, weil das alle sagen.
Dass das rechte Denken nur eine Phase blieb, hatte bei Kyo auch mit seiner Selbstfindung zu tun: "Als ich gemerkt habe, dass ich schwul bin, war da dieser typische Selbsthass. Männer, die sich schminken, fand ich übelst eklig." Nur langsam sei er ins Nachdenken gekommen: "Schadet es mir, was die anderen da machen? Nein? Warum soll ich dann dagegen sein?" Heute macht sich Kyo selbst die Nägel. Und hat diese Erkenntnis auch auf seine politische Haltung übertragen. "Aber das war ein jahrelanger Prozess."
Die radikalen Ansichten der Anderen machen ihm nur noch Angst: "Vor kurzem sind in Bautzen 700 Neonazis gegen den CSD aufmarschiert – und das waren keine Erwachsenen! Als ich das gesehen habe, dachte ich nur: Damn, ich habe Angst! Auch um meine Freunde ohne deutschen Pass. Weil unsere Generation dafür bekannt ist, radikaler zu sein."
Natürlich gibt es die eineGeneration Z gar nicht. Die Neonazis in Bautzen und den queeren Kyo aus Dresden verbinden nur ihr Alter und ihre Heimat – ansonsten trennen sie Welten. Ist es da nicht vermessen, überhaupt zu fragen, wie er eine ganze Generation sieht? Kyo rollt bei der Frage lachend die Augen, hat dann aber doch eine Antwort parat:
"Wir sind die mit den Zukunftsängsten. Wir werden nicht ernst genommen, was psychische Probleme angeht. Wir werden als faul bezeichnet. Aber das haben Ältere ja schon immer über die jüngere Generation gesagt. Der Unterschied zu früher ist: Wir lassen uns weniger gefallen, sind aktiver und direkter. Aber gebt uns daran nicht die Schuld – schließlich habt ihr uns so erzogen!"
An Fridays for Future habe man am Besten sehen können, was er meint: "Wir gehen halt eher mal auf die Straße. Weil wir Veränderung wollen. Weil wir sehen: So, wie es ist, funktioniert es nicht mehr." Leider sei das, wie so oft, ohne Wirkung geblieben: "Das ist typisch Politik. Typisch für CDU, FDP, AfD und generell alle konservativen Parteien. Dass Kinder und junge Erwachsene überhaupt nicht ernstgenommen werden."
Kyo wünscht sich, dass auf seine Generation stärker gehört wird, weil "wir Ahnung haben, selbst wenn das manchmal nicht so aussieht". Aber was würde er fordern, wenn er und seine Generation das Sagen hätten?
Zurück in Erfurt. Auch Ianthe sieht mit Sorge in ihre Zukunft: "Ich stell mir immer gerne vor, dass ich eine Pflanze bin und gerne aufblühen möchte. Aber dafür brauche ich ein geeignetes Umfeld – und da fürchte ich natürlich, dass das Umfeld hier nicht geschaffen ist. Eine meiner größten Ängste ist, ob ich mich selbst verwirklichen und so leben kann, wie ich mir das gerne vorstelle. Auch mit einem Job, der mir Spaß macht. Nicht nur das, sondern der mich auch absichert."
Auch die Rente macht Ianthe Angst – oder vielmehr eine ausbleibende Rente: "Uns wird oft gesagt, 'Wenn du später alt wirst, dann hast du keine Rente mehr' und dann denke ich mir: Okay, wie soll ich mich dann später mal finanzieren, wenn ich nicht mehr arbeiten gehe? Und wenn ich keinen Job hatte, mit dem ich mir ein Vermögen ansparen konnte? Ich glaube, das beschäftigt auch viele andere in meiner Generation."
Ein Grundeinkommen würde Ianthe diese Absicherung geben: "Ich glaube, das wäre für meine Generation ganz wichtig. Dann wüsste ich zum Beispiel, wenn ich mal krank bin, habe ich trotzdem mein Grundeinkommen, bin nicht komplett aufgeschmissen und muss mich nicht wieder an meine Eltern wenden."
Ianthe kennt viele Menschen in ihrem Alter, die gerade jetzt in ihren jungen Jahren Geldprobleme haben. Sie ist sich sicher: "Ein Grundeinkommen würde helfen, sich selbst zu verwirklichen, sich unabhängig zu machen und den nächsten großen Schritt im Leben zu gehen."
In Dresden verschwindet die Sonne direkt hinter dem Landtagsgebäude. Ob das ein gutes oder schlechtes Omen ist? Wir fragen Kyo, wie er die Armut, unter der er selbst leidet, und die Spaltung der Gesellschaft bekämpfen würde. Die Frage ist noch gar nicht ganz raus, als er unterbricht: "...mit einem Grundeinkommen!"
Wir hätten auch alle anderen Antworten genommen, aber Kyo ist überzeugt: "Jeder hätte zumindest die gleichen Startchancen. Die Schere zwischen Arm und Reich würde sich mehr schließen, wenn auch nicht komplett. Es gäbe weniger Armut. Die Bildungslücke würde sich schließen, weil dann auch Alleinerziehende ihren Kindern mehr Möglichkeiten bieten könnten."
Sein bester Freund hat ihm vor zwei Jahren die Seite von Mein Grundeinkommen gezeigt. "Seitdem bin ich bei fast jeder Verlosung dabei." Unsere letzte Frage an Kyo liegt auf der Hand: Was würde er tun, wenn er gewinnen würde?
"Ich könnte meine Leidenschaft endlich zum Beruf machen: das Fotografieren oder Directing. Ich hätte für mich persönlichen Frieden – selbst wenn es nur für ein Jahr ist. Und ich könnte meine Freunde in Österreich besuchen." Für Kyo wäre das sein erster richtiger Urlaub – und der allererste außerhalb von Deutschland.
Dann überlegt Kyo noch kurz und sagt: "Es ist doch einfach so: Ob du mit 1.200 Euro oder mit 500 Euro starten kannst, ist einfach ein gewaltiger Unterschied. Mit 1.200 Euro kannst du dir eine Zukunft leisten."
Willst du wissen, wie das Grundeinkommen wirklich das Leben junger Menschen verändert? Wir haben unsere Gewinner*in Nina (21) zuhause in Seesen am Harz besucht.