Als ich vor vier Jahren mit Mein Grundeinkommen startete, tat ich das aus der fixen Idee heraus, einfach mal auszuprobieren, was Grundeinkommen mit Menschen macht. Hätte mir zu dem Zeitpunkt jemand gesagt, dass ich bald bei Anne Will vor 4 Mio. Zuschauer*innen sprechen würde – ich hätte die Person für verrückt erklärt.
Aber genauso ist es gekommen. Wir erleben gerade den vielleicht rasantesten Aufstieg einer politischen Idee überhaupt. Vor 10 Jahren kannte nur jede*r dritte in Deutschland das Konzept des Grundeinkommens, heute ist bereits jede*r zweite für seine Einführung. Diese Welle haben wir mit Mein Grundeinkommen nicht nur geritten, sondern sie auch – dank euch – selbst losgetreten. Wie aufregend!
Anlass der Anne-Will-Sendung waren die zunächst vollmundigen Versprechen der SPD, Hartz IV überwinden zu wollen. Dazu kamen aus der Partei zwei halbgare Vorschläge, die zwar das Wort Grundeinkommen benutzen, aber nicht im Geringsten etwas damit zu tun haben. Konkreter wurde der Vorschlag von Grünen-Chef Robert Habeck. Seine Garantiesicherung kommt unserer Meinung nach einem Grundeinkommen noch am nächsten.
Immerhin: Die meisten Parteien erkennen mittlerweile, dass Hartz IV Armut nicht nur verschärft, sondern auch für schlechtere Jobs und niedrigere Löhne sorgt. Bei Anne Will wollten meine Mitdiskutant*innen von SPD, CDU und Linken allerdings noch lange keine fundamentalen Änderungen am System, sondern nur Nachbesserungen.
Hartz IV spaltet und lähmt alle
Aus meiner Sicht haben sie nicht verstanden, wie weitreichend die Wirkung von Hartz IV ist. Durch die Androhung von Existenzkürzungen sind Erwerbslose gezwungen, jeden noch so miesen Job anzunehmen. Einen Effekt hat das nicht nur auf die Betroffenen selbst: Hartz IV erhöht die Abstiegsangst in der gesamten Gesellschaft. Diese diffusen Ängste, die nur den wenigsten wirklich bewusst sind, führen oftmals zu Krankheit. Jede*r dritte Deutsche ist Burnout-gefährdet. Und sie führen zu einem gesellschaftlichen Klima, in dem es einfacher ist, mit dem Finger auf Schwächere zu zeigen als die Verhältnisse zu verändern, welche die Ängste auslösen.
Kurz gesagt: Hartz IV spaltet die Gesellschaft und lähmt den Mut aller in unserem Land - das können wir uns nicht mehr leisten!
Zwar verfingen sich meine Mitdiskutant*innen immer wieder in kleinteiligen Diskussionen um Fragen wie „Wer soll wie bestraft werden?“ und „Was ist zumutbare Arbeit?“. Trotzdem konnten wir glücklicherweise ein Drittel der Sendung tatsächlich über das Bedingungslose Grundeinkommen sprechen.
Grundeinkommen ist ein neues Paradigma
Wichtig war mir, klarzumachen: Grundeinkommen ist kein besseres Hartz IV, sondern ein fundamental neues Paradigma. Anders als Hartz IV ist Grundeinkommen nämlich keine bevormundende Versorgungsleistung für Arme, sondern eine Investition in alle Menschen der Gesellschaft. Ja, auch für arme Menschen, aber eben auch für alle anderen.
Seine größte Sorge formulierte Gesundheitsminister Jens Spahn sogleich: Wer geht denn dann noch arbeiten, wenn er nicht mehr muss? Meine Antwort hätte gelautet: Alle Grundeinkommens-Experimente weltweit, auch unser eigenes, zeigen: Zwar kündigen bis zu 10% der Menschen ihre Jobs, aber sie arbeiten in besseren Jobs weiter, machen sich selbstständig oder bilden sich weiter. Niemand wird faul.
Über seine langwierigen Ausführungen kam es gar nicht mehr dazu, dass ich eine Antwort geben konnte. Vermutlich war er daran auch gar nicht interessiert. Es geht in Wahrheit sowieso um etwas anderes.
Es geht gar nicht ums Geld
Aus der Praxis von über 200 Grundeinkommensgewinner*innen haben wir nämlich gelernt: Ein Grundeinkommen wirkt vor allem deshalb, weil es bedingungslos ist.
Denn die Tatsache, etwas von der Gemeinschaft geschenkt zu bekommen, fühlt sich wie ein monatlicher Mutmacher an. Wir haben herausgefunden: Die Menschen wandeln diesen Vertrauensvorschuss in Selbstvertrauen um. Sie arbeiten motivierter und sind dabei weniger gestresst, leben gesünder, bilden sich fort und entwickeln einen neuen Tatendrang.
Es geht also nicht so sehr um die Frage, was die Menschen mit dem Geld machen, sondern vielmehr darum, was das Geld mit den Menschen macht. Genauso, wie wir bei Hartz IV die Strahlkraft auf die gesamte Gesellschaft verstehen müssen, anstatt immer nur technokratisch über den Geldtransfer zu debattieren, müssen wir beim Grundeinkommen verstehen, dass sich seine große Wirkung dadurch entfaltet, dass es seinen Empfänger*innen im Subtext sagt: Wir glauben an dich, wir vertrauen dir!
Wir müssten diese Debatte also nicht nur rational, sondern auch empathisch führen. Dazu sind allerdings nicht alle bereit. Es war deshalb wenig überraschend für mich, dass an dieser Stelle Jens Spahn den Fokus schnell aufs angeblich rationale, berechenbare lenkte, indem er fragte: Wie in aller Welt wollen sie das finanzieren?
Finanzierung: Grundeinkommen ist schon da
Schwieriges Thema. Deshalb ist es mir in der Sendung auch nicht gelungen. Das Stichwort „Finanzierbarkeit“ ist ein beliebtes Totschlagargument. Wer die Antwort verweigert und auf die Komplexität verweist, wird mit einem „Siehste, es ist eben nicht finanzierbar!“ niedergemacht. Wer versucht die Komplexität einfach zu erklären, verheddert sich schnell in irgendwelchen Details, die man dann munter diskutiert anstelle des Prinzips, um das es eigentlich geht. So etwas wird in Rhetorik-Seminaren gelehrt. Ich muss noch lernen, dem nicht auf den Leim zu gehen.
Klar ist: Grundeinkommen ist finanzierbar, wenn man es einführen will. Darüber haben sich schon verschiedene Expert*innen gründliche Gedanken gemacht (wer’s genauer wissen will, dem lege ich diesen Einstieg in die vielfältigen Finanzierungsmodelle ans Herz). Natürlich müssen wir als Gesellschaft entscheiden, ob wir die Einnahmen aus dieser oder jener Quelle dafür verwenden (etwa Einkommenssteuer, Vermögenssteuer oder Transaktionssteuer etc.) und wieviel wir dafür ausgeben wollen. Aber das sind Details, die grundsätzlich nicht das Grundeinkommen in Frage stellen. Wenn ich nach Paris reisen will, kann ich mit dem Auto, dem Bus oder der Bahn fahren. Aber zuallererst muss ich entscheiden, ob ich überhaupt nach Paris will.
Jens Spahn will – im Bild gesprochen – offenbar prinzipiell nicht nach Paris, allerdings aus Gründen, die er uns nicht verrät, und diskutiert deswegen lieber über den Busfahrplan als über das Reiseziel.
Vertrauen statt Misstrauen
So ist meine wichtigste Botschaft leider in dem verbalen Scharmützel fast untergegangen. Dass es nämlich nicht zuallererst eine Frage des Geldes ist, ob wir uns wechselseitig ein Grundeinkommen gönnen. Stattdessen müssen wir uns fragen, ob wir einander a priori eine existenzsichernde und kulturelle Teilhabe ermöglichende Grundsicherung gönnen. Da geht es noch gar nicht darum, wie hoch die ist und wieviel sie kostet, sondern um die gemeinsame Grundhaltung. Heute lautet unser Gesellschaftsvertrag in etwa so: „Leiste erstmal, dann wirst du bestraft oder belohnt“ (Misstrauen). Mit Grundeinkommen heißt es: „Hier hast du! Zeig was du kannst“ (Vertrauen).
Dieser Vertrauensvorschuss ist es, der die Kraft der Menschen freisetzt, sie mutiger macht und für bessere Arbeit sorgt.
Bedingungslos geht nur, weil es alle bekommen
Möglich wird dies nur, wenn wir das Grundeinkommen allen Menschen auszahlen und folglich von niemanden mehr im Voraus prüfen müssen. Genau deshalb aber ist das Grundeinkommen heute so schwer zu denken. Wie bei Anne Will gesehen, verharren wir oft in der Logik „Die einen zahlen und machen deshalb die Regeln und die anderen nehmen und müssen deshalb spuren“. Grundeinkommen ist anders: Alle kriegen es und alle zahlen es nach ihren Möglichkeiten.
Worüber wir eigentlich reden sollten
Nachdem die Parteivertreter*innen lieber wieder auf ihnen vertrautem Terrain über die Höhe der anzusetzenden Bestrafungen bei Hartz IV stritten, sagte die Unternehmensberaterin Simone Menne etwas Kluges:
Die Digitalisierung ist die größte Transformation der Gesellschaft seit der Industrialisierung, vielleicht sogar seit der Sesshaftwerdung des Menschen. Immer wenn Menschen so fundamental neue Technologien eingesetzt haben, haben sich daraufhin auch komplett neue Gesellschaftssysteme, Werte, Familienmodelle und Lebensweisen entwickelt. Unser Sozialsystem entspringt dem Weltbild und Denken des späten 19. Jahrhundert, des Zeitalters der industrielle Revolution. Jetzt entspricht es nicht mehr den Vorstellungen unserer digitalen Welt des 21. Jahrhunderts. Immer wenn die Welt sich dermaßen transformiert hat, gab es gesellschaftliche Konflikte. Der US-amerikanische Präsident Trump und die zahlreichen anderen autoritären Führer sind dafür möglicherweise die ersten Vorboten. Dass dieser Umbruch der Digitalisierung in einem nie dagewesenen Tempo vor sich geht, macht die Sache nicht einfacher.
Digitalisierung: Kein Grundeinkommen können wir uns nicht leisten!
Wir können dieser gigantischen Herausforderung nur gerecht werden, wenn wir unser industrielles Denken überwinden und einen Weg finden, die Menschen mit den Fähigkeiten auszustatten, die sie in der neuen, hyperkomplexen Welt brauchen: Gesundheit, Selbstvertrauen, Empathie und Neugier.
Die Gehirnforschung und die Arbeitspsychologie wissen längst, wie man die Voraussetzungen dafür schafft: Durch Sicherheit und Wohlwollen. Und wir bei Mein Grundeinkommen haben in den letzten vier Jahren herausgefunden: Grundeinkommen wirkt genau so! Es macht die Menschen resilient und fit für Veränderung.
Andere Arbeit statt Ende der Arbeit
Zwar glaube ich nicht an ein Ende der Arbeit aber an eine Veränderung der Berufsbilder in einem rasanten Tempo. Eine Million Menschen fahren heute beispielsweise hauptberuflich Auto. Das werden „Computer" bald günstiger, sicherer und rund um die Uhr machen.
Solange wir unser Einkommen nur über Erwerbsarbeit beziehen, sind die heutigen Kraftfahrer jedoch gezwungen mit den Maschinen zu konkurrieren. Das wird kurzfristig zu niedrigeren Löhnen führen, mittelfristig zu Arbeitslosigkeit und Armut und langfristig zu Kränkung, Wut und Frustration. Wenn wir aber Arbeit und Einkommen voneinander entkoppeln, also ein Grundeinkommen einführen, dann können wir uns die Frage stellen, was wir Menschen eigentlich besser können als Maschinen. Zu tun gibt es in jedem Fall genug.
Wir bringen Hoffnung auf den Spielplan
Vor der Sendung war ich sehr aufgeregt, ob ich gegen die Politprofis bestehen würde oder ob sie mir ständig ins Wort fallen würden. Als ich dann aber in der Sesselrunde saß und gemerkt habe, dass die anderen uns und das Thema ernst nehmen, konnte ich meine wichtigsten Punkte machen. Ein bisschen stolz war ich am nächsten Tag, als die FAZ schrieb: „Von Frau Menne und Herrn Bohmeyer hätte man gerne mehr erfahren, aber das ging nicht, weil der Spielplan immer noch vorsieht, der Vergangenheit die Bühne zu geben.“
Zum Glück sind wir inzwischen über eine Million* Menschen, die sich einen neuen Spielplan wünschen. Weil ihr dieses Projekt seit Jahren unterstützt, wurden wir überhaupt in die Sendung eingeladen und hatten so die Möglichkeit, zu zeigen, dass es Hoffnung gibt und dass sich viele Menschen da draußen ein anderes Zusammenleben wünschen.
Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann sind wir sehr gespannt, wo wir nach den nächsten vier Jahren stehen.
Danke für euren Mut und eure Unterstützung!
* Je mehr wir werden, desto mehr können wir mitmischen! Lade deine Freunde ein und probiert zusammen Grundeinkommen aus.
Hier kannst du die gesamte Sendung anschauen: