In Österreich – genau wie in Deutschland, übrigens – werden Einkommen hoch, Erbe und Vermögen dagegen kaum besteuert. Eine Ungerechtigkeit, findet Millionenerbin Marlene Engelhorn, und bringt ihr Erbe einfach selbst unter die Menschen ihres Landes: 25 Millionen Euro lässt sie über ihre neue Initiative, den sogenannten Guten Rat für Rückverteilung, nun: rückverteilen.
Die 50 Bürger*innen sollen, nachdem sie durch verschiedene Expert*innen beraten worden sind, Ideen für den Umgang mit der Vermögensverteilung in Österreich finden. Und über den richtigen Einsatz dieses erheblichen Teils von Marlenes Erbe entscheiden – zum größtmöglichen Wohle der Gesellschaft.
Projekte wie dieses sollen vormachen, inspirieren und die eigenen Themen ins gesellschaftliche Rampenlicht rücken. Aber: Können Politik und Gesetzgebung einfach so "überholt" und links liegen gelassen werden, wenn sie selbst nicht vorankommen? Können Spenden – egal wie großzügig – der strukturellen Ungleichheit wirklich etwas entgegensetzen? Und, im Falle des Guten Rates: Machen wir uns als Gesellschaft bei so viel Freiwilligkeit nicht von den Launen der (Über-)Reichen abhängig?
Ungleichheitsforscherin Martyna Linartas und Katrin Strohmaier von Mein Grundeinkommen diskutieren hier, ob wir in Deutschland, Österreich oder sonstwo in der Welt mit Initiativen wie dem Guten Rat wirklich so gut beraten sind.
Martyna Linartas: "Besteuert die Reichen!"
Der Einsatz und das Projekt von Marlene Engelhorn sind Pionierarbeit und über alle Maße schätzenswert. Und doch ist die Gründung des Guten Rates als Akt niederer Umstände zu deuten.
Das Ideal wäre ein anderes. Eines, das durch den Namen einer weiteren Organisation zum Ausdruck kommt, die Marlene mitgegründet hat: Tax me now!
Marlene fordert, dass sie und ihres Gleichen – überreiche Menschen, die über zig Millionen Euro oder gar mehr verfügen – endlich gerecht besteuert werden. Weil dies jedoch aktuell nicht geschieht, fand sie einen anderen Weg. Einen Weg, der der demokratischen Rückverteilung ihres Vermögens am nächsten kommt.
Martyna Berenika Linartas istPolitikwissenschaftlerin und gründete 2022 die Wissensplattform ungleichheit.info.
Aktuell arbeitet Martyna an ihrer Habilitationsschrift zur (Re-)Produktion von Vermögen in Deutschland. Zudem lehrt sie an der FU Berlin und an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz.
Der Gute Rat ist ein Hybrid, wie es ihn in dieser Form noch nicht gegeben hat: Einerseits kommt Marlenes privates Vermögen zum Einsatz, andererseits hält sie sich bei der Entscheidungsfindung darüber, was damit geschehen soll, komplett heraus.
Doch so bemerkens- und lobenswert ihre Initiative auch ist. Sie wird nicht ersetzen, wofür Marlene weiterhin kämpft: Für eine gerechte Besteuerung reicher Menschen. Richtig so, denn diese ist der einzig gangbare, strukturelle und demokratische Weg gegen die groteske Vermögensungleichheit in Deutschland, in Österreich und grundsätzlich für liberale Demokratien insgesamt.
Bei der Bekämpfung der Vermögensungleichheit auf die Freiwilligkeit der Reichen zu setzen, wäre fatal und naiv. So großzügig einige Spenden oder Projekte – einschließlich jenem von Marlene – auch sind: Sie sind in der Gesamtheit niemals auch nur annähernd so hoch wie die potentiellen Einnahmen durch eine entsprechende Besteuerung.
Nehmen wir das Beispiel der BMW-Erbin Susanne Klatten: 2016 entschied sie, dass sie einmalig 100 Millionen Euro für wohltätige Zwecke spenden wolle. 100 Millionen Euro klingen nach einer Menge Geld. Doch mit einem geschätzten Vermögen von 21 Milliarden Euro entspricht diese Summe weniger als 0,5 Prozent dessen, was sie besitzt. Mögliche Steuerpläne, wie sie im World Inequality Report 2022 dargestellt werden, belaufen sich hingegen auf drei bis – Achtung, festhalten – 50 Prozent. Jährlich.
Wichtiger noch aber als der Betrag an sich ist, dass Spenden dem Wohlwollen und der Willkür der Reichen folgen und deren Macht und Abhängigkeiten von ihnen in der Gesellschaft manifestieren. Wie sehr das nach hinten losgehen kann, belegt das jüngst erklärte Ende des Hamburger Instituts für Sozialforschung: Der Mäzen Jan-Philipp Reemtsma, der das Institut 1994 aus der Taufe hob, möchte es nicht länger finanzieren. Also ist Schicht im Schacht.
Auch bei Klatten ist im Übrigen wieder Schluss. Diese Entscheidungen sind legitim, schließlich ist es ihr Geld. Aber Entscheidungen von Einzelpersonen sind eben auch dies: Der Natur der Sache entsprechend Einzelentscheidungen, somit unberechenbar und obendrein undemokratisch.
In Anbetracht der gigantischen Herausforderungen unserer Zeit, der notwendigen sozial-ökologischen Transformation unserer Wirtschaft, sind dies unhaltbare Eigenschaften. Wie die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zudem zeigt, können wir insbesondere in puncto der Vermögensungleichheit nun nicht gerade darauf bauen, dass die Reichsten mehr von ihrem Vermögen rückverteilen, als sie Jahr um Jahr hinzugewinnen.
Warum wir über die Vermögensteuer diskutieren
Soziale Gerechtigkeit ist bezahlbar. Aber nur, wenn auch die Reichsten endlich ihren Teil dazu beitragen. Brauchen wir also endlich wieder eine Vermögenssteuer?
Wenn das Ziel darin besteht, die Vermögensungleichheit tatsächlich zu reduzieren, sollten wir unser kollektives Gedächtnis auffrischen: Wir hatten bereits mehrfach Phasen, in denen die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auf-, sondern zuging. Das wichtigste Instrument zur Justierung der Schere ist dabei – es dürfte an dieser Stelle wohl kaum überraschen – hohe und progressive Steuern für Reiche. Zahlreiche Studien haben diesen Effekt belegt.
Andersherum wurden im Rahmen der neoliberalen Steuerreformen seit den 1990er Jahren Überreiche zunehmend aus ihrer Verantwortung genommen. Im Ergebnis zahlen heutzutage und hierzulande Multi-Millionär*innen und Milliardär*innen weitaus weniger Steuern als Normal- und Gutverdiener*innen. Ein grotesker Tatbestand, der nicht nur ungerecht ist, sondern dazu führt, dass die Ungleichheit weiter wächst.
Doch sind wir nicht dazu verdammt, unsere neoliberale Steuerpolitik fortzusetzen. Wir können gegen die wachsende Vermögensungleichheit im wahrsten Sinne des Wortes ansteuern. Was es hierzu braucht? Mehr Unterstützung für Marlenes Projekt. Und zwar für jenes, dessen Name die Kernforderung zum Ausdruck bringt: Besteuert sie jetzt, besteuert die Reichen!
Katrin Strohmaier: "Ein erster Schritt in die richtige Richtung"
Praktische Antworten auf eine anderweitig theoretische Frage zu finden – damit kennen wir uns bei Mein Grundeinkommen ganz gut aus. Und genau so eine praktische Antwort ist auch Marlene Engelhorns Guter Rat.
"Selbst ist die Mäzenin! Wenn die Politik nicht in die Pötte kommt – dann mach’ ich’s eben selbst." So oder so ähnlich wird es in Marlene Engelhorns Gedankenwelt ausgesehen haben, als sie den Guten Rat ins Leben rief.
Seit Jahren wartet die Millionenerbin gemeinsam mit einigen Mitstreiter*innen, die ebenfalls "gut geerbt" haben darauf, vom Staat endlich ausreichend besteuert zu werden. Wird sie aber nicht. Und das scheint sie so frustriert zu haben, dass sie schließlich einfach ihren eigenen kleinen Staat nachbaute, der sich nun ihres Vermögens annehmen soll: Den Guten Rat für Rückverteilung.
Katrin Strohmaier ist Redakteurin beim Magazin von Mein Grundeinkommen.
Sie ist überzeugt von der Idee der Rückverteilung, um dem gesellschaftlichen Auseinanderdriften entgegenzuwirken. Und eine gute Idee erlebbar, sie der Politik vorzumachen – was könnte schon mehr Mein Grundeinkommen sein?
Der nämlich besteht aus 50 wildfremden Menschen, die nach dem Zufallsprinzip kontaktiert und anschließend so ausgewählt wurden, dass sie hinsichtlich Geschlecht, Herkunft, Einkommen und dergleichen Österreichs Bevölkerung möglichst gut abbilden. Und diesem Bürger*innenrat hat die Millionenerbin nun keine ganz einfache Aufgabe – und außerdem satte 25 Millionen Euro – mit auf den Weg gegeben.
So eröffnet der Gute Rat eine Plattform für echte demokratische Experimente. In einer Zeit, in der Politikverdrossenheit und das Gefühl der Ohnmacht allgegenwärtig sind, zeigt Marlenes Projekt, wie Bürger*innenbeteiligung neu gedacht werden kann. "Mit dem Guten Rat machen wir einen ersten Schritt, gemeinsam", heißt es entsprechend im Mission Statement der Initiative.
Es ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass Demokratie lebendig ist und durch innovative Ansätze wie diesen gestärkt werden kann. Statt Resignation zu verbreiten, entfacht Marlene eine Diskussion über die Rolle von Vermögen in unserer Gesellschaft.
Dranbleiben! Mit dem wichtigsten Newsletter zum Grundeinkommen
Gerade hier zeigt sich die wahre Stärke des Projekts: Es demonstriert, dass Wandel im Kleinen beginnen – und so überhaupt erst greifbar werden – darf. Sie stellt die provokante Frage: Warum nur warten, bis die Mühlen der Politik endlich mahlen? Warum ihnen nicht einfach einen kleinen (oder 25 Millionen großen) Schubs verpassen?
Eine gute Idee erlebbar zu machen und dabei zu erforschen, wie sie in der Praxis wirkt: Daran glauben wir bei Mein Grundeinkommen fest, das steckt in unserer DNA. Ob das am Ende des Tages Probe-Steuergerechtigkeit im Kleinen ist, oder ein Bedingungsloses Grundeinkommen für tausende Menschen, ist zuallererst einmal gar nicht so wichtig.
Denn was den Guten Rat und Mein Grundeinkommen eint, ist der feste Wille zur Veränderung – und wenn gute Argumente dafür nicht ausreichen, dann muss man es eben vormachen.
Beide Initiativen sind um sozialen Ausgleich bemüht. Dazu stoßen wir gesellschaftliche Debatten an und geben praktische Beispiele dafür, wie eine gerechtere Zukunft aussehen könnte. Und beide Projekte werden zu diesem Zwecke auch extern wissenschaftlich evaluiert.
Auf gut Deutsch könnte man also einfach sagen: Da wollen Menschen nicht viel reden, sondern mit gutem Beispiel vorangehen. Denn schon der Soziologe Max Weber wusste: "Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit."
Grundeinkommen aus Vermögenssteuer? Das geht!
In unserem Rechner kannst du selbst der Staat sein, der ein Grundeinkommen für alle einführt. Ein Weg dahin führt über die Vermögenssteuer. Probiere es einfach mal aus!
Jetzt bist du dran: Bringen Projekte wie der Gute Rat etwas? Kann man der Politik vormachen, was sie nicht von selbst verfolgen mag? Schreib es uns in die Kommentare!
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