Macht Grundeinkommen uns alle faul? Unser Gewinner Cornelius zeigt wie kein anderer, dass an diesem Vorurteil nichts dran ist: Der 71-Jährige arbeitet auch mit Grundeinkommen weiter – und pflegt zudem seinen 99-jährigen Vater.
Cornelius kommt mit dem Fahrrad und in leuchtend gelber Regenjacke zu unserer Verabredung in Speyer. Sofort merke ich, dass er ein offener und geselliger Mensch ist. Cornelius sagt: "Menschen müssen miteinander in Kontakt und ins Gespräch kommen."
Auf diese Weise hört Cornelius auch zum ersten Mal vom Grundeinkommen: Eine Bekannte erzählt ihm davon. "Gefühlte vier Wochen, nachdem ich mich angemeldet hatte, hat es schon geklappt", bekundet der 71-Jährige, noch immer mit einem erstaunten Lächeln auf den Lippen.
"Der Gewinn kam zum richtigen Zeitpunkt." Denn als er das Grundeinkommen gewinnt, befindet sich Cornelius gleich doppelt im Umbruch: Er benötigt immer mehr Zeit für die häusliche Pflege seines 99-jährigen Vaters – gleichzeitig will und muss Cornelius seinen Antiquitätenhandel neu aufstellen, um finanzielle Sicherheit für das eigene Alter zu schaffen.
Als der Pflegebedarf seines Vaters ansteigt, ist Cornelius schnell klar, dass er selbst für seinen Vater sorgen möchte. "Mein Vater ist bis in sein hohes Alter geistig aktiv und kreativ." Der Architekt plante und baute in seiner aktiven Zeit unter anderem Kirchen. Bis heute beschäftigt ihn, was mit seinen Bauten geschieht. Durch individuelle Betreuung möchte Cornelius seinem Vater ermöglichen, seine Kreativität auch im hohen Alter auszuleben.
Sein Vater wohnt bei Cornelius, er kocht für ihn, wäscht ihn, kümmert sich um die Wäsche, um Arzttermine und Medikamente. Er ist für ihn da, wenn er sich austauschen möchte. Durch das Grundeinkommen hat Cornelius Zeit und die finanziellen Mittel dafür. "Ich bin mir sicher, dass ich mich diesen Aufgaben viel gelassener widme, als es mir ohne Grundeinkommen möglich wäre."
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Neue Energie statt Lethargie
In seinem Beruf als Händler für Antiquitäten und Möbel ist Cornelius schon immer freiberuflich tätig, lange mit eigener Werkstatt und eigenem Geschäft in Speyer. Zeitweise, als es besonders gut läuft, hat er mehrere Angestellte. Doch trotz seiner Expertise und seines vielfältigen Wissens verfügt er nie über ein planbares Einkommen. "Das ist in meiner Branche sehr schwer vorherzusagen."
Obwohl er lange gut verdient hat, war es ihm als Freiberufler nicht möglich, regelmäßig in die Rentenkasse einzuzahlen. Aktuell stellt Cornelius sein Geschäft deshalb so um, dass er trotz seiner 71 Jahre weiterhin aktiv für sein Einkommen sorgen kann. Flexibler möchte er werden und Antiquitäten vermehrt im Internet anbieten.
Noch mehr Vorurteile: Führt ein Grundeinkommen für alle direkt in die Ego-Gesellschaft? Christine aus Hamburg und Jannis aus Marburg halten dagegen und sagen: Das Grundeinkommen macht uns sozialer!
Seine Arbeit macht ihm nach wie vor große Freude – doch die Pflege seines Vaters bedeutet auch, dass ihm dafür weniger Zeit bleibt. Das Grundeinkommen gibt ihm in diesem Zwiespalt finanzielle Sicherheit. "Es hilft mir, gute Lösungen für meine Lebenssituation und die meines Vaters zu finden. Diese Hilfe würde ich eigentlich allen Menschen wünschen – besonders denen, die sich um andere kümmern."
"Für unsere Gesellschaft ist es wichtig, dass wir alle Zeit und Muße finden, um uns füreinander zu interessieren und uns umeinander zu kümmern", sagt Cornelius. Zwischenmenschliche Interaktionen hält er für unerlässlich für sozialen Zusammenhalt: "Ich wünsche mir Mehrgenerationenhäuser als Orte, an denen sich Menschen gegenseitig mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen unterstützen, inspirieren und bereichern. Das ist es doch, was Sorge und Fürsorge ausmacht."
"Dafür brauchen wir neue Ideen", wiederholt Cornelius mehrmals in unserem Gespräch, um die Dringlichkeit zu unterstreichen. "Das Grundeinkommen sehe ich als einen Schlüssel für diesen Wandel. Doch in Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen ist ein baldiges Umdenken nötig. Die Wohlstandsphase ist erstmal vorbei und die Menschen müssen jetzt näher zusammenrücken, zum Beispiel durch Ehrenamt oder transgenerationale Partnerschaften."
Als wir uns verabschieden, habe ich vor allem zwei Dinge von Cornelius gelernt: Er ist überzeugt, dass das Bedingungslose Grundeinkommen Menschen die finanzielle Sicherheit und die Kraft und Zeit verschaffen würde, um kreative Lösungen für den Wandel zu finden, den er sich wünscht. Und er glaubt nicht, dass das Grundeinkommen stattdessen zu einer faulen und egozentrischen Gesellschaft führen würde. Seine eigene Geschichte ist der beeindruckende Beleg für mich, dass er mit beidem Recht hat.
Cornelius wird sich auch nach dem Ende seines Grundeinkommens-Jahres um seinen Vater kümmern und zugleich seiner Arbeit als Antiquar nachgehen können – am besten mit der Gelassenheit, die ihm das Grundeinkommen ermöglicht hat.
Was denkst du? Würdest du an Cornelius Stelle genau so handeln? Wieso befürchten so viele Menschen, dass finanzielle Sicherheit andere faul machen würde? Schreib es uns in die Kommentare!
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