Der niederländische Journalist und Historiker Rutger Bregman ist Verfechter der 15-Stunden-Woche und des Bedingungslosen Grundeinkommens. Sein Bestseller “Utopien für Realisten” macht deutlich, dass es radikale Ideen braucht, um die großen Herausforderungen der Zukunft anzugehen. Im Interview mit Mein Grundeinkommen erklärt er, warum unser Verständnis von Arbeit ein Update braucht und weshalb das Bedingungslose Grundeinkommen die beste Arbeitspolitik ist, die es gibt.
Wie definierst du Arbeit und was ist problematisch an der Art und Weise, wie wir heute über Arbeit denken?
"Ich finde, wir müssen den Begriff Arbeit neu denken. Wir sehen Arbeit als etwas Hierarchisches, etwas, das wir für einen Chef tun, wofür wir bezahlt werden und worauf wir Steuern zahlen. Es gibt Millionen von Menschen, die jeden Tag im Büro sitzen, E-Mails an Menschen schreiben, die sie nicht mögen, oder Berichte verfassen, die keiner jemals lesen wird und in Wirklichkeit sind sie auf Facebook unterwegs. Das nennen wir Arbeit. Wenn man einen Blick auf unsere Gesellschaft wirft, fällt auf, dass diese Arbeit teilweise sehr gut bezahlt wird, obwohl sie nicht wirklich wichtig für ein gesellschaftliches Zusammenleben ist. Gleichzeitig gibt es Menschen, die unbezahlt arbeiten. Sie kümmern sich um ihre Kinder, engagieren sich freiwillig und auf lokaler Ebene und tragen so zur Gesellschaft bei. Das nennen wir aber nicht Arbeit, und es wird nicht mit ins Bruttoinlandsprodukt (BIP) eingerechnet.
An der Stelle steht die Welt kopf. Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das Milliarden dafür ausgibt, dass Menschen erfolgreich ausgebildet werden, viel Geld verdienen und zum BIP beitragen. Wenn es aber so viele solcher Menschen gibt, muss man sich fragen: Schafft man dabei etwas von Wert für die Gesellschaft? Oft zweifeln die betroffenen Menschen selbst daran! Und so entsteht das Phänomen der ‘[Bullshit-Jobs](http://www.zeit.de/karriere/beruf/2016-08/david-graeber-berufe-bullshitjobs-unternehmensberater “Bullshit-Jobs”)’. Seit ich über das Grundeinkommen und die Bedeutung von Arbeit schreibe, erreichen mich Hunderte E-Mails von Menschen, die über ihre Arbeit sagen, sie sei gut bezahlt, aber so richtig wertvoll sei sie nicht. Es ist schockierend dass Menschen in ganz Europa denken, ihre Arbeit sei ein ‘Bullshit-Job’. Es ist verrückt, in welchem Maße das geschieht.
Ich möchte das umdrehen und Arbeit sehr einfach definieren als etwas, das Wert stiftet, bedeutungsvoll ist und die Welt interessanter macht."
Wie können wir uns von diesem Verständnis von Arbeit trennen?
"Ich glaube, eine große Herausforderung ist, dass wir ideologisch am Anfang des 20. Jahrhunderts gefangen sind: Wir hören einfach nicht auf, Jobs zu erfinden, die keiner braucht. Damals vermutete man im Zuge der Automatisierung, dass die größte Herausforderung der Zukunft Langeweile sein würde. Heute sind die Menschen gestresst von der Arbeit, haben Burnouts und Depressionen. Hier ist also irgendetwas falsch gelaufen. Das Grundeinkommen würde uns dabei helfen, uns von ‘Bullshit-Jobs’ zu lösen und uns zu einer Gesellschaft zu entwickeln, in der Arbeit mit der höchsten gesellschaftlichen Relevanz auch am höchsten entlohnt wird und nicht andersherum.
Es ist aber wichtig zu erwähnen, dass das Grundeinkommen nur eine von tausend Ideen ist, die die Gesellschaft ‘grundeinkommenhafter’ machen würden, also wertvoller. Wir könnten in kleinen Schritten damit beginnen. Beispielsweise mit dem Steuersystem oder indem wir unsere Sozialleistungen bedingungsloser machen. Der Staat versucht, Menschen in Arbeit zu drücken, selbst wenn es keine Arbeit gibt. Es gibt eine riesige Bürokratie an Regierungsvertretern und Paternalisten, die versuchen, Menschen zu managen, zu lenken und umher zu schubsen. Und das muss abgeschafft werden, am besten zugunsten eines bedingungsloseren Systems sozialer Sicherheit."
Welche Bedeutung hat das Bedingungslose Grundeinkommen für die Zukunft der Arbeit?
"Meine Vision ist, dass das Bedingungslose Grundeinkommen Menschen die Möglichkeit gibt, weniger bezahlte Arbeit und mehr unbezahlte Arbeit zu machen. Vielleicht führt das Grundeinkommen auf lange Sicht gesehen auch dazu, dass das Wort ‘Arbeit’ ganz aus dem Wörterbuch gestrichen wird, und vielleicht durch ‘Spiel’ ersetzt wird. Die Menschen hätten dann die Freiheit, mit ihrer Zeit zu machen was sie wollen, und beliebig zur Gesellschaft beizutragen.
Verstehe mich nicht falsch: Es gibt viele Menschen, die denken, wir würden den ganzen Tag auf dem Sofa vor Netflix verbringen, wenn wir jetzt anfangen weniger bezahlte Arbeit zu machen. Wir brauchen aber nur wissenschaftliche Erkenntnisse aus unterschiedlichen Ländern zu vergleichen, um zu erkennen, dass die Länder mit der kürzesten Arbeitswoche auch die sind, in der die Menschen die meiste Zeit mit ihren Kindern verbringen, mit älteren Menschen, mit Freiwilligenarbeit und Kultur. Und interessanterweise sind es die Länder mit der längsten Arbeitswoche, in denen die Menschen so viel Zeit vor dem Fernseher verbringen. Der Grund dafür ist einfach: nach einem anstrengenden Arbeitstag hat man für etwas anderes einfach keine Energie mehr.
In diesem Sinne glaube ich, dass das Bedingungslose Grundeinkommen die beste Arbeitspolitik ist, die es gibt."