Gewinnerin Yvonne
“Ich habe noch keinen Cent angerührt”
Eigentlich hat Yvonne Freude an ihrer Arbeit als Politesse. Doch was, wenn der Körper die langen Strecken zu Fuß irgendwann nicht mehr mitmacht? Mit dem Grundeinkommen möchte sie mit Mitte fünfzig noch einmal die Schulbank drücken.
Vonnis Foto
604

Ich habe das 604. Grundeinkommen gewonnen!

Ich erhielt von Juni 2020 bis Mai 2021 ein Utopisches Grundeinkommen.

Wenn Yvonne durch Eisenhüttenstadt läuft, dann kennt sie die Straßen, die Menschen und die Stellen, an denen die Stiefmütterchen am schönsten blühen. Yvonne ist hier aufgewachsen, hat auf den Spielplätzen zwischen den Häusern gespielt und als junge Frau im Hotel Lunik gekellnert.

Die Spielplätze sind verschwunden, der Putz blättert vom alten Hotel. Und doch steht es noch da, an der Ecke Lindenallee, und ist das erste, was Yvonne jeden Tag sieht, wenn sie vom Rathaus zu ihrer Runde aufbricht.

“Nur Regen im Gesicht und Temperaturen ab 25 Grad gefallen mir nicht”

Als Politesse sorgt Yvonne dafür, dass hier in Eisenhüttenstadt alles seine Ordnung hat. Dass alle die Verkehrsschilder beachten, niemand falsch parkt oder “rücksichtslos über den Rasen latscht”, wie sie sagt.

Yvonne Blumenkübel

Der Job macht ihr Spaß, denn zum einen ist da der meistens freundliche Kontakt mit Passant*innen, die Yvonne nach dem Weg fragen oder zum Plaudern stehenbleiben. Zum anderen ist sie so jeden Tag an der frischen Luft.

Doch obwohl Yvonne gern Politesse ist, fragt sie sich, wie lange sie den Job noch machen kann.

“Ich bin auf den Beinen unterwegs, aber das ist nicht mit Wandern zu vergleichen. Es ist eine einseitige Bewegung auf hartem Beton. Und irgendwann führt das zu Gelenkverschleiß.” Manchmal kommt sie nach ihrer Tour kaum eine Treppenstufe hoch.

Eisenhüttenstadt Straßenansicht

Mit dem Gewinn ihres Grundeinkommens im Mai 2020 kann sich Yvonne zum ersten Mal ernsthaft mit dem Gedanken auseinandersetzen, welche Alternativen sie eigentlich hat. Sie fasst den Entschluss, eine berufsbegleitende Ausbildung zu machen: zur Büroangestellten in der kommunalen Verwaltung.

Zwei Jahre lang wird sie jedes Wochenende eine Autostunde von Eisenhüttenstadt entfernt die Schulbank drücken. Die Stadt, bei der sie angestellt ist, zahlt die Ausbildung nicht. Ohne das Grundeinkommen wäre die finanzielle Belastung aus eigener Tasche zu groß gewesen.

Große Ersparnisse hat Yvonne nicht. Nach der Wende wurde das Hotel Lunik, wo sie kellnerte, von neuen Inhabern übernommen. Ein Jahr später wurde sie entlassen. Es folgten 20 Jahre im Callcenter, Mindestlohn mit Aufstockung.

Yvonne Wald

Mit dem Grundeinkommen kann sie nun nicht nur die Ausbildungskosten bezahlen, sondern auch alles, was damit zusammenhängt: Sprit und Übernachtungen und die fehlenden Arbeitsstunden am Freitagnachmittag, wenn sie statt Politessenrunden zu laufen Paragraphen paukt.

“Ich bin keine 25 mehr, das wird knallhart. Aber ich bin neugierig und freue mich darauf.”

Wann die Ausbildung stattfindet hängt davon ab, wann die Corona-Pandemie Präsenzkurse wieder zulässt. Das Grundeinkommen bleibt bis dahin eisern auf Yvonnes Girokonto. “Ich habe noch keinen Cent angerührt, und das soll auch so bleiben.”

Text: Christina Strohm | Fotos: Moritz Richter

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