Nadines Grundeinkommens-Geschichte beginnt vor vier Jahren. Zu Weihnachten bekommt sie von ihrem Mann Marcel einen Gutschein geschenkt, mit dem sie ein Jahr lang an allen Grundeinkommens-Verlosungen teilnehmen kann. "Marcel war damals schon länger angemeldet, aber ich konnte mit Mein Grundeinkommen in dem Moment gar nichts anfangen. Ich hatte noch nie etwas von den Verlosungen gehört. Seitdem habe ich aber fleißig an allen Verlosungen teilgenommen.”
Auch Marcel erinnert sich noch gut an sein Geschenk: "Ich habe Nadine das Grundeinkommen damals gewünscht, weil für sie so viel im Umbruch war. Das Grundeinkommen hätte sie gut gebrauchen können." Nadine verlässt damals gerade ihre Heimat Leipzig, um zu Marcel nach Bremen zu ziehen. Das bedeutet auch einen Jobwechsel.
In Leipzig bekam die Ergotherapeutin trotz 40-Stunden-Woche nur ein Einkommen unter dem Mindestlohn. Ihr neues Gehalt in Bremen ist zwar höher, aber immer noch alles andere als üppig. Neben ihrer Teilzeitstelle in einer psychiatrischen Tagesklinik beginnt Nadine damit, sich nebenbei eine Selbstständigkeit als Fitnesstrainerin und Ernährungsberaterin aufzubauen.
Nadines Entscheidung für Teilzeitarbeit und Selbstständigkeit hat gesundheitliche Gründe. Vor einiger Zeit wurde bei ihr Endometriose diagnostiziert, eine Unterleibserkrankung, die phasenweise mit starken Schmerzen verbunden ist. Nadine selbst kann mit diesen Phasen mittlerweile einigermaßen umgehen, sagt aber: “Finde erstmal einen Arbeitgeber, dem du morgens sagen kannst: Heute geht es mir nicht gut, ich kann nicht kommen.” Durch das Teilzeitmodell und die Selbstständigkeit kann sie an solchen Tagen weniger arbeiten und besser auf sich selbst achten.
Nur: So selbstbestimmt zu arbeiten, aber sich trotzdem ein Eigenheim und den Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit leisten zu können – geht das zusammen? Spätestens seitdem die Lebenshaltungskosten steil ansteigen, muss Nadine sich eingestehen: Finanziell reicht es einfach nicht für ihre Vorstellung vom Leben.
Dann gewinnen sie und Marcel im Oktober 2022 gemeinsam jeweils ein Grundeinkommen. "Am Gewinn fühlt sich schön an, dass Marcel derjenige ist, der mich erst durch den Gutschein auf die Verlosungen aufmerksam gemacht hat. Nun erleben wir gemeinsam unser Grundeinkommensjahr."
Wenn jeder Mensch ein Grundeinkommen bekäme, würden viele im sozialen Bereich bleiben, die da einmal gearbeitet haben.
Das Grundeinkommen wirkt im Kleinen wie im Großen: Es zahlt ihr die Fachfortbildung zur Traumapädagogin, die noch mindestens zwei Jahre lang 150 Euro im Monat kostet – und die Straßenbahnfahrt zu Freunden, wenn sie mal nicht mit dem Fahrrad fahren möchte.
Als Traumapädagogin will Nadine Menschen nicht mehr nur körperlich, sondern auch mental helfen können: "Seit der Corona-Pandemie nehme ich verstärkt eine Ellenbogengesellschaft wahr. Zum Beispiel in der Art und Weise, wie Menschen übereinander urteilen, vor allem auch über Geflüchtete. Ich möchte nicht mehr nur in der Aufklärung unterstützen, sondern Geflüchteten im Umgang mit ihren schlimmen Erfahrungen direkt helfen.”
Während ihrer Fortbildung muss Nadine üben zu reflektieren, auch über ihren eigenen Alltag. "Dabei habe ich festgestellt, dass mir die strukturellen Bedingungen im sozialen Bereich eigentlich gar nicht gefallen. Es gibt viel zu viele Vorgaben, viel zu wenig Zugang für Menschen, die Hilfe brauchen, zu wenig Wertschätzung und eine Kommerzialisierung, die ich schwierig finde, weil der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht."
Vor ihrem Grundeinkommensjahr war Nadine immer mal wieder an dem Punkt, den Job wechseln zu wollen, um am Ende des Monats mehr Geld, mehr Sicherheit zu haben. Gemacht hat sie es nie, weil sie sich einfach nichts anderes vorstellen kann. Jetzt weiß sie, wie man diese Selbstausbeutung in sozialen Berufen ein für alle mal beenden könnte: "Wenn jeder Mensch ein Grundeinkommen bekäme, würden viele im sozialen Bereich bleiben, die da einmal gearbeitet haben."
Es ist der Wahnsinn, wie viele Menschen die Grundeinkommen durch ihre Spende finanzieren. Das gibt mir Hoffnung, dass wir als Gesellschaft anderen Menschen doch noch etwas gönnen können.
Wie immer an Weihnachten verschenkt Nadine auch dieses Jahr Grundeinkommens-Gutscheine an ihren Bruder und ihre Eltern. Sie wünscht ihnen, dass sie erleben können, was sie selbst erfahren darf: Für ein Jahr mal nicht jeden Euro doppelt umdrehen zu müssen.
Glaubt Nadine daran, dass es eines Tages ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle geben kann? Ihre Antwort stimmt hoffnungsvoll: "Es ist der Wahnsinn, wie viele Menschen die Grundeinkommen durch ihre Spende finanzieren. Das gibt mir Hoffnung, dass wir als Gesellschaft anderen Menschen doch noch etwas gönnen können. Die Idee des Grundeinkommens funktioniert durch gemeinsamen Zusammenhalt."
Text: Christina Strohm | Fotos: Marcel Maffei