Marco und Christine wissen, was es bedeutet, wenn das Leben von einem Moment auf den anderen nicht mehr normal ist. Zusammen haben sie schon einiges durchgemacht: Marcos Knochenmarktransplantation als Kind, und Christines Schuften bis tief in die Nacht, um als Alleinerziehende die Familie über die Runden zu bekommen. Bei einem nahen Angehörigen wurde vor ein paar Jahren eine psychische Erkrankung diagnostiziert, die Marco und Christine stark belastet.
“In dem Moment, wo Angehörige krank werden, körperlich oder seelisch, hat man den Kopf nicht frei. Es gibt tausend Brandherde, die man löschen muss, aber man hat das Gefühl, alles immer nur halb zu löschen” sagt Christine. “Ich möchte die Sachen, die mir wichtig sind, ganz machen. Und jetzt mit Grundeinkommen hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, alles geben zu können.”
Das Grundeinkommen schenkt Marco und Christine Zeit und Raum für sich selbst und füreinander.
“Es stärkt uns, uns mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, die man zu verarbeiten hat. Die man aber nicht verarbeiten kann, wenn man 40 Stunden arbeitet” berichtet Marco.
Marco wohnt nur ein paar Straßen von seiner Mutter entfernt, sie sehen sich regelmäßig. Christine pflichtet ihm bei: “Du hast einen klareren Blick, ich bin manchmal etwas emotionaler. So können wir beide unsere Meinungen sagen und uns stützen”.
Wer Christine in ihrer Hamburger Dachgeschosswohnung besucht, blickt als erstes aufs Meer. Eine Aufnahme gerahmt im Großformat aus der Zeit, in der sie als Laborantin auf See unterwegs war. Als ihr Arbeitgeber nach Bremerhaven zog, blieb Christine in Hamburg. “Alle anderen sind mitgegangen, ich hab alles geschmissen.”
Seit zwei Jahren arbeitet sie selbstständig wenige Stunden in der Woche an einer Schule, wo sie mit Kindern strickt, näht und Entspannungsübungen macht. Zuletzt haben sie Laternen für den Martinsumzug gebastelt. Es kommt ihr nicht aufs große Geld an, sagt sie, sondern auf die Gemeinschaft.
Marco hat sich nach seiner Ausbildung bewusst gegen einen Beruf im Großhandel entschieden und stattdessen für seine Leidenschaft. Er arbeitet in einer Kletterhalle, in der er Boulderrouten konzipiert und anlegt. Eine Beförderung zum Vollzeit-Mitarbeiter konnte er mit dem Grundeinkommen ablehnen. “So bin ich flexibel genug, dass ich auch mal eine Woche frei habe und mich mit anderen Dingen auseinandersetzen kann”. Er hat mit Tai Chi angefangen und besucht einen Zeichenkurs, um seine Kreativität herauszufordern.
Er hat seine Ernährung umgestellt und nimmt sich Zeit, bewusst zu kochen. Außerdem hat er sich letztens einen Bus gekauft, mit dem er auf Kletterreisen gehen möchte, um Inspiration für die Entwürfe seiner Boulderrouten zu sammeln: “Klettern gibt mir viel. Ich kann sein, wer ich bin.”
In Zukunft möchte Christine zusammen mit ihrem afghanischen Mitbewohner Reza ein Café eröffnen. Es soll ein Ort der Begegnung und Entschleunigung werden. Gerade suchen sie einen geeigneten Mietraum, die ersten Tassen tragen bereits den Namen: “Café not 2 go”.
“Die Menschen in Deutschland leben für einen Tag, der weit entfernt liegt, sie leben nicht im Hier und Jetzt” beobachtet Reza. “Aber was, wenn das Leben von heute auf morgen nicht mehr normal ist?” fragt Christine. “Und wie vielen Menschen passiert das!
"Mit dem Grundeinkommen stellt sich eine Ruhe ein, dadurch dass man sich der menschlichen Seite widmen darf. So kann ich mit mir Frieden schließen.”
Text: Christina Strohm | Fotos: Fabian Melber