Es ist das große Drama unserer Zeit: Einerseits müssen wir lernen radikal zu verzichten, um den Klimawandel zu überleben – andererseits ist unser ganzes Gesellschaftssystem auf Wachstum und Konsum ausgerichtet. Viele Menschen wollen sich zwar klimaschonend verhalten, scheitern daran aber in ihrem Alltag. Uns als Gesellschaft im Ganzen zum Verzichten zu zwingen, fällt noch schwerer. Verbotsdebatten wecken große Beharrungskräfte und bringen am Ende kaum messbare CO2-Reduktionen. Dafür kosten sie alle Beteiligten Nerven und Zeit. Und ausgerechnet Zeit haben wir nicht.
Könnte uns das bedingungslose Grundeinkommen helfen, als Gesellschaft das dringend notwendige Verzichten zu lernen?
Wir probieren das bedingungslose Grundeinkommen jetzt seit fünf Jahren aus. 400 Menschen haben wir für ein Jahr ein bedingungsloses Einkommen von 1.000 € monatlich geschenkt, um die praktische Wirkung dieser politischen Idee zu untersuchen.
Unsere gesammelten Indizien sprechen eine deutliche Sprache: Grundeinkommen fördert auf individueller Ebene ein umweltschonendes Leben. Auf kollektiver Ebene sorgt es dafür, dass Menschen veränderungstoleranter sind und leichter notwendige Einschnitte akzeptieren. Vier Gründe, warum Grundeinkommen ein wichtiger Hebel für die Klimarettung ist:
Eine Gesellschaft, die auf die kurzfristige Ausschöpfung ihrer Kräfte ausgerichtet ist, verliert den Blick für das große Ganze. Wer im täglichen Überlebenskampf steckt, trifft auf längere Sicht schlechtere Entscheidungen, bestätigt auch eine Studie der Princeton-Universität. Das wiederum verschärft den Überlebenskampf. Ein Teufelskreis.
Um die Klimakrise konkret angehen zu können, bedarf es dringend eines individuell wie kollektiven ganzheitlichen und langfristigen Denkens. Die Gewinner*innen unserer einjährigen Grundeinkommen erleben diese Veränderung der eigenen Denkmuster selbst: “Durch das Grundeinkommen konnte ich zum ersten Mal den reinen Überlebensmodus verlassen und zu einer langfristig planenden Unternehmerin werden”, so Katrin aus Köln.
In qualitativen Interviews berichten uns die Gewinner*innen immer wieder, dass für sie beim Grundeinkommen nicht primär das Geld im Mittelpunkt stehe, sondern ein daraus erwachsendes neues Lebensgefühl: das Gefühl der Wirksamkeit.
Mit Grundeinkommen planen anfangs viele ihre Jobs zu kündigen. Tatsächlich kam es dazu in den vergangenen fünf Jahren lediglich bei zwei Gewinner*innen. Alle anderen stellten fest: Die Absicherung verändert die Beziehung zu ihren Vorgesetzten, sie gehen mit einer anderen inneren Haltung zur Arbeit. Durch die Freiheit “Nein!” sagen zu können, fühlt sich die Arbeit nicht mehr fremdbestimmt und wie ein notwendiges Übel an, sondern freiwillig und selbstbestimmt.
2. Zufriedene Menschen konsumieren weniger
Ein selbstbestimmtes Leben hat ökologische Konsequenzen: Für eine Arbeit, die ich bewusst jeden Tag wähle, muss ich mich nicht mehr mit klimaschädlichem Konsum entschädigen. Bisher gängige Kompensationsstrategien werden unnötig. Ein Zusammenhang, auf den US-Forscher bereits 2014 hingewiesen haben.
Was würde passieren, wenn die gesamte Gesellschaft diesen Effekt erfahren könnte? Würden Statussymbole entwertet und der Druck aus dem Wettrennen genommen werden? Würden wir zu einer postmateriellen Gesellschaft transformieren? Würde ein neuer Wohlstandsbegriff entstehen, der nicht mehr auf „immer mehr haben wollen“ beruht? Unseren Klimazielen würde es auf jeden Fall gut tun.
Ein weiterer Effekt: Alle Gewinner*innen ernähren sich gesünder und konsumieren bewusster. “Mehr regionale Bio-Produkte kaufen” ist eines der Hauptvorhaben der Grundeinkommens-Bezieher*innen. Auch dieser Zusammenhang deckt sich mit zahlreichen internationalen Studien: Menschen, die nach eigener Einschätzung mehr Kontrolle über ihr Leben haben, verhalten sich viel wahrscheinlicher klimafreundlich — und das vor allem langfristig.
Was uns erstaunt hat: All diese Verhaltensänderungen entstehen unabhängig vom sozialen Status. Die Grundeinkommensbezieher*innen reichen von obdachlos bis verbeamtet, von Kind bis Rentner*in, von ländlichen CSU-Wähler*innen bis zu städtischen Linken.
Doch trotz des gesteigerten Bewusstseins ist klar: Auch Menschen mit Grundeinkommen machen weiterhin lange Flugreisen und verbrauchen Kohlestrom. Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Wachstum, Wettbewerb und Massenkonsum basiert. Daran wird eine bedingungslose Absicherung allein nichts ändern und es ist fraglich, ob ein Kulturwandel schnell genug eintritt, bevor das Klima kollabiert. Einen schneller zu realisierenden Ausweg bietet das bedingungslose Grundeinkommen in der Kombination mit Klimaprojekten, die große Einschnitte erfordern.
3. Weniger arbeiten heißt weniger CO2
In einer Umfrage aus dem Jahr 2016 gaben 82% der Befragten an, auch mit einem Grundeinkommen generell weiter arbeiten zu wollen. Gleichzeitig wünschen sich zunehmend mehr Menschen eine Reduzierung ihrer Wochenarbeitszeit. Ist diese Option bisher ausschließlich Menschen mit höherem Einkommen vorbehalten, so wäre sie mit einem Grundeinkommen für alle Teile der Gesellschaft zugänglich.
Weniger Wochenarbeitszeit für alle verringert den gesamtgesellschaftlichen CO2-Ausstoß um ein Vielfaches, so das Ergebnis einer Studie schwedischer Wissenschaftler: Bereits eine 1-prozentige Verkürzung der Arbeitszeit hätte eine 0,8-prozentige Reduzierung von CO2-Emissionen zur Folge.
Mit der hinzugewonnenen Zeit treffen Menschen “entschleunigte” Entscheidungen, indem sie zum Beispiel verstärkt auf CO2-reduzierte Mobilität umsteigen, die vielleicht langsamer, dafür aber klimafreundlicher und damit der Gesellschaft als Ganzes zuträglicher ist.
4. Sicherheit macht offen für Veränderungen
Wir haben festgestellt, dass Entstressung und Selbstbestimmtheit durch das Grundeinkommen die Menschen offener für Veränderungen macht: Wenn ich ein größeres Gefühl von Sicherheit und mehr Kontrolle über mein Leben habe, dann setzt das Ressourcen frei, die den Blick weiten. Wenn mir gleichzeitig niemand diese Sicherheit nehmen kann, weil sie bedingungslos ist, dann muss mir Veränderung keine existenzielle Angst einflößen.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens erzeugt dieses starke Gefühl von Sicherheit, wie es weder Sozialleistungen noch Löhne oder Gehälter können: Durch seine Bedingungslosigkeit verliert das Grundeinkommen die Bestrafungslogik vieler Sozialleistungen, die von ihren Empfänger*innen nicht ohne Sanktionen gedacht werden können und sollen. Durch die Zahlung am Monatsanfang bekommt das Grundeinkommen im Gegensatz zu Lohn und Gehalt den Charakter eines Vertrauensvorschusses. Wir können es als eine Investition in unsere eigene, selbstbestimmte Wirksamkeit begreifen.
Unsere Erfahrung ist: Wer Monat für Monat diese Art von unangreifbarer Verlässlichkeit seiner finanziellen Existenz erfährt, öffnet sich für nötige Neuerungen in anderen Lebensbereichen umso eher. Wir nennen es den Grundeinkommens-Trick.
Das Grundeinkommen bildet also das emotionale Fundament und ermöglicht so die notwendige Veränderungstoleranz. Wäre das Grundeinkommen also ein Weg, die lähmenden Verteilungskämpfe zu beenden, weil die Menschen darin nicht mehr so viel zu verlieren haben? Wir glauben, dass der Kampf gegen den Klimawandel vor allem einen Kulturwandel in unseren Köpfen braucht. Der Hebel dafür kann das Bedingungslose Grundeinkommen sein.
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