Das Grundeinkommen vereint die besten Ideen aller Parteien – und würde auch noch die Demokratie stärken. Warum findet es trotzdem auch bei dieser Wahl praktisch nicht statt? Michael Bohmeyer schreibt den Parteien schon mal die besten Argumente ins nächste Wahlprogramm.
Wenn künftig drei Parteien in einer Koalition das Land regieren, dann wird es krachen. Denn bei vielen Vorschlägen sind die Parteipositionen meilenweit auseinander und die Fronten verhärtet. Gleichzeitig haben wir wegen Klimawandel und gesellschaftlicher Spaltung dringenden Bedarf nach großen und schnellen Veränderungen. Es braucht also eine neue Idee.
Eine Idee, die jenseits der klassischen ideologischen Grenzen verläuft. Eine Idee, die Freiheit und Sicherheit bietet. Eine Idee, die das Individuum fördert und die Gemeinschaft. Eine Idee, die für die Armen funktioniert und für die Reichen. Eine Idee, die radikal ist, bei der aber keine Partei ihr Gesicht verlieren muss. Das ist die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens.
Denn das Grundeinkommen vereint die besten Ideen aller Parteien. Es ist gleichzeitig sozial und liberal, konservativ und grün. Anders gesagt: Für jede Partei gibt es gute Gründe, sich damit zu beschäftigen. Hier ist eine Argumentationshilfe aus Sicht der einzelnen Parteien.
Konservativer als die CDU
"Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird es mit uns nicht geben", schreibt die CDU in ihrem Wahlprogramm. Das mag stimmen, aber ist diese Ablehnung eigentlich im Sinne der CDU selbst?
Denn gleichzeitig will sie Wachstum und Arbeit für alle. Aber woher soll das Wachstum kommen, wenn die Menschen nicht genug Geld in der Hand haben, um es auszugeben? Und wie sollen alle Menschen zu Jobs kommen, wenn es mangels Geld nicht genug Nachfrage und damit Arbeitsplätze gibt?
Die CDU befürchtet – aus guten Gründen –, dass der Staat die Steuern erhöht, um das Geld unwirtschaftlich und bürokratisch umzuverteilen. Doch wie, liebe CDU, sähe es aus, wenn die Steuern zwar steigen würden, aber der Staat damit nicht aufgebläht würde, sondern sogar schrumpfen könnte? Das nämlich wäre der Fall beim Grundeinkommen.
Jeder eingesammelte Cent wird als Cash und Kaufkraft direkt wieder in die Hände der Bürger*innen gegeben und damit in die Wirtschaft investiert. Bürokratie und Verwaltung könnten abgebaut werden, weil jeder eine Sicherheit hätte, ohne nach Vater Staat rufen zu müssen. Das würde die Eigenverantwortung stärken.
Auch Familien würden gestärkt, denn jeder Mensch – auch Kinder – würde ein Grundeinkommen erhalten. Statt kinderloser Vereinzelung würden sich dann (Groß-)Familien wieder lohnen. Und wer statt Karriere lieber die Kinder am heimischen Herd bekochen möchte, muss das nicht tun – kann es aber.
Einige unterstellen der CDU, dass es ihr vor allem darum ginge, dass sich möglichst wenig verändert und alte Macht- und Besitzstände nicht angerührt werden. Aber selbst dafür eignet sich ein Grundeinkommen. Denn während die Einkommens- und Vermögensverteilung immer krasser auseinander driftet, braucht es neue Strategien für die eher wohlhabende Klientel der CDU, um diese Unterschiede zu rechtfertigen.
Der nachhaltigste Weg dafür war es immer, die größte Not der Armen zu lindern, damit diese nicht aufbegehren. Oder wie der Philosoph Harry G. Frankfurt schrieb: "Wenn jedermann genügend Geld hätte, würde es niemanden besonders interessieren, ob manche Leute mehr Geld hätten als andere."
Das finnische Experiment zum Grundeinkommen zeigt zudem, dass bedingungslose Zahlungen das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Regierung stärken. Davon würde die CDU wie keine zweite Partei profitieren.
Sozialdemokratischer als die SPD
"Respekt" ist das Leitmotiv des SPD-Wahlkampfes. Und Respekt solle es in Form von höheren Löhnen und angemessenen Renten vor allem für diejenigen geben, die Erwerbsarbeit haben oder hatten.
Das ist ein schöner Anspruch. Allerdings haben wir in Deutschland dank Hartz IV, eingeführt von der SPD, den größten Niedriglohnsektor Europas: Jede*r fünfte lebt in Armut, häufig trotz eines oder mehrerer Jobs. Auch wer 40 Jahre lang zum Mindestlohn arbeitet, erhält im Alter keine respektvolle Rente, sondern nur Grundsicherung.
Sozialer ginge das mit einem Grundeinkommen. Damit hätten alle Menschen genug, Armut wäre verschwunden. Erwerbstätige hätten nicht nur "genug", sondern in jedem Fall mehr als diejenigen, die keinen Job ausführen wollen oder können. Den oben genannten Respekt würden die Erwerbstätigen dadurch bekommen, dass sie nun endlich nicht mehr erpressbar wären. Weil sie nicht mehr um jeden Preis einen Einkommensplatz behalten müssten, könnten sie die Löhne für ihren Arbeitsplatz nach oben verhandeln.
Die 70 Prozent aller Rentner*innen, die heute nach einem langen Arbeitsleben weniger als 1.000 Euro Rente erhalten, hätten auf einen Schlag mehr.
Aber vor allem würde der "Respekt" nicht mehr nur den Menschen mit Job gelten. Immerhin lebt die Hälfte aller Menschen nicht von Lohn, sondern von ihren Eltern, Partner*innen oder vom Staat. Auch sie tun Dinge, von denen alle profitieren, etwa sich bilden, ein Ehrenamt ausüben, Kinder aufziehen oder Alte pflegen. All diese Arbeit macht die Mehrheit aller Arbeitsstunden aus – und ist unbezahlt. Mit einem Grundeinkommen würden diese Menschen endlich auch den "Respekt" kriegen, den sie verdienen, anstatt des Signals, dass sie wegen fehlenden Lohns nur Arbeitskräfte zweiter Klasse seien.
60 Prozent der SPD-Wählerschaft befürwortet ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Wenn der "Respekt" nicht nur eine Floskel bliebe, sondern glaubwürdig und für alle Menschen als Grundeinkommen auf dem Konto landen würde, könnte die SPD ihre von Existenzsorgen bedrohten und enttäuschten Wähler*innen zurückgewinnen.
Liberaler als die FDP
In der Welt der FDP ist jede*r Bürger*in Unternehmer*in ihrer oder seiner selbst. Nicht der Staat, sondern diejenigen sollen eigenverantwortlich entscheiden dürfen, die am besten wissen, was gut für sie ist: die Bürger*innen. Deshalb wäre es für die FDP nur konsequent, auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle zu setzen.
Denn das Grundeinkommen wirkt wie eine Startup-Investition in die 83 Millionen Bundesbürger*innen. Wie ein monatlicher Kredit. Ein Kredit? Ja. Denn Kredite bekommen diejenigen, die Sicherheiten haben und denen man vertraut, weil man davon ausgeht, dass sie mehr aus dem Geld machen, als man ihnen gibt.
Die meisten erfolgreichen Menschen und Unternehmer*innen hatten Sicherheit und Vertrauen – und haben ihren Kredit genutzt. Doch welche Potenziale vergeuden wir eigentlich derzeit dadurch, dass die meisten Menschen keine Sicherheiten haben und deshalb kein Vertrauen, also keinen Kredit bekommen?
Wenn jede*r unkompliziert jeden Monat das hätte, von dem wir wissen, dass sie oder er es sowieso brauchen, nämlich genug Geld zum Leben, dann könnte man jeden Monat aufs Neue den gewährten Kredit klug investieren, bis es klappt.
Das müsste nicht mehr zäh und bürokratisch staatlich gelenkt werden, sondern Menschen könnten etwas Mutiges wagen, weil sie nicht alles zu verlieren haben. So könnten zum Beispiel einige Jobs auch zu geringeren Löhnen ausgeübt werden, ohne dass das Ausbeutung wäre – denn jede*r hat ja genug und damit die Freiheit, auch Nein sagen zu können.
Arbeiter*innen müssten sich nicht aus Furcht vor Armut an möglicherweise längst überholte Jobs klammern, sondern könnten angstfrei für neue Jobs im digitalen Zeitalter umlernen. So gelingt die Digitalisierung – ohne Aufstände, Verelendung oder Enteignungsfantasien.
Linker als die Linke
"Das Grundeinkommen ist eine Notwendigkeit", sagt der Linke Ex-Finanzminister Griechenlands Yanis Varoufakis. Er sagt das allerdings nicht, weil ein Grundeinkommen so viele linke Vorhaben auf einen Schlag erledigen würde – wie die Abschaffung von Armut, die finanzielle Wertschätzung von bisher unbezahlter Arbeit, höhere Löhne, Umverteilung von oben nach unten, Machtumverteilung innerhalb der Familie und innerhalb der Betriebe.
Nein, er spricht vom Grundeinkommen als Notwendigkeit, weil der digitale Kapitalismus die heute schon existierenden sozialen Verwerfungen rasant beschleunigen wird und deshalb Massenverarmung droht. Wenn digitale Unternehmen mit immer weniger Mitarbeiter*innen immer größere Profite machen, aber – wenn überhaupt – Steuern nur im Ausland zahlen, dann entsteht nicht nur Massenarbeitslosigkeit, sondern es fehlt auch die Kaufkraft, um die nicht-digitale Wirtschaft am Laufen zu halten.
Es braucht also ein Grundeinkommen, um den Menschen im digitalen Kapitalismus die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen – und Aufstände und autoritäre Regime zu vermeiden.
Wer die Systemfrage stellen will, ohne dafür zu Massenstreiks und Klassenkampf aufzurufen, könnte auf ein Grundeinkommen setzen. Wer die Freiheit hat "Nein" zu Ausbeutung zu sagen, weil sie oder er keine Armut mehr zu fürchten hat, hat mehr Macht zur Mitbestimmung in der Wirtschaft. Ausbeutung ist kaum noch denkbar mit einem Grundeinkommen.
Stattdessen gäbe es Raum für neue Lebensentwürfe jenseits der Verwertungslogik. Statt in einer Gesellschaft der Konkurrenz, die sich oft wie ein Haifischbecken anfühlt, könnte eine Gesellschaft der Kooperation entstehen. Es gäbe dann Solidarität nicht nur, weil man gemeinsam gegen einen übermächtigen Gegner kämpft, sondern, weil dieser übermächtige Gegner die Leute nicht mehr spalten kann.
80 Prozent der Linken-Wähler*innen befürworten übrigens ein Grundeinkommen.
Grüner als die Grünen
Wenn man genau hinguckt, haben die Grünen nicht nur eine Forderung nach Pilotprojekten im Wahlprogramm, sondern sogar die Einführung eines echten, partiellen Grundeinkommens: dem Klimageld.
Dabei sollen die Einnahmen der CO2-Steuer über das Finanzamt pauschal und individuell an alle Bürger*innen des Landes ausgezahlt werden. Das wär die erste universelle, bedingungslose Zahlung des Staates an seine Bürger*innen. Ein Mini-Grundeinkommen.
Und das ist auch nur folgerichtig. Denn der Klimawandel wird sich nur bremsen lassen, wenn CO2-Ausstoß verteuert wird. Gleichzeitig kann der nicht verteuert werden, wenn sich dann arme Menschen nicht mehr das Nötigste leisten können, weil dann Konservative immer – wenn auch oft heuchlerisch – den "kleinen Mann" gegen die Klimapolitik ausspielen werden.
Die einzige wirksame Art, dies zu verhindern und damit die Brücke zwischen Klima und Sozialem zu bauen, ist das Klimageld oder Grundeinkommen. Wenn der CO2-Preis steigt, wird auch das Klimageld steigen. Das sorgt für mehr Klimagerechtigkeit. Denn dann hätten alle genug Geld und niemand wäre gezwungen, sich umweltschädlich zu verhalten. Wer es dennoch tut, zahlt mehr CO2-Steuer, als er Klimageld oder Grundeinkommen bekommt – und finanziert damit das Grundeinkommen der anderen.
Heute sind diejenigen, die sich umweltbewusst verhalten wollen, doppelt benachteiligt: Sie zahlen mehr für die Bahn als fürs Flugzeug und für Bio statt Aldi. Obendrein ist ihr Konsum häufig unbequemer. Ökologisches Verhalten wird auf diese Art nicht befördert oder belohnt. Umweltsünder*innen kommen davon, sparen Geld oder machen große Profite.
Mit einem Grundeinkommen, finanziert aus einer CO2-Steuer, wäre das erstmals andersherum. Produkte, deren Herstellung weniger CO2 verursacht, werden deutlich günstiger. Gleichzeitig hätten die meisten Menschen mehr Geld in der Tasche, um diese Produkte zu kaufen. Das wäre eine gigantische Investition in eine nachhaltige Wirtschaft und klimaschonende Technologie – teuer bezahlt von den Klimasünder*innen.
60 Prozent der Grünen-Wähler*innen befürworten ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Entzieht der AfD die Existenzgrundlage
Die einzige Partei im Bundestag, der das Grundeinkommen nicht bei der Erreichung ihrer Ziele helfen würde, ist die AfD.
Ein Teil ihrer Wählerschaft ist schlicht rechtsradikal. Aber massentauglich wurde die AfD, weil sie es verstand, zwei wesentliche Stimmungen in der Bevölkerung für sich zu nutzen: Existenzangst und Ohnmacht.
Prekäre Jobs, der Abbau von Sozialsystemen und Arbeitslosigkeit durch das Ende vieler Industriejobs haben reale Armut und Angst vor Armut in der Mittelschicht gesteigert. Wer Existenzangst hat, handelt weniger solidarisch, und versucht seine eigene Haut zu retten. Da ist es scheinbar wohltuend, sich einen Sündenbock zu suchen.
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Besonders bedrohlich wird es, wenn Menschen das Gefühl haben, sich aus ihrer eigenen Misere nicht mehr selbst herausarbeiten zu können. Tatsächlich ist der soziale Aufstieg in Deutschland besonders schwer, während Regierungen uns gleichzeitig erzählen, man müsse sich nur mehr anstrengen und "Eigenverantwortung" übernehmen. Diese Ohnmacht führt zu Meckern, Wut und letztlich Hass.
Mit einem Grundeinkommen gäbe es keine Existenzangst mehr, garantiert, ein Leben lang. Für Alle. Mit einem Grundeinkommen hätten alle Menschen tatsächlich die Chancengleichheit für den Aufstieg, die sonst nur leer versprochen wird. Man könnte angstfrei seinen Job wechseln, sich ausprobieren, weiterbilden, auf die Nase fallen und neu aufstehen. Veränderung wird weniger bedrohlich, weil man sich selbst mitverändern kann.
Die Ohnmacht und Angst, die die AfD heute schüren, weil sie selbst davon profitiert, wären weg. Was von der Wählerschaft dieser Partei übrig bliebe, wäre ihr harter Kern aus nicht mehrheitsfähigen Nazis.
Grundeinkommen – die eierlegende Wollmilchsau?
Das Grundeinkommen soll also eine Idee sein, von der die FDP genauso profitiert wie die Linke? Und überhaupt: Was denn nun? Wird mit dem Grundeinkommen jede*r zum Unternehmer*in ihrer oder seiner Selbst oder ist es der Weg in die Postwachstumsgesellschaft?
Die Antwort ist: Beides! Das Grundeinkommen kann für Liberale, Soziale, Konservative und Grüne gleichermaßen funktionieren, weil es ein neues Politikverständnis mit sich bringt: Es ginge dann nicht mehr darum, dass die Regierung versucht, die Menschen durch Regulierungen zu einem bestimmten Lebensentwurf zu bringen, den ihre Wählerschaft für richtig hält. Stattdessen hätten alle Bürger*innen die Mittel um selbst zu entscheiden, wie sie leben möchten.
Es könnte dann eine Gleichzeitigkeit von Lebensentwürfen geben, eine tatsächlich vielfältigere Gesellschaft. Mit einem Grundeinkommen würde der Staat mehr Macht und Verantwortung auf seine Bürger*innen übertragen. Ähnlich wie Abgeordnete in den Parlamenten heute hätten die Bürger*innen eine unkürzbare Diät, die sie weniger korrumpierbar und damit zu besseren Demokrat*innen machen würde.
Die Partei, die ihren Wählern als erstes zutraut, diese Macht und Verantwortung für sich selbst und das Land zu übernehmen, hat gute Chancen, einen großen Schritt bei der Erreichung ihrer Ziele voranzukommen.
Teilst du Michael Bohmeyers Argumente, dass das Bedingungslose Grundeinkommen zu jeder Partei passt? Schreib uns deine Meinung in die Kommentare. Danke, dass du mitmachst!
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