Hallo Tonia, warum hast du diese Petition gestartet und worum geht es dabei?
Tonia Merz: Ich fordere in der Petition, dass jetzt in dieser Coronakrise für sechs Monate ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle eingeführt wird. Als schnelle, unbürokratische Hilfsmaßnahme für alle, die gerade eigentlich nicht mehr wissen, wie sie ihre Mieten zahlen sollen und durchs soziale Netz fallen, dessen Löcher gerade sichtbar werden. Das war eigentlich eine ganz spontane, schnelle Idee und ich bin ganz überwältigt, was für ein Selbstläufer die Idee geworden ist.
Warum ein Grundeinkommen für alle und nicht nur Unterstützung für Selbstständige?
ToniaMerz: Mir ist in dem Moment, als ich die Pressekonferenz gehört habe und das Hilfsmaßnahmenpaket verkündet wurde, sofort klar geworden, dass eines der größten Probleme die Bearbeitung von Anträgen, das Auswahlverfahren und die Beurteilung, wer wie viel kriegen soll, sind. Das ist der eine Grund, aus dem ich dachte: Ok, nein, es muss jetzt so unbürokratisch und schnell wie möglich gehen.
Das zweite ist: ich bin Unternehmerin. Ich produziere hier in Berlin Korsetts. Wir haben eine eigene Werkstatt. Fast alle oder viele Selbstständige bieten in irgendeiner Art und Weise Dienstleistungen an, die ihnen jetzt total wegfallen. Das heißt, das Nächste, was das Land einfach auch trotz der Krise braucht, sind Menschen, die weiterhin konsumieren – idealerweise im eigenen Land.
Meine Hoffnung war natürlich auch, dass die Leute das verstehen, dass sie vielleicht dieses zusätzliche Geld jetzt hier ausgeben: Gutscheine kaufen, Onlinelesungen von Autoren unterstützen, sich Pizza von ihrer Pizzeria gegenüber vor die Tür stellen lassen. Was auch immer. Ich denke da werden sich die Kreativen möglichst schnell Dinge einfallen lassen, wie es vielleicht doch weitergehen kann und wir durch die Krise kommen. Die Hoffnung ist, dass das Geld im Kreislauf bleibt und dann auch ausgegeben wird.
Die Mehrheit befürwortet ein befristetes Grundeinkommen
53,2 Prozent aller Deutschen sind dafür, jetzt ein befristetes Grundeinkommen für sechs Monate einzuführen, um die Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Dagegen sind 32,7 Prozent. Das ist das repräsentative Ergebnis einer Civey-Online-Umfrage in unserem Auftrag. Dazu wurden am 17. und 18. März 2.500 Menschen ab 18 Jahren befragt. Der statistische Fehler liegt bei 3,5 Prozent.
Wie geht es dir gerade als Selbstständige? Wie sieht dein Alltag gerade aus?
Tonia Merz: Im Moment bin ich gerade sehr viel mit der Petition beschäftigt, muss darüber hinaus aber total aufpassen, dass ich mein eigenes Team und mich soweit es geht irgendwie absichere – versuche herauszufinden, was kann woher kommen, Lieferanten anrufen, Finanzamt als nächstes kontaktieren für den Vermieter. Das ist die Business-Seite.
Die private Seite ist, dass mir es in den Jahren gelungen ist, zwar Arbeitsplätze zu schaffen, auch meinen eigenen Lebensunterhalt zu beschreiten, aber auf richtig großem Fuß habe ich auch nie gelebt. Ich bin eine von denen, die genau weiß, meine eigenen Reserven, die nicht in der Altersvorsorge angelegt sind, sind sehr klein. Für mich greift kein Kurzarbeitsgeld, für mich greift kein Arbeitslosengeld. Meine einzige Chance wäre Hartz IV, bei dem zum Beispiel die Altersvorsorge sofort weg wäre.
Wie lange kannst du dich ohne Unterstützung noch über Wasser halten?
Tonia Merz: Zwei Monate oder so? Also persönlich privat. Geschäftlich nicht länger. Ich glaube, wer fünf Mitarbeiter hat, kann sich vorstellen, wie hoch ungefähr die laufenden Kosten sind. Für mich wäre jetzt die Soforthilfemaßnahme, die in Bayern getroffen wurde für Firmen nicht ausreichend: Das sind 5.000 Euro einmalig. Das reicht nicht mal für einen Monat.
Hast du einen Plan B, was du jetzt machen könntest, wenn der Zustand länger anhält?
Tonia Merz: Nein, aber ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Es wird sich schon immer irgendwas zeigen und ergeben. Und ich bin auch voller Hoffnung. So wie mir wird es sehr sehr Vielen im Land gehen und ich hoffe einfach inständig, dass das Land uns nicht alleine lässt.
Du bist ja wahrscheinlich mit sehr vielen Kreativen umgeben in deinem Beruf. Hast du noch Freunde, Bekannte, Familie, die ebenfalls betroffen sind? Wie gehen die mit der Situation um?
Tonia Merz: Also gefühlt ist vor allem mein Freundeskreis betroffen. Ich habe den Eindruck, dass 80 Prozent meines vor allem auch Berliner Umfeldes aus Kreativen, aus Freiberuflern besteht, aus Leuten aus der Filmbranche, Kameraleute, Modedesigner, Designer, kleine Ladenbetreiber, Gastronomie, Veranstalter, DJs. Ich habe sofort in der Sekunde, als ich die Pressekonferenz gesehen habe, gedacht: Scheiße, das betrifft mein halbes Umfeld.
Zu etwas Positiverem: Deine Petition geht gerade total durch die Decke. Du hast schon gesagt, du hast mit diesem Erfolg gar nicht gerechnet. Mit was hast du denn gerechnet
Tonia Merz: Das war ein totaler Schnellschuss. Ich bin auch nicht aus diesem klassischen Grundeinkommensverfechter-Bereich. Ich habe mich dafür nicht vorher schon wahnsinnig engagiert. Ich bin schon lange Sympathisantin und finde die Idee eigentlich ziemlich gut, dass Menschen die Möglichkeit gegeben werden sollte, ihr Leben selbst zu gestalten. Und glaube auch nicht, dass die Leute dann aufhören zu arbeiten.
Aber ich hatte beim Schreiben der Petition eigentlich schon das Gefühl: Das trifft jetzt gerade absolut den Nerv der Zeit. Und ich habe mir schon gedacht, dass es sehr schnell sehr viele Anhänger bringen wird. Meine Hoffnung war einfach, diesen Gedanken so schnell in die Gesellschaft raus zu rufen, dass genug Medien oder wer auch immer es aufnehmen – genug Menschen, die Politik vielleicht – sodass es einfach in den Köpfen ankommt. Und sie vielleicht bei ihren Debattiertischen oder Onlinekonferenzen, die sie auch selber gerade haben, selbst auf die Idee kommen zu sagen: Uns wächst gerade alles über den Kopf und das ist jetzt die schnellste, pragmatischste Lösung.
Wie fühlt es sich für dich an, dass jetzt hunderttausende Menschen deine Idee unterstützen und große Medien bei dir anfragen?
Tonia Merz: Gut. Mein Impuls war: Unternehmer müssen halt was unternehmen. Also das Gefühl, dass einem nicht die Hände gebunden sind. Dass man was machen kann, wenn man will und Dinge bewegen kann. Und es war toll plötzlich zu merken: Wow, es funktioniert. Plötzlich redet gefühlt das halbe Land über ein Grundeinkommen und große Verbände fordern es. Plötzlich zu merken, man kann so eine Idee in Umlauf bringen, das ist schon cool und ist gerade auch in aller Verzweiflung was sehr Positives und Schönes.
Wirst du jetzt doch Grundeinkommens-Aktivistin?
Tonia Merz: Vielleicht ja. Bin ich doch schon. Bin ich doch schon geworden innerhalb von drei Tagen. (lacht)
Das stimmt. Wir haben auf Twitter Nachrichten dazu erhalten, warum denn die Petition auf Change.org stattfindet, und warum nicht auf der offiziellen Plattform des Bundestags? Wie kann es mit der Petition jetzt weitergehen, was sind die nächsten Schritte?
Tonia Merz: Das war keine bewusste Entscheidung, weil zwischen Idee und Petitionsstart ungefähr eine Stunde lag. Das heißt, ich habe mich mit den Rahmenbedingungen zugegebenermaßen nicht sehr auseinandergesetzt. Change.org war das erste, was mir eingefallen ist als große Plattform. Aber tatsächlich habe ich mich sowohl mit Change.org als auch mit jemandem aus dem Bundestag nochmal kurzgeschlossen. Das Problem an der e-Plattform des Bundestages: Ja, das ist der rechtssichere Weg, über den der Bundestag sich mit der Petition beschäftigen muss. Aber ich weiß, es gibt keine zeitlichen Vorgaben, in welchem Zeitrahmen der Bundestag das tun muss.
Daher denke ich, es ist gar nicht so sehr schlimm ist, dass die Petition dort nicht parallel offiziell läuft. Ich habe hinter mir auch Simone Barrientos stehen, die für die Linken im Kulturausschuss sitzt und im Moment in den Gesprächen total beteiligt ist und mir versprochen hat, die Petition mit in den Bundestag zu nehmen. Ich glaube, das wird auch der nächste Schritt werden. Da sind wir jetzt aber gerade dran. Es geht einfach gerade alles sehr schnell.
Vielen Dank Tonia, dass du dir dennoch die Zeit für uns genommen hast und viel Erfolg weiterhin mit der Petition.
Tonia Merz: Dankeschön.
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