Es ist Januar 2019. Die Neuanmeldungen im Fitnessstudio schießen in die Höhe, Menschen tauschen sich fleißig über gesunde Ernährung aus und nehmen sich vor mal wieder ins Theater zu gehen. Was diese Neujahrsvorsätze und viele weitere eint, ist der Wunsch nach einem guten und erfüllten Leben. Doch was ist das überhaupt: ein “gutes” Leben? Und wie bekommt man das?
Einer der bekanntesten Soziologen Deutschlands, Prof. Dr. Hartmut Rosa, hat sich dazu in seinem Buch Resonanz einige Gedanken gemacht. Und Achtung Spoiler: Das Bedingungslose Grundeinkommen spielt darin eine besondere Rolle.
Wir haben ihn getroffen, um mit ihm über den Zusammenhang von Grundeinkommen und gutem Leben zu sprechen.
Maheba: In deinem Werk “Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung” schreibst du über das gute Leben. Kann man denn überhaupt einheitlich definieren, was genau das gute Leben ist?
Hartmut Rosa: Ja, aber es ist eine schwierige Frage. Ich habe fast 900 Seiten dafür gebraucht (lacht). Ich versuche es mal zusammenzufassen. Ich glaube, dass man die Qualität von Leben an der Art und Weise wie wir auf die Welt bezogen sind messen kann. Es ist eine Beziehungsfrage: Wie treten wir zueinander in Beziehung? Aber auch: Wie treten wir zu uns selbst in Beziehung? Und was für ein Verhältnis haben wir zur Welt und den Dingen in ihr? Deshalb lautet der Untertitel des Buches auch Soziologie der Weltbeziehung. Es gibt also ganz unterschiedliche Formen des In-Beziehung-Tretens.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen leben wir allerdings in einem Aggressionsverhältnis. Wir müssen dauernd alles mögliche erledigen und erreichen - Weltreiche vergrößern, so nenn ich das.
Ein gutes Leben hingegen ermöglicht es in Resonanz zueinander zu treten. Resonanz ist eine bestimmte Art des Bezogen-Seins, das ich als “Hören und Antworten” beschreibe. Ich lasse mich von etwas berühren. Es ergreift mich. Im zweiten Moment erfahre ich mich dabei aber auch als wirksam verbunden. Das ist ganz wichtig. Menschen wollen, dass das, was sie tun, auch eine Spur hinterlässt und eine Wirkung in der Welt erzielt. Wenn wir so etwas erleben, transformieren wir uns auch immer wieder selbst. Nur da fühlen wir uns lebendig. Deshalb glaube ich, ein gutes Leben ist eins, das sich auf diese Art von Wechselspiel einlässt: ein Leben, in dem wir die Möglichkeit haben, im Sozialkontakt, im Gegenkontakt und im Verhältnis zum Leben überhaupt in Resonanz zu treten.
Maheba: Und was genau hat ein Bedingungsloses Grundeinkommen mit dem guten Leben zu tun?
Hartmut Rosa: Da braucht man einen Zwischenschritt. Eine Voraussetzung für Resonanzfähigkeit ist eine gewisse Form von Angstfreiheit. Denn wenn ich Angst habe – übrigens auch, wenn ich unter Zeitdruck stehe – darf ich mich nicht in Resonanzverhältnisse begeben, beziehungsweise mich nicht darauf einlassen. Unter Zeitdruck sieht man das ganz klar: Wenn ich in zehn Minuten am Bahnhof sein muss, weil dann mein Zug geht, dann darf ich nicht mehr mit dir in Resonanz treten, zum Beispiel in Form eines interessanten Gesprächs. Aber bei Angst ist es auch klar: Wenn ich Angst habe, verschließe ich mich gegenüber der Welt und kann mich zum Beispiel nicht mehr an der schönen Musik erfreuen, die von irgendwoher erklingt.
Ich glaube, dass die gegenwärtige Gesellschaft geprägt ist durch einen permanenten Zwang zur Steigerung. Das ist systemisch verankert, denn Wirtschaftswachstum, Beschleunigung und Innovation müssen jedes Jahr von uns erbracht werden und das übersetzt sich in unser Leben in Form von Konkurrenzdruck und Existenzzwang.
Wir kommen uns vor, als ob wir an einer Bergwand hängen, an der wir ständig abrutschen, und wenn wir es nicht schaffen wieder nach oben zu klettern, dann fallen wir in einen Abgrund und dieser Abgrund ist bodenlos. Das ist sowas wie der soziale Tod.
Die gegenwärtige Grundsicherung ermöglicht uns zwar, dass wir nicht verhungern, aber sie nimmt uns den Platz in der Welt. Sie nimmt uns das Gefühl eines legitimen Zugehörig-Seins zur Welt und zur Gesellschaft. Mit der Angst vor dem sozialen Tod haben nicht nur die zu kämpfen, die wirklich von Hartz IV leben, sondern alle anderen auch, denn sie könnten ja ebenfalls dort hinabrutschen. Deshalb glaube ich, ein Bedingungsloses Grundeinkommen schafft eine existenzielle Sicherheit für die gesamte Gesellschaft. Sie pazifiziert die Existenz, sie befriedet unser In-der-Welt-sein, sodass es uns überhaupt wieder möglich ist, in Resonanz zu kommen – mit uns selbst, mit der Welt, mit der Natur.
Maheba: Eine Gesellschaft, die frei von Existenzangst ist, wie stellst du sie dir vor? Was könnte da alles passieren?
Hartmut Rosa: Es ist ja nicht so, dass wir dann komplett frei von Existenzängsten wären. Wir könnten immer noch krank werden. Wir würden in Liebesdingen schreckliche Ängste ausstehen und in vielen anderen Dingen auch. Wir müssten allerdings nicht mehr um unsere ökonomische Existenzsicherung besorgt sein. Und jetzt ist die spannende Frage, die ja auch immer diskutiert wird: Werden die Leute dann einfach faul? Sitzen sie dann womöglich alle mit der Bierflasche vor dem Fernseher? Und da lautet meine Antwort: Dieses Phänomen, dass Menschen so frustriert werden, dass sie mit der Bierflasche vorm Fernseher sitzen, das hat Hartz IV erzeugt. Weil es diese Menschen und ihre Zeit entwertet hat.
Wenn man den Menschen vermittelt, eigentlich seid ihr überflüssige Wesen, dann entzieht man ihnen die Möglichkeit aktiv, kreativ und innovativ mit Welt und Gesellschaft verbunden zu sein. Menschen strengen sich gerne an. Sie sind auch gerne kreativ. Das gehört zu unserem Wesen dazu.
Und deshalb denke ich, dass so eine Gesellschaft, in der die Existenz erstmal befriedet ist, nicht träge oder gar faul sein wird, sondern sich alle möglichen Formen von Resonanzquellen und Resonanzbeziehungen erschließen wird.
Wir werden aber nicht mehr gezwungen – weder in der Produktion noch in der Konsumtion – uns panisch auf Steigerung zu konzentrieren.
Maheba: Vielen Dank für das Gespräch, Hartmut.
Zur Person
Prof. Dr. Hartmut Rosa ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und am Max-Weber-Kolleg Erfurt. Mit seinem Buch Beschleunigung wurde er einem breiten Publikum bekannt. Darin beschäftigt er sich mit der Frage, wieso wir gefühlt immer weniger Zeit haben, obwohl wir sie ständig sparen. Als eine Hauptursache macht er das Hamsterrad der Beschleunigung aus. In seinem darauffolgenden Buch Resonanz stellt er sich den Fragen, wie ein Leben außerhalb dieses Hamsterrads aussieht, was ein gutes Leben auszeichnet und wie wir als Gesellschaft dahin gelangen können. Als einen konkreten Lösungsvorschlag nennt er das Bedingungslose Grundeinkommen.
Das Gespräch haben wir auf einer Veranstaltung des Kolleg Postwachstumsgesellschaften geführt.
Und jetzt interessiert uns natürlich deine Meinung: Was ist für dich ein gutes Leben? Schreib es uns gerne in die Kommentare.