Die Zeiten scheinen so unsicher wie nie. Sei es die gefühlte Unsicherheit, die sich mit Corona und dem Krieg in der Ukraine in unser Leben schleicht oder aber die damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen: Steigende Preise, steigende Kosten, angespannte Arbeitsmärkte. Eine Gruppe trifft das, was wir alle zu spüren bekommen, noch härter: Die Freischaffenden. Woran liegt das und was können wir tun?
Die Zahl der Freischaffenden nimmt jährlich zu. Knapp ein Zehntel der Erwerbstätigen gehört mittlerweile dazu. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Mit der fortschreitenden Digitalisierung steigt zum Beispiel auch der Bedarf nach flexiblen Teams für Projektarbeit. Im Idealfall ist die Selbstständigkeit also selbst gewählt. In vielen Branchen greift aber ein massiver Abbau fester Stellen um sich, der vielen keine andere Wahl lässt, als sich freiberuflich über Wasser zu halten.
Betroffene versuchen diese Erwerbsarmut oft zu kaschieren, um Stigmatisierung zu vermeiden. Als wäre das noch nicht schwer genug, kommt zu den geringen Einkommen oft noch eine überdurchschnittliche Wochenarbeitszeit als zusätzlicher Stressfaktor hinzu.
Kaum Altersvorsorge unter Selbstständigen
Besonders kritisch: Ihre geringen Einnahmen führen dazu, dass diese Gruppe keine oder nur über eine unzureichende Altersvorsorge verfügt, da es an Mitteln zum Vorsorgeaufbau fehlt. In einer Umfrage von YouGov gaben 46% der befragten Selbstständigen an, dass sie kein Geld fürs Alter sparen können. Wenn überhaupt, können sie erst sehr spät anfangen für das Alter vorzusorgen und Rücklagen aufzubauen. 49% fürchten sich daher vor Altersarmut. Damit aus Einkommensarmut keine Altersarmut wird, müsste dieser Teufelskreis frühzeitig durchbrochen werden.
Die Bundesregierung will hierfür eine Vorsorgepflicht für Selbstständige einführen. Gelten soll diese allerdings nur für Menschen, die sich neu selbstständig machen und nicht für Bestands-Selbstständige. Für alle, deren Honorare gerade so fürs Überleben reichen, dürften mit dieser Regelung aber schwierige Zeiten anbrechen, da ein weiterer Kostenfaktor entsteht, der nicht zwangsläufig mit höherem Einkommen einhergeht.
Eigentlich bräucht es daher eine starke Interessenvertretung, die die Belange der Selbstständigen in politischen Entscheidungsprozesse einbringt. Anders als andere Industriezweige und Menschen in Anstellungsverhältnissen hat diese Erwerbsgruppe aber kaum eine Lobby mit nennenswertem Einfluss.
Krisenanfälliger denn je
In der Corona-Pandemie zeigt sich besonders, wie ungeschützt Freischaffende in Krisensituationen sind. Einige Berufszweige, in denen vor allem Selbstständige arbeiten, wurden so in kürzester Zeit aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Kultur- und Kreativwirtschaft traf es besonders hart.
Viktoria Fröhle (30) arbeitet zwar hinter der Bühne, aber kann davon ein Lied singen. Die gelernte Veranstaltungstechnikerin erzählt uns: “Ich hab ganz viele Freunde in der Veranstaltungsbranche und ich würde sagen locker 60 Prozent von ihnen haben während der Pandemie die Branche gewechselt und bleiben auch dort: Vom Anwaltsbüro bis zur neuen Ausbildung als Zahnmedizinische Fachangestellte. Weil sie es mussten, nicht weil sie es wollten. Und die anderen 40 Prozent haben wahrscheinlich gut gehaushaltet.”
Der Staat brachte zwar relativ schnell Corona-Hilfen auf den Weg, aber diese gingen laut ver.di völlig an der Arbeits- und Lebensrealität von Selbstständigen in der Branche vorbei. Viele fielen durchs Raster und waren anschließend darauf angewiesen, Hartz IV zu beantragen. Die Gewerkschaft spricht an dieser Stelle von “mangelnder Wertschätzung” und “fehlender Gerechtigkeit gegenüber Solo-Selbstständigen und bemängelt, dass sie von der Politik nicht als Teil der Wirtschaft gesehen werden.
Freiberufler*innen als Motor unterschätzter Branchen
Das ist auch etwas, das Viktoria Fröhle kennt. Die fehlende Sichtbarkeit all der Menschen, die an der Umsetzung von Veranstaltungen mitarbeiten, sieht sie als Problem. Gesellschaftlich wird die Branche gerne als netter Luxus abgestempelt, der in Krisenzeiten halt wegfallen muss, da er kaum wertschöpfend sei. Dabei lag die Bruttowertschöpfung 2020 bei 94,6 Mrd. Euro und damit etwa auf dem Niveau des Maschinenbaus. Als attraktiver Standortfaktor sorgt die Kultur- und Kreativwirtschaft zudem für die Ansiedlung von Unternehmen und treibt den Tourismus an.
Obwohl Fröhle schon als Kind ihr Liebe für Konzerte entdeckte, hat sie die Kulturbranche mittlerweile ebenfalls hinter sich gelassen und arbeitet jetzt bei einem Hersteller für Automobilteile. Der neue Job bietet ihr “die Sicherheit eines großen Konzerns”. Als Hauptgrund für den Wechsel nennt sie die fehlende Sicherheit, Überstunden und unzureichende Vergütung: “Es macht vielleicht Spaß, aber man weiß: Es ist eine Heidenarbeit. Ich arbeite 12-16 Stunden, kriege aber nur 8 bezahlt.”
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Vereinbar mit dem Familienleben ist so ein Alltag nicht. Ein weiterer Grund für die frisch gebackene Mutter, dem Kulturbetrieb den Rücken gekehrt zu haben. Der Gewinn eines Jahres mit Grundeinkommen schuf hier weitere Abhilfe. So konnte Fröhle sich erlauben, mit nur 10 Stunden wieder ins Arbeitsleben einzusteigen und mehr Zeit mit ihrem Kind zu verbringen.
Was würde ein Grundeinkommen für die Veranstaltungsbranche bedeuten? “Ich glaube, es würde mehr Menschen in die Branche zurückholen, weil man besser abgesichert wäre. Und wenn es die Menschen nicht zurückholt, dann würde es vielleicht neue Leute ranholen. Ich glaube, es würde wieder mehr Personal geben und motivierteres Personal. Das würde auch weniger Arbeitsstunden und mutigere Arbeitgeber bedeuten.”
Rettung in Sicht?
Die Branche selbst scheint den Ernst der Lage jedenfalls erkannt zu haben. In Brandbriefen und Fachzeitschriften wird Alarm geschlagen angesichts des sich verschärfenden Personalmangels. Bei “Event Partner” wird als möglicher Lösungsweg die Frage in den Raum gestellt, ob es eventuell helfen könne, Aushilfskräfte mit Arbeitsverträgen langfristig mehr Sicherheit zu geben.
Fest steht, dass der derzeitige Personalmangel gerade in Branchen um sich greift, die sich stark auf temporäre und unsichere Arbeitsverhältnisse verlassen. Freiberufler*innen scheinen erkannt zu haben, wie krisenanfällig ihre Berufssituation ist. Wenn wir uns auch in Zukunft an all den Dingen erfreuen wollen, die das Leben erst lebenswert machen - seien es Kunst, Kultur oder Gastronomie - dann sollten wir schleunigst neue Formen der Absicherung für diese Menschen finden.
Was denkst du? Könnte ein Bedingungsloses Grundeinkommen Freiberufler*innen und Branchen, die auf sie angewiesen sind, mehr Krisensicherheit verschaffen? Arbeitest du selbst freiberuflich? Wir freuen uns auf deine Meinung!
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