Jesta ist Slow-Business-Coach mit Spezialisierung intuitives Zeitmanagement. Ab Mai 2016 erhielt sie für ein Jahr Grundeinkommen. Die Zeit damit war für sie sehr bewegend und hat ihr Erfahrungen ermöglicht, von denen sie heute noch profitiert. Im Interview mit uns berichtet sie über die einprägsamsten Momente, ihren Umgang mit der Existenzangst und den Verlauf ihres Experiments “Offener Preis”.
Mein Grundeinkommen: Um dein Grundeinkommens-Jahr mit wenigen Worten beschreiben zu können und möglichst greifbar zu machen: Kannst du einen Tag mit Grundeinkommen beschreiben, der dein Jahr möglichst anschaulich zusammenfasst?
Hmm. Einen Tag kann ich weniger gut beschreiben, dafür aber eine Situation: Während meines Grundeinkommens-Jahres musste ich zweimal körperliche Rückschläge hinnehmen, ich hatte einen Bandscheibenvorfall und es wurde bei mir Zöliakie diagnostiziert, woraufhin ich meine gesamte Ernährung umstellen musste. Ohne das Grundeinkommen wäre mir der Raum, den die Auseinandersetzung mit diesen beiden gesundheitlichen Herausforderungen eingenommen hat, wesentlich bedrohlicher erschienen. Da bin ich mir sicher. Man fragt sich bei sowas normalerweise sofort: Was bedeuten meine Ausfallzeiten für das Einkommen der Familie? Muss ich nicht trotz dieser gesundheitlichen Einschnitte weiterarbeiten, damit wir versorgt sind? Welche Kosten kommen für die Genesungsprozesse auf uns zu? Dank dem Grundeinkommen sind diese existentiellen Fragen eher in die zweite Reihe gerückt. Wir konnten uns darauf konzentrieren, Schritt für Schritt mit diesen Herausforderungen umzugehen, ohne ständig die Existenzangst im Nacken zu spüren.
Gerade in Bezug auf Gesundheit ist es wichtig, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Erst recht, wenn eine Familie finanziell von einem abhängig ist. Insofern, finde ich, schärft das Grundeinkommen den Blick aufs Wesentliche.
Ich stelle ich mir häufig die Frage: Warum müssen wir in Deutschland überhaupt darüber reden, dass man sich bei gesundheitlichen Herausforderungen auch noch die Frage stellen muss, ob man im nächsten Monat die Miete bezahlen kann? In der Vergangenheit gab es bei uns solche Momente. Wenn dann noch ein Kind krank wurde, war klar, dass wir uns nicht sicher sein konnten, dass wir für diesen Monat genug Einkommen haben würden. Bei all dem technologischen und medizinischen Fortschritt, den wir eigentlich in unserer Gesellschaft haben, muss man sagen: Unser Sozialstaat ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Das kanadische Grundeinkommens-Experiment, das in diesem Jahr starten soll, macht mir daher Hoffnung: hier gibt es neben dem Grundeinkommen für Eltern auch Kranken- und Kindergeld.
Wie hast du deine 1000 Euro pro Monat konkret eingesetzt?
Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Ich habe das nie genau festgehalten. Zu Beginn meines Jahres mit Grundeinkommen kam ich gerade aus einer Zeit, in der ich einen Hartz IV-Zuschuss als Selbstständige erhielt, da ich mich für die Zeit einer Mutter-Kind-Kur beim Jobcenter rückversichert hatte. Mit dem Grundeinkommen haben wir in der Familie erstmal finanzielle Löcher gestopft und einzelne Notwendigkeiten wie eine Winterjacke für mich angeschafft. Dann haben wir uns im Sommer einen Kurzurlaub in Polen gegönnt. Ansonsten hat das Grundeinkommen - im wahrsten Sinne des Wortes - unsere Existenz abgesichert.
Auch wenn ich letztendlich alle Hartz IV-Zuschüsse bereits während der Kurzeit wieder zurückgezahlt habe und meine Erfahrung mit dem Jobcenter dementsprechend nur ein Problelauf war für finanzielle Not, hat mir gerade die Zeit mit dem Grundeinkommen verdeutlicht, wie erniedrigend das Hartz IV-System ist. Ständig steht man unter enormem Druck und kommt sich teilweise vor wie ein Verbrecher, da man sich ständig rechtfertigen und erklären muss. Das Grundeinkommen hat mir dann geholfen, meine Würde zurückzugewinnen, heute habe ich ein ganz anderes Selbstverständnis.
Aus einer demütigenden Situation in die Bedingungslosigkeit zu kommen, war ein sehr intensives Erlebnis. Die Existenzangst weicht einem Gefühl der Existenzberechtigung. Ich wünsche allen Menschen, diese Bedingungslosigkeit, auch wenn es sie vielleicht nur für einen begrenzten Zeitraum geben kann, einmal zu erfahren. Ich muss dazusagen, dass ich das Glück hatte, zu wissen, dass ich nach der Mutter-Kind-Kur und meiner gesundheitlichen Erholung wieder wegkomme von Hartz IV und das alles nur eine kurze Erfahrung wird. Trotzdem hat mich diese Erfahrung sehr viel Kraft gekostet. Ich kann mir den persönlichen Horror von Menschen, die langfristig auf diesen Service angewiesen sind, sehr gut vorstellen.
Was hat das Grundeinkommen für deine Selbständigkeit als Slow Business Coach bedeutet?
In der Selbständigkeit wird man ständig von dem Gedanken begleitet, sich irgendwann finanziell selbst tragen zu müssen, was - je nach Beruf - extrem mühsam zu realisieren ist. Durch das Grundeinkommen konnte ich mir mehr Zeit für Entscheidungen nehmen und diese am Ende besser treffen. Außerdem hatte ich mehr Zeit, Dinge auszuprobieren, ohne diese direkt wieder - vom finanziellen Druck getrieben - in Frage zu stellen. Das Grundeinkommen war für mich also auch ein Arbeitsstipendium. Vor ein paar Jahren bekam ich zur Gründung meiner Selbständigkeit einen Gründungszuschuss. Allerdings war dieser mit dem Grundeinkommen nicht vergleichbar, denn man muss vorher einen ausführlichen Antrag stellen, der bewilligt werden muss und schon nach sechs Monaten muss man beweisen, dass man sich selbst finanziell tragen kann. Beim Grundeinkommen entfällt dieser Aspekt der Kontrolle und Fehlersuche von außen, was sich positiv auf meine Arbeit und auf meine Experimentierfreudigkeit ausgewirkt hat. Das Geld behält man ohnehin im Blick, denn 1000 Euro pro Monat sind ja nicht viel.
Wie würdest du den Verlauf und das Ergebnis deines Bezahl-Experiments „Offener Preis“ rückblickend beschreiben?
Durch das Grundeinkommen hatte ich den Mut, mich für das Ausprobieren meiner eigenen Utopie – dem Experiment „Offener Preis“ zu entschließen. Meine Klient*innen haben sich nach unserer gemeinsamen Coaching-Arbeit entschieden, wieviel sie bezahlen wollten und konnten. Mein Wunsch war es, das Thema Geld in den Hintergrund rücken zu lassen. Ich hatte gehofft, mich auf diese Art besser auf den Inhalt meiner Arbeit konzentrieren zu können. Mein Traum war es, ein Vertrauen zu entwickeln, das mich nicht daran zweifeln ließ, ob am Ende genügend für mich übrig blieb.
Leider kam es anders, denn das, was eigentlich in den Hintergrund treten sollte - das Geld - stand bei den Coachings auf einmal viel zu sehr im Vordergrund. Einigen war das Experiment von vorneherein zu kompliziert und sie wollten, dass ich ihnen einen festen Preis nenne. Andere haben sich x-fach für ihren Betrag gerechtfertigt. Eine Kundin meinte mitten in einem Coaching “kann ich bitte einfach den normalen, vollen Preis bezahlen, sonst kann ich mich überhaupt nicht konzentrieren.” Bei anderen kam es mir so vor, als hätten sie aus einem schlechten Gewissen heraus weniger aus dem Coaching mitgenommen, weil sie ihrem Gefühl nach nicht genug gezahlt haben. Kurz: Das Experiment hat meine Arbeit total gestört, daher habe ich es nach einem halben Jahr abgebrochen. Ich möchte mich allerdings weiter dem Thema Geld widmen und andere Geldabenteurer für eine Podcast Serie interviewen, um aus diesen Geschichten und auch meinen Erfahrungen ein Buch entstehen lassen. Ich finde es schon erstaunlich, wie sehr Geld gerade auch uns so genannte Weltverbesser immer wieder ins Straucheln bringt.
Du hast beschrieben, dass du zum Ende deines Grundeinkommens-Jahres hin und wieder großen Druck verspürt hast. Was hast du aus deinem Jahr mit BGE deiner Meinung nach mitgenommen, was nachhaltig bleibt? Und was ist wieder weg, nachdem dein BGE-Jahr nun vorbei ist?
Ich fühle mich nun ruhiger. Nach dem Ende meines Jahres mit Grundeinkommen musste ich mich erstmal wieder ein paar Wochen sortieren, aber das hat sich gelegt. Natürlich kommen gewissen Ängste und Sorgen zurück. Aber was bleibt, ist vor allem das Gefühl einer gewissen Wertigkeit. Ich verspüre meine Würde als etwas, was ich mir nicht erst verdienen muss. Dieses Gefühl ist trotz der Geldknappheit geblieben, auch ohne die monatlichen 1000 Euro. Und ich glaube, dieses Gefühl wird auch nicht wieder gehen, weil es jetzt einfach zu mir gehört. Auch im Verlauf der vielen Medienauftritte habe ich gemerkt, wie mein Selbstverständnis sich weiterentwickelt hat und gewachsen ist. Ich weiß nun, dass ich gut vor einer Kamera sprechen kann und dass ich Dinge zu sagen habe, die viele Menschen interessiert.
Was war das persönliche Highlight deines BGE-Jahres?
Mein absolutes Highlight war, dass ich letzten Sommer bei eurer Pressekonferenz nach der Schweizer Volksabstimmung selbst am Glücksrad drehen konnte und Grundeinkommen für eine andere Person verlosen konnte. Das hat mich sehr bewegt, sozusagen die Fackel weiterzugeben. Seither habe ich außerdem sehr viele Gespräche zum Thema Grundeinkommen geführt und fühle mich nun als so etwas wie eine Botschafterin.
Jestas Dankeschön-Videobotschaft findet ihr hier.