War 2023 ein gutes Jahr auf dem Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen für alle? Ja und Nein! Das Grundeinkommen ist auf jeden Fall ein gutes Stück realistischer geworden – aber die Gegner*innen bedingungsloser Sicherheit rüsten auf. Alle Highlights, alle Rückschläge in unserem Jahresrückblick.
2023 bleibt in Erinnerung als das Jahr, in dem endlich die offene Frage geklärt wurde, wo denn das Geld für ein Grundeinkommen für alle herkommen soll. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Debatten über soziale Gerechtigkeit noch nie so hart geführt wurden wie in diesem Jahr. Was hat überwogen? Mach dir selbst ein Bild, Monat für Monat.
Januar: Die Kindergrundsicherung kommt – oder?!
Das Jahr beginnt eigentlich ganz hoffnungsvoll: Mitte Januar legt Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ihr erstes Eckpunktepapier für eine Kindergrundsicherung vor. Die neue Sozialleistung soll nicht nur den Dschungel unübersichtlicher Einzelleistungen für Kinder lichten, sondern verfolgt auch die Idee eines Garantiebetrages plus einem Zusatzbetrag, der vom Einkommen der Eltern abhängt.
So ähnlich würde auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle funktionieren: Einfach und unkompliziert, mit garantiertem Sicherheitssockel ohne Wenn und Aber, aber auch orientiert daran, wie viel Geld der einzelne Mensch tatsächlich braucht – und wie viel er in den Gesellschaftstopf zurückgeben kann.
Kein Wunder, dass diejenigen, die für ein Grundeinkommen für alle kämpfen, sehr genau hinschauen, ob die Politik Nägel mit Köpfen und die Kindergrundsicherung zur Realität macht. Schon im Januar zeichnet sich ab, dass der Kampf um "das größte sozialpolitische Vorhaben dieser Bundesregierung", wie Lisa Paus selbst sagt, hart wird.
Februar: Österreich berät über ein Grundeinkommen für alle
In Österreich berät am 1. Februar der Nationalrat über die Einführung eines Grundeinkommens für alle. Dank 168.981 Unterschriften für ein Volksbegehren hatte es das Bedingungslose Grundeinkommen ins Parlament geschafft.
Klaus Sambor aus dem Volksbegehren-Team klang zum Start der Unterschriftensammlung zuversichtlich: "Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis die ersten Länder ein Grundeinkommen einführen werden. In Österreich arbeiten wir konsequent daran, eines der ersten Länder zu sein."
Aber sämtliche Fraktionen des Nationalrats in Wien stellen sich gegen die Idee. Ihre Gründe sind dieselben Vorurteile, die das Grundeinkommen auch in Deutschland nicht loswird: Angeblich nicht finanzierbar! Macht angeblich alle faul! Für uns bei Mein Grundeinkommen zeigen solche Momente: Wir müssen dieses Jahr noch härter daran arbeiten, Vorurteile durch Fakten zu ersetzen...
März: Fakten und Vorurteile liegen oft dicht beieinander
Ein gutes Beispiel für Fakten und Vorurteile liefert Anfang März der NDR. In einem sehenswerten Pro und Contra-Video argumentieren Christina Harland und Marco Heuer aus ihrer Sicht für und gegen ein Grundeinkommen für alle.
Der Beitrag ist nur einer von mehreren hundert im ganzen Jahr 2023 über uns und das Grundeinkommen. Er sticht aber gleich doppelt aus der Masse heraus: Erstens sind solche regionalen Beiträge besonders wichtig für unsere Informationsarbeit – denn eine Sendung wie "Hallo Niedersachsen" wird von vielen Menschen gesehen, die wir sonst kaum erreichen.
Zweitens zeichnet das Video treffend nach, wo die Argumentationslinien in der Grundeinkommens-Debatte verlaufen: Die Redakteurin meint, die "Zeit ist doch überreif für radikale Veränderungen" und zählt in unter zwei Minuten alle Erkenntnisse über die Wirkung des Grundeinkommens auf, die auch wir seit neun Jahren beobachten. Ihr Kollege erliegt in seiner Gegenrede dem Missverständnis, dass auch Überreiche ihr Grundeinkommen behalten könnten. Dieses häufige Vorurteil werden wir noch in diesem Jahr ausräumen, so viel ist sicher!
April: Selbstoptimierung oder doch lieber Grundeinkommen?
Die Steilen Thesen sind wieder da! Am 8. April startet unser Podcast in die zweite Staffel. In der ersten Folge schauen die Comedienne Helene Bockhorst und die Psychologin Prof. Dr. Susann Fiedler kritisch auf den Trend der Selbstoptimierung. Ist sie ein gutes Mittel gegen Überlastung – oder macht sie unsere Überlastung sogar noch schlimmer?
Was hat das Bedingungslose Grundeinkommen mit der Klimakrise zu tun? Eine ganze Menge! Am 6. Mai treffen sich zum ersten Mal Vordenker*innen des Grundeinkommens aus Deutschland und Korea. Ihr Ziel: Sie wollen herausfinden, ob das Grundeinkommen für alle eine positive Rolle in der Frage der Klimagerechtigkeit spielen kann.
Gleich mehrere Zusammenhänge liegen auf der Hand: Den Umbau unserer Gesellschaft für mehr Klimaschutz müssen wir uns alle leisten können, damit er Mehrheiten findet. Ärmere Menschen bleiben hier bislang oft auf der Strecke. Immer wieder spielen Klimaschutz-Verhinderer sogar Armut und Klimaschutz mit dem Kostenargument gegeneinander aus. Maßnahmen wie die CO2-Steuer könnten sogar Bausteine der Finanzierung eines Grundeinkommens für alle sein.
Juni: Brauchen wir wirklich noch "mehr Bock auf Arbeit"?
Immer wieder greifen wir dieses Jahr Themen auf, die das Land gerade bewegen. Den ganzen Juni über gehen wir der Frage nach: Stimmt es eigentlich, dass wir "mehr Bock auf Arbeit" brauchen?Seit dem Frühjahr halten die Arbeitgeber*innen-Verbände und manche Politiker*innen uns allen vor, nur noch nach einer ausgeglichenen "Work-Life-Balance" zu streben. Gegen das Grundeinkommen wird immer wieder angeführt, es verstärke die angebliche Abkehr von der Leistungsgesellschaft.
In unserem Schwerpunkt "Warum wir arbeiten" schauen wir auf die tatsächlichen Faktoren, wann Menschen motiviert und gerne arbeiten – und wann nicht. In einem Interview sagt die Wissenschaftlerin Barbara Prainsack vorher, dass es künftig die Arbeitnehmer*innen sein werden, die – auch wegen des Fachkräftemangels – die Zukunft der Arbeit in ihren Händen halten und fordert das Grundeinkommen gegen den Burnout. Das macht Mut!
Juli: Das Ende eines Podcasts – und ein Ampelstreit ohne Ende
Im Finale der zweiten Podcast-Staffel nehmen wir besonders Steile Thesen zum Thema Krisenzeiten auseinander. Frei nach dem berüchtigten Fynn Kliemann-Zitat "Krise kann auch geil sein!" fragen sich Prof. Dr. Susann Fiedler und Helene Bockhorst, ob uns Krisen egoistischer oder solidarischer machen? Die vorerst letzte Folge – und alle bisherigen – kannst du hier jederzeit nachhören.
In den Dauerbrenner Kindergrundsicherung kommt im Juli wieder Bewegung: Nachdem sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wochenlang um die Gesamtkosten stritten, fordert Anfang Juli der Bundeskanzler die Ministerin auf, bis zum Ende der Sommerpause einen fertigen Gesetzentwurf vorzulegen.
Das Gezerre um die Kindergrundsicherung wird damit aber nicht enden. Viele Familien haben längst nicht mehr das Gefühl, dass es allen Beteiligten wirklich um die Überwindung der wachsenden Kinderarmut geht. Das Umsetzen der Sozialreform bleibt eine Tragödie in (zu) vielen Akten.
August: Es ist finanzierbar!
Diese Nachricht wird die Debatte über das Grundeinkommen für immer verändern: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt in einer Berechnung, die es so umfangreich und praxisnah noch nie gab, dass wir schon morgen das Bedingungslose Grundeinkommen für alle einführen könnten – und uns nur für einen von mehreren machbaren Wegen der Finanzierung entscheiden müssen. Steuerausgleich ist das Stichwort.
Monatelang hat Mein Grundeinkommen in Zusammenarbeit mit den Forschenden einen interaktiven Grundeinkommens-Konfigurator gebaut, mit dem man selbst "Staat spielen" kann. Der Riesenaufwand hat vor allem ein Ziel: Wir wollen endlich das Totschlagargument überwinden, dass das Grundeinkommen unbezahlbar sei – und stattdessen über seine Wirkung auf den einzelnen Menschen und die Gesellschaft als Ganzes sprechen.
Die wichtigsten Fakten: 75 Prozent des benötigten Geldes für ein Bedingungsloses Grundeinkommen sind schon heute da. 83 Prozent aller Menschen hätten nach dem Steuerausgleich mehr Geld in der Tasche. Armut in ihrer jetzigen Form wäre abgeschafft. Und Arbeit würde sich trotzdem sogar noch mehr lohnen als heute. Jetzt müsste man es eigentlich nur noch machen...
September: Die ersten "Realistischen Grundeinkommen"
Wir lassen den Worten der Wissenschaft schnell Taten folgen: Am 23. September verlosen wir die ersten "Realistischen Grundeinkommen". Sie simulieren das Bedingungslose Grundeinkommen für alle, wie es die Forschenden berechnet haben: Alle bekommen es, aber wer besonders viel Geld hat, zahlt es anteilig oder komplett wieder zurück. Der Steuerausgleich funktioniert – auch in unserer Verlosung.
Die gewohnten Grundeinkommen, die nicht einkommensabhängig sind, verlosen wir auch weiterhin. Wir nennen sie ab sofort einfach "Utopische Grundeinkommen".
Rund um diese denkwürdige Verlosung holen wir die besten Stimmen zu Geld, Gerechtigkeit und Grundeinkommen sprichwörtlich mit ins Boot: Auf dem Main vor der Kulisse der Bankenmetropole Frankfurt am Main klären wir beim "Kongress der Gesellschaft", ob und wie das Grundeinkommen für alle die drängenden Fragen unserer Zeit beantworten kann. Tausende sehen uns live im Netz dabei zu, stellen Fragen, diskutieren mit.
Oktober: Die harte Gerechtigkeitsdebatte
Dieser Oktober vereint alle Extreme einer Gerechtigkeitsdebatte, die sich manchmal extrem ungerecht anfühlt. Auf der einen Seite wirkt unsere gute Finanzierungs-Nachricht weiter nach. Hier sind die zehn spannendsten Reaktionen zwischen Aufbruchstimmung und Ablehnung. Keine Frage, wir haben die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens in den Augen der Öffentlichkeit ein gutes Stück realistischer gemacht.
Auf der anderen Seite lenken die wenigen sehr Reichen, die bei einem Steuerausgleich draufzahlen müssten, schon wieder erfolgreich von ihrer eigenen Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft ab. Ihnen gelingt erneut, dass Deutschland im Herbst 2023 lieber über die Angemessenheit eines Inflationsausgleichs für Bürgergeld-Empfänger*innen diskutiert als über die Chancen einer gerechten Gesellschaft für alle. Dabei würden unter dem Strich doch alle von ihr profitieren.
Ist dieses Land überhaupt noch fähig zur dringenden Erneuerung? Wir zweifeln manchmal – aber wir verzweifeln nicht.
November: Bewegende Anrufe und der Wunsch nach dem Grunderbe
In jeder Verlosung rufen wir Gewinner*innen an, um ihnen live zu ihrem Grundeinkommen zu gratulieren. Am 15. November ist einer dieser Anrufe besonders bewegend. Die Gewinnerin mit dem Profilnamen "SandyB12" erzählt uns am Telefon, dass sie alleinerziehend ist und mit ihrer Tochter schon immer nach Island reisen wollte. Mit dem Grundeinkommen kann Sandy ihre Tochter jetzt auch beim Studium unterstützen.
Die Jusos fordern ein "Grunderbe". Auf ihrem Parteitag am 19. November beschließt die Jugendorganisation der SPD, dass in Zukunft jede*r Achtzehnjährige einmalig 60.000 Euro erhalten solle. "Wir brauchen endlich eine konsequente Umverteilung von oben nach unten", heißt es zur Begründung. Finanziert werden soll das Grunderbe aus einer Reform der Erbschaftssteuer.
Die Forderung hat keine unmittelbare Wirkung, klar – aber sie zeigt einmal mehr, dass sich der Gedanke der Bedingungslosigkeit sozialer Leistungen immer öfter in der politischen Debatte breit macht.
Dezember: Tiefe Risse und sozialer Zusammenhalt
Passend zur Adventszeit kümmern wir uns im letzten Schwerpunkt des Jahres um den sozialen Zusammenhalt, der mal wieder tiefe Risse hat. Krisen, Hetze, Polarisierung: Unsere Gesellschaft steht unter Druck. Doch was bringt uns als Gesellschaft wieder mehr zusammen?
Am 13. Dezember endet das Verlosungsjahr mit unserer 100sten Verlosung. Sage und schreibe 1.646 Grundeinkommen haben wir in den vergangenen neun Jahren verlosen dürfen – und das nur dank der Unterstützung unserer mehr als 200.000 Crowdhörnchen.
Weil so ein Jahresrückblick am Besten immer positiv enden sollte, kommt die jüngste Meldung zu Sozialausgaben wie gerufen. Die Gefahr, dass das 17 Milliarden-Haushaltsloch, das sich im November plötzlich auftat, auch mit Kürzungen bei Sozialleistungen gestopft werden könnte, ist offenbar vom Tisch. Am 13. Dezember einigt sich die Ampelregierung auf einen Haushalt für 2024, der zumindest darauf verzichtet.
Damit ist auch eine Verschiebung oder ein weiteres Zurechtstutzen der geplanten Kindergrundsicherung ab 2025 scheinbar vom Tisch: "Ja, die Kindergrundsicherung wird kommen, die Kindergrundsicherung stand auch überhaupt nicht zur Debatte", sagt die Familienministerin Lisa Paus.
Was denkst du? Wie war dieses Jahr für dich persönlich? Und was ist dein wichtigster Moment aus unserem Jahresrückblick? Schreib es uns in die Kommentare!
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