Wer sich für das Grundeinkommen interessiert, schaut dieser Tage gebannt nach Finnland. Im Mai werden die Ergebnisse der staatlich finanzierten Praxisstudie vorgestellt, die dort 2017 und 2018 mit 2000 Teilnehmer*innen durchgeführt wurde. Wir haben Olli Kangas, den wissenschaftlichen Leiter der Studie, vorab getroffen und mit ihm über das Experiment, seine Schwächen, erste Ergebnisse und die Zukunft des Grundeinkommens gesprochen.
Herr Kangas, Sie haben vor unserem Gespräch heute schon gesagt, Ihre Geschichte mit dem Grundeinkommen sei eine Geschichte des Versagens. Warum?
Olli Kangas: Weil wir so viel von unserem wundervollen Plan für das Grundeinkommensprojekt in Finnland opfern mussten. Wären wir bei unserem ursprünglichen Plan geblieben, hätten wir ‘Masters of the Universe’ werden können. Aber leider mussten wir aus Mangel an Geld, Zeit und Ressourcen Kompromisse eingehen.
Was für Kompromisse?
Olli Kangas: Ursprünglich wollten wir ein landesweites Grundeinkommens-Experiment mit zufällig ausgewählten Personen aus allen Bevölkerungsgruppen – vom Arbeitgeber über Arbeitnehmer, Selbstständige, Kranke bis hin zu Arbeitslosen – durchführen. Zusätzlich wollten wir zehn lokale Projekte umsetzen, bei denen die Bürger ganzer Gemeinden Grundeinkommen erhalten sollten. Wir mussten uns allerdings den Gegebenheiten und auch politischen Einschränkungen anpassen. Und so waren es letztendlich arbeitslose Sozialhilfeempfänger, die ein zusätzliches Grundeinkommen von 560 Euro erhielten.
Aber ist das dann noch ein Bedingungsloses Grundeinkommen, wenn nur Menschen ohne Lohnarbeit es erhalten?
Olli Kangas: Es ist eine Art von Grundeinkommen, aber kein richtiges Bedingungsloses Grundeinkommen. Für diese Testgruppe arbeitsloser Menschen war es ein bedingungsloses zusätzliches Einkommen, das aber mit 560 Euro allenfalls ein partielles Grundeinkommen ist und nicht als Ersatz für andere Sozialleistungen dienen kann.
Wäre eine politisch unabhängige Studie vielleicht besser gewesen?
Olli Kangas: Der Grad von Freiheit ist bei Nicht-Regierungs-Studien und freiwilligen Experimenten natürlich größer. Wir mussten viele politische Vorgaben und auch rechtliche Einschränkungen beachten, mit denen Forscher der Studien in den USA, Indien oder Kenia nicht so stark konfrontiert waren wie wir.
Trotz der Planänderung und Einschränkungen hat Ihre Studie Ergebnisse produziert. Was hat Sie am meisten überrascht?
Olli Kangas: Ich hatte mit stärkeren Einflüssen auf die Beschäftigungsquote gerechnet – entweder in die Richtung, dass die Personen, die das Grundeinkommen erhalten, fauler werden oder aktiver nach einer Möglichkeit suchen, ihr Einkommen noch zu vergrößern. Denn auch mit einem neuen Job hätten sie die 560 Euro weiterhin erhalten. Aber es zeigte sich weder der eine noch der andere Effekt. Ein positives Ergebnis, da zumindest unsere Studie nicht bestätigt, dass ein Grundeinkommen Menschen fauler macht.
Außerdem haben wir festgestellt, dass der Grad an Zufriedenheit im Leben und die Ausprägung des Gefühls, mit dem eigenen Leben und dem zur Verfügung stehenden Geld zurecht zu kommen, mit einem Grundeinkommen zugenommen haben.
Woher, glauben Sie, kommt die Annahme, dass Menschen mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen fauler werden?
Olli Kangas: Dieses Denken ist verbunden mit dem lutherisch-christlichen Denken, dass wir hart arbeiten müssen und erst danach den Lohn dafür erhalten. Andererseits finden wir in der Bibel auch die Geschichte der Kinder Israels, die in der Wüste Sinais bereits überlegten, umzukehren und nach Ägypten zurückzukehren, als ihnen der Himmel bedingungslos Nahrung sandte, die sie erneut für ihren Marsch ins Gelobte Land aktivierte. Wir finden also Argumente für beide Positionen in der Bibel.
Also hat die Diskussion um das Grundeinkommen auch etwas Biblisches?
Olli Kangas: Zumindest in dem Sinne, dass wir mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen über grundlegende menschliche Werte diskutieren. Während zum Beispiel Philippe Van Parijs sagte, dass ein Grundeinkommen ein Menschenrecht ist, sagen andere, dass nur der etwas wert ist und etwas verdient, der arbeitet. Also eine fundamentale Frage des menschlichen Zusammenlebens.
Was ist ihre persönliche Meinung zum Bedingungslosen Grundeinkommen?
Olli Kangas: Ich als ‘Zahlenverdreher’ habe oft das Gefühl, dass ich das gar nicht so richtig weiß. Was sich einfach sagen lässt: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht realistisch. Aber vor 200 Jahren sagten Menschen auch noch, dass es unrealistisch sei, die Sklaverei abzuschaffen, weil die Wirtschaft ohne Sklaven zusammenbrechen würde. Und plötzlich wurde die Sklaverei beseitigt. Und noch vor 100 Jahren war es für ein Kind einer einkommensschwachen Familie, einer Arbeiterfamilie oder einer Bauernfamilie undenkbar, zur Universität zu gehen und eine kostenlose Bildung bis auf Universitätsniveau zu erhalten. Und heute ist es Realität. Wir sollten also niemals nie sagen.
Ich glaube, das Grundeinkommen wird nicht einfach so als politische Entscheidung, aber vielleicht durch die Hintertür kommen. Eine Möglichkeit das Grundeinkommen zu realisieren wäre, es in kleinen Schritten einzuführen und sich dann mittels Reformen auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen zuzubewegen.
Würden Sie sagen, dass die finnische Studie ein Erfolg war?
Olli Kangas: Allein die Tatsache, dass wir die Studie machen konnten, ist ein Erfolg. Wir haben damit die Tür für diese Art gesellschaftlicher Experimente in Finnland geöffnet. Und ich hoffe, dass jemand hindurchgehen und bessere Experimente machen wird als wir.
Ist dann Ihre Studie einer der ersten kleinen Schritte zum Grundeinkommen?
Olli Kangas: Ich denke schon. Wenn es dann noch ein Projekt in Deutschland gibt und die Ergebnisse der Projekte in den Niederlanden und Kalifornien veröffentlicht werden, können wir sie wie Puzzleteile zusammensetzen und das Grundeinkommen aus verschiedenen Perspektiven bewerten, da jede Studie ihre eigenen Schwerpunkte hat. Und am Ende ergibt sich ein großes Bild davon, was das Grundeinkommen ist und wie es sich hier und dort auswirkt.
Welche Tipps haben Sie für unser Pilotprojekt zum Grundeinkommen in Deutschland?
Olli Kangas: Nehmt euch eure Zeit. Nehmt euch Zeit, das Experiment zu planen. Nehmt euch Zeit für die Gesetzeslage. Nehmt euch Zeit, Politiker zu überzeugen. Und nehmt euch Zeit, Bürokraten zu überzeugen. Dadurch, dass ihr das Projekt mit Spenden und nicht von der Regierung finanziert, habt ihr eine viel größere Freiheit als wir sie hatten. Und von dem, was ich bisher über das Projekt gehört habe, ist es einer der besten Forschungspläne weltweit zum Grundeinkommen.
Danke für Ihre Zeit und das Gespräch, Herr Kangas.