Mehr Leistung und Gesundheit, weniger Stress und Selbstzweifel... wenn wir genug an uns selbst arbeiten, können wir angeblich fast so perfekt wie eine Maschine werden. Was ist dran an den Versprechen der Selbstoptimierung – und was ist die Alternative? Volker geht auf Spurensuche. Ein exklusiver Einblick in unsere Forschung – und ein Plädoyer für eine Rückenschmerzen-Revolution.
Wenn ich heute Feierabend mache, fahre ich nicht nach Hause, sondern ins Fitness-Studio. Wegen meiner chronischen Rückenschmerzen. Sitzen ist das neue Rauchen, das kennt man ja. Eigentlich würde ich meine Freizeit und mein Geld lieber in etwas Anderes stecken, aber wenn ich die Schmerzen nicht wegkriege, kann ich morgen noch schlechter sitzen als heute. Die bessere Lösung wäre vermutlich weniger zu sitzen, schon klar. Aber ich hinterfrage das lieber nicht – sondern mache das, was alle Anderen auch machen.
Wem das bekannt vorkommt, der macht – vielleicht ohne es zu wissen – bei einem Trend mit, der vor ein paar Jahren in der Arbeitswelt begann und längst auf alle anderen Lebensbereiche übergreift: Es lebe die Selbstoptimierung!
Kannst du mit Begriffen wie "Achtsamkeit" oder "Mindfulness", "Biohacking", dem "Quantified Self" oder dem "messbaren Selbst" etwas anfangen? Nein? Herzlichen Glückwunsch. Das heißt trotzdem nicht, dass du dich nicht hier und da unbewusst selbst optimierst: Vielleicht lässt du eine App deine Schlafqualität überwachen, zählst mit einem Fitness-Armband deine täglichen Schritte oder liest einen Ratgeber, wie du den Stress deines Alltags besser aushältst.
An der Selbstoptimierung führt seit ein paar Jahren kaum ein Weg vorbei. Um den Wunsch, die eigene Leistung, Gesundheit, Karriere oder auch nur das Aussehen erst zu messen und dann zu optimieren, ist eine regelrechte Industrie gewachsen: Mehr als 1.000 deutschsprachige Bücher zum Thema listet Amazon. 149 Podcasts dazu schlägt Spotify vor. Darunter nur wenig Kritisches, aber viele überschwängliche Ratgeber. Wem das nicht reicht, kann sich eine*n von mehr als 1.000 zertifizierten Achtsamkeitslehrer*innen buchen. Die Zahl stammt von vor der Pandemie, seitdem sind ganz sicher noch ein paar dazu gekommen, jede Wette.
Was mich stutzig macht: Nicht nur Selbstoptimierung hat Konjunktur – sondern auch das Burnout-Syndrom. Wie kann das sein?!
Das wirft Fragen auf: Hält die Selbstoptimierung am Ende gar nicht, was sie verspricht? Warum machen dennoch so viele Menschen bereitwillig mit – so wie ich mit meinem Rückentraining? Und gibt es eine bessere Alternative, die wirklich Leistungsdruck verringert und uns motivierter, konzentrierter oder sogar gesünder macht?
“Das Ziel ist immer beruflicher Erfolg”
Die Idee zur Selbstoptimierung lässt sich bis in die siebziger Jahre zurückverfolgen – aber zum Massenphänomen wurde sie erst durch die Flexibilisierung und Digitalisierung des Arbeitsmarktes in den letzten zwanzig Jahren. Selbstoptimierung gilt heute vielen als praktischer Werkzeugkasten, um dem Druck der Hochleistungsgesellschaft standzuhalten: Viele Menschen brauchen heute mehr als einen Job, um sich ihr Leben noch leisten zu können. Viele dieser Jobs sind befristet und unsicher. Und beinahe alle Berufe sind heute komplexer als früher. Da kommt die Verheißung der Selbstoptimierung gerade recht.
Die Wissenschaft bestätigt das: “Das Ziel ist immer beruflicher Erfolg. Und der Weg dahin ist nicht mehr wie vor dreißig Jahren vor allem Fleiß, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, sondern zunehmend, sein eigenes Innenleben zu optimieren”, sagt Dr. Greta Wagner, Soziologin an der Technischen Universität Darmstadt. Sie hat zu Burnout und Selbstoptimierungs-Strategien geforscht.
Wagner erklärt: Der Ansatz dieser Strategien sei immer, bei sich selbst zu schauen, wie sich der einzelne Mensch verändern muss, um besser mit der neuen Arbeitswelt fertig zu werden. Der Einzelne passt sich der Arbeitswelt an – nicht anders herum. Bitte merken, dieser Punkt wird gleich noch wichtig.
Wenig überraschend haben viele Arbeitgeber*innen nichts dagegen, wenn sich ihre Angestellten beim Optimieren voll und ganz auf sich selbst konzentrieren, statt auf die Rahmenbedingungen um sie herum. “Der Himmel für jeden Personaler wäre ein Unternehmen, in dem jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter genau den Job macht, der zu seinen oder ihren Stärken passt – und dann noch in der Lage ist, das volle Potenzial abzurufen”, sagt Wolfgang Fassnacht, Personal-Manager beim Tech-Konzern SAP in der Doku “Du sollst dich optimieren”. Die Methoden der Selbstoptimierung hält er für einen großen Beitrag auf dem Weg in diesen Himmel.
Ich habe jetzt verstanden: Achtsamkeits-Workshops am Arbeitsplatz sind keine nette Fürsorge unserer Chefs, sondern eine ökonomische Maßnahme, um die Produktivität anzukurbeln. Quasi gelebte Wirtschaftsförderung am Einzelnen. Ist das jetzt problematisch?
Warum optimieren wir nur uns selbst – aber nicht das System?
Diese Kritik hat auch eine politische Seite, die uns bei Mein Grundeinkommen besonders interessiert: Wenn ich mir dauernd einrede, dass ich mich verändern muss und nicht die äußeren Bedingungen, dann stelle ich die Zustände und Zumutungen unserer Arbeitswelt nicht mehr in Frage, sondern akzeptiere sie irgendwann.
An dieser Stelle hat die Selbstoptimierung plötzlich nicht mehr nur Einfluss auf den einzelnen Menschen, sondern auf die ganze Gesellschaft: Wenn eine kritische Masse die Ursachen für Ungerechtigkeiten nur noch bei sich selbst sucht, entlässt sie Wirtschaft und Politik aus ihrer Verantwortung, sozial gerechte Rahmenbedingungen zu schaffen und zu schützen.
Wo Ungerechtigkeit früher Anlass für eine soziale Revolution gewesen sei, führe heute eine achtsame Gesellschaft aus lauter therapeutisch optimierten Individuen eher zur Kapitulation, schreiben Jeremy Carrette and Richard King in ihrem Buch "Selling Spirituality: The Silent Takeover of Religion". Das Individuum wolle nur noch innerhalb des Systems funktionieren – aber es nicht mehr reformieren, wenn es nicht funktioniert. Können wir uns das in einer Gesellschaft leisten, die seit Jahrzehnten nicht mehr so ungleich war wie heute?
Nicht falsch verstehen: Wem das Zählen von Kalorien, Schritten und Schlafphasen hilft, wer sich nach einem Achtsamkeits-Workshop besser fühlt als vorher, bitte gerne! Und natürlich nützt auch mein Rückentraining meinem Rücken mehr, als dass es meinem Willen schadet, für einen besseren Bürostuhl zu kämpfen.
Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass jede Debatte über das Für und Wider der Selbstoptimierung an sich hochnäsig ist: Denn jeder Achtsamkeits-Kurs und jedes Rückentraining kosten Geld und Zeit. Wer von beidem zu wenig hat, bleibt von vornherein außen vor. Ein Beispiel gefällig? Um mit einem Burnout nicht drei Monate auf einen Termin beim Facharzt warten zu müssen, kaufen sich viele Betroffene schneller Hilfe auf eigene Kosten – wenn sie es sich denn leisten können. Was sagen wir denen, die das nicht können? Arbeite doch noch mehr, dann hast du auch das nötige Geld? Wohl kaum.
Damit hat sie schon drei große Schwächen, die viel gepriesene Selbstoptimierung. Erstens: Sie ist offenbar nicht das wirksamste Mittel gegen die Überlastungen unserer Zeit. Zweitens: Sie lenkt uns gekonnt von den großen sozialen Ungleichheiten ab. Und drittens: Sie schließt alle aus, denen es an Zeit und Geld fehlt, sich selbst zu optimieren. Höchste Zeit für eine neue Idee, die alle drei Dinge besser macht. Oder?
Ein exklusiver Einblick in unsere Grundeinkommens-Forschung
Selbstoptimierung soll uns mental belastbarer machen, gerade bei der Arbeit. Das kann das Bedingungslose Grundeinkommen auch, wahrscheinlich sogar viel besser. Sage nicht ich, sondern die Menschen, die es in einer unserer Verlosungen gewonnen und dann für ein ganzes Jahr ausprobiert haben.
Als wir sie zuletzt befragt haben, empfanden mehr als 60 Prozent unserer Gewinner*innen seltener Leistungsdruck als zuvor. Fast 30 Prozent sagten uns, dass sie jetzt häufiger sehr gute Leistungen im Job erzielen würden – aber niemand seltener. Auch die Motivation zum Arbeiten und die Konzentration im Job stiegen mit Grundeinkommen deutlich an.
Diese Zahlen sprechen für sich selbst. Sie würden vermutlich auch bei den Personaler*innen von SAP Eindruck machen.
Selbstoptimierung soll uns auch körperlich fitter machen, damit wir mehr leisten können. Wir fragen unsere Gewinner*innen zwar nicht konkret nach dem Zustand ihrer Rücken. Aber wir lassen sie einschätzen, wie das Bedingungslose Grundeinkommen sich auswirkt auf ihre Gesundheit, Ernährung und die Motivation zum Sport treiben.
Fast 29 Prozent unserer Gewinner*innen fühlen sich mit Grundeinkommen gesünder. Das hat viele Ursachen – auch die mentale Wirkung des Grundeinkommens aus den Balkengrafiken oben spielt dabei eine Rolle. Konkret wissen wir aber, dass exakt ein Drittel der Befragten sich häufiger gut ernährt und immerhin fast 27 Prozent häufiger Sport macht.
Wer den trockenen Zahlen nicht traut, der sollte sich erstens nicht länger sein Leben von einem Fitness-Armband diktieren lassen – und sich zweitens die persönlichen Erfahrungen unserer Gewinner*innen anhören.
Nur zwei Beispiele. Als die Tierärztin Lara aus Lüneburg ihr Grundeinkommen gewann, hatte sie fünfzehn Jahre lang versucht, den Stress ihres Berufs durch noch mehr Anstrengung zu besiegen. Aber der Druck machte alles nur noch schlimmer: "Ich bin fachlich zusammengesackt. Ich war so traurig darüber, dass ich doch dazulernen wollte, aber immer schlechter, immer angepasster und immer grauer wurde. Und gar nicht mehr ich war." Nach ihrem Jahr mit dem Grundeinkommen sagt Lara: "Mein Leben ist wieder bunt."
Unser Gewinner Stephan aus Eschweiler hat etwas ganz ähnliches erlebt: Er wollte immer funktionieren, arbeitete 300 Stunden im Monat als Lkw-Fahrer, riskierte Beziehung und Gesundheit. Dann gewinnt er das Grundeinkommen: "Früher war ich immer so ein überspannter Bogen, der jeden Moment reißen konnte. Jetzt gehe ich viel entspannter an die Sachen ran, an denen ich vor einem Jahr noch nervlich zugrunde gegangen wäre."
Die Schwächen der Selbstoptimierung sind die Stärken des Grundeinkommens
Erinnern wir uns an die drei großen Schwächen der Selbstoptimierung, die uns aufgefallen sind? Ich behaupte, wir haben mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen eine Alternative auf dem Tisch, die alle drei in Stärken verwandelt:
Erstens: Der exklusive Einblick in unsere Forschung zeigt mir: Nicht nur könnte ein Grundeinkommen dieselben Effekte haben, die sich so viele Menschen von der Selbstoptimierung versprechen – es liefert diese Effekte offenbar auch zuverlässiger als die Selbstoptimierung.
Zweitens lenkt das Grundeinkommen dabei nicht von sozialen Ungleichheiten und ungerechten Arbeitsbedingungen ab, gegen die man als Einzelne*r gar nichts ausrichten kann – sondern es beseitigt sie. Es ist die soziale Revolution statt der sozialen Kapitulation.
Und drittens schließt ein Grundeinkommen eben nicht alle aus, die sich freiwillige Selbstoptimierung nicht leisten können, weil ihnen schlicht das Geld oder die Zeit dafür fehlen. Im Gegenteil: Unsere Gewinner*innen Lara und Stephan haben erst durch das Grundeinkommen Luft holen können, um für sich zu entscheiden, was ihnen wirklich hilft.
Eine ziemlich gute Bilanz, finde ich.
Dranbleiben! Mit dem wichtigsten Newsletter zum Grundeinkommen
Ist das nicht ein bisschen hart, dieses Entweder-Oder? Ja, stimmt! In Wirklichkeit müssen wir uns nämlich gar nicht zwischen beiden Wegen entscheiden. Ich sehe ein Grundeinkommen für alle eher als die Grundlage dafür, uns völlig freiwillig und ohne Druck genau das Maß an Selbstoptimierung zu gönnen, das uns gut tut!
Auch Lara und Stephan sehen das übrigens so: In ihrem Jahr mit Grundeinkommen hat Lara zum ersten Mal wirklich Zeit und Kraft, um sich zu fragen: "Welcher Typ von Mensch bin ich eigentlich?" Sie probiert sich an Persönlichkeitstests und besucht ein Coaching und lernt: Es muss nicht immer alles so laufen, dass es nach außen optimal erscheint, dass es ins Bild der Anderen passt. Viel wichtiger ist, sich auf die eigenen Stärken und Interessengebiete zu fokussieren.
Und Stephan schafft sich Raum für Neues, wo früher nur Geldsorgen waren: Spazieren gehen, ein gemütliches Zuhause, Freundschaften, guter Schlaf und Sport. Direkt nach seinem Gewinn meldet Stephan sich im Fitness-Studio an, entdeckt den körperlichen Ausgleich zu seinem Arbeitsalltag und nimmt in knapp einem Jahr 25 Kilo ab.
Was am Ende bleibt
Wenn du diesen Text nur überflogen hast, weil er dir viel zu lang war, dann nimm doch dieses Fazit mit: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist der ultimative Tipp zur Selbstoptimierung – weil er viel besser wirkt als jedes Fitness-Programm. Und zwar für alle.
Ich muss jetzt los, sonst verpasse ich noch mein Rückentraining...
Tipp: Die neue Folge unseres Video-Podcasts "Steile Thesen" ist speziell für Selbstoptimierer – und alle, die diesen Trend noch nie verstanden haben. Jetzt ansehen oder anhören!
Was denkst du? Unterschätzt Volker die Effekte der Selbstoptimierung? Kann ein Grundeinkommen wirklich ähnlich oder sogar besser wirken? Schreib es uns in die Kommentare!
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