Wir müssen über Vermögen reden! Warum? Weil extremer Reichtum sich auf das Leben jedes einzelnen Menschen auswirkt: Zum Guten bei wenigen Überreichen – zum Schlechten bei allen anderen. Doch das muss nicht so bleiben. Die größten Vermögen könnten sogar zum Schlüssel für das Bedingungslose Grundeinkommen werden.
Beginnen wir mit einer einfachen Frage: Wie viele deutsche Milliardär*innen kennst du mit Namen? Bitte jetzt nicht googlen, sondern ganz spontan antworten. Na?
Mir fallen auf Anhieb nur Dieter Schwarz von Lidl, Susanne Klatten von BMW oder Hasso Plattner von SAP ein. Dazu vielleicht noch Namen wie die Quandts oder die Albrecht-Brüder. Haben die nicht Aldi gegründet? Ich habe also von sechs der reichsten Deutschen schon mal gehört. Immerhin. Das heißt aber auch, dass ich 130 andere nicht kenne!
Exakt 136 Vermögens-Milliardär*innen gibt es allein in unserem Land. Noch mehr leben nur in den USA und China. Von insgesamt 1,63 Millionen deutschen Millionär*innen ganz zu schweigen. Wie kommt es, dass wir über so viele sehr reiche Menschen so wenig wissen? Von den Aldi-Brüdern gab es zu ihren Lebzeiten nur wenige Fotos, die Jahrzehnte alt und oft heimlich aufgenommen waren. Nehmen sie es einfach nur sehr genau mit ihrer Privatsphäre? Oder hat das Verstecken von Reichtum noch andere Gründe?
"Geld ist Privatsache!" ... "Das geht niemanden etwas an!" ... "Du bist doch bloß neidisch!"... Wenn du mir jetzt eine dieser Antworten entgegenrufen wolltest, dann rufe ich zurück: "So einfach ist das leider nicht!"
Privat kann nur sein, was außerhalb des Privaten niemand anderen betrifft. Was keine Folgen für andere Menschen oder unsere Gesellschaft als Ganzes hat. Alles andere gehört aus dem Schatten des Privaten ins grelle Licht der öffentlichen Debatte. Nur so funktioniert soziales Miteinander auf Dauer.
Dieses Prinzip finden wir übrigens ganz normal, wenn es um die Menschen geht, die nicht viel besitzen: Beim Bürgergeld oder bei Bezahlkarten für Asylsuchende spielen wir uns gerade gerne zu Richter*innen mit starker Meinung auf, wie viel Geld wem zusteht und wofür es ausgegeben werden darf. Weil es ja unser aller Steuergeld ist.
Selbst bei den Einkommen der anderen nehmen wir uns das Recht heraus, mitzureden: Sind die Lohnforderungen der Lokführer*innen überzogen? Wann ist das Gehalt eines Stürmers beim FC Bayern noch angemessen? Soll ein Intendant im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk wirklich mehr verdienen dürfen als der Bundeskanzler?
Bei allen anderen mischen wir uns ganz selbstverständlich ein – nur ausgerechnet die Vermögen der Reichsten gehen uns nichts an? Im Gegenteil! Gerade extremer Reichtum ist keine Privatsache – weil er gravierende Folgen für uns alle hat. Gib mir drei Versuche, dich mit wenig bekannten Fakten davon zu überzeugen, dass ich das nicht nur aus Neid auf die Reichsten sage...
1. Viele werden ärmer, aber die Reichsten werden reicher
Denkst du, dass du eine realistische Vorstellung davon hast, wie die Verteilung der Vermögen zwischen den Reichsten und allen anderen in Deutschland wirklich aussieht? Ich dachte immer, dass ich das sehr gut einschätzen kann – bis ich neulich diese Tortengrafik gesehen habe. Ich musste zweimal hinschauen, um zu begreifen, was sie zeigt:
Das winzige gelbe Tortenstück ist alles, was die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung an privaten Nettovermögen besitzt. Der riesige blaue Teil der Torte gehört nur den obersten 10 Prozent. Das sind mehr als zwei Drittel der gesamten Torte. Na dann, guten Appetit!
Nur durch die Darstellung des gesamten Vermögens aller als eine Torte ist mir klar geworden: Die Größen der einzelnen Tortenstücke bedingen sich gegenseitig. Die Reichsten werden nicht einfach so reicher, während zufällig andere Menschen ärmer werden. Weil sie fleißiger waren oder schlicht Glück hatten. Die Reichsten werden nur deswegen reicher, weil sich Vermögen von arm zu reich verschiebt.
Vielleicht war dir das schon immer klar, aber ein breites Bewusstsein für diesen Zusammenhang haben erst die Krisenjahre seit der Corona-Pandemie geschaffen: Fast fünf Milliarden Menschen sind weltweit seit 2020 um 20 Milliarden US-Dollar ärmer geworden. Sie haben die Folgen der geballten Krisen aus Pandemie, Unsicherheiten durch Kriege und gestörte Lieferketten und die hohe Inflation hautnah zu spüren bekommen – die Reichsten aber nicht. Im Gegenteil.
Erst durch die letzten Krisenjahre ist dieser Zusammenhang klarer geworden: Die Reichsten sitzen nicht im selben Boot wie alle anderen. Sie waren nicht gemeinsam mit allen anderen von den Krisen betroffen. Der extreme Reichtum weniger Menschen hat dem Wohlstand aller anderen geschadet. Zu viel Vermögen auf der einen Seite erzeugt Armut auf der anderen.
"Diese zunehmende soziale Ungleichheit stellt Gesellschaften vor immer größere Zerreißproben", sagt Serap Altinisik, die Vorsitzende von Oxfam Deutschland. Ihr aktueller Bericht, aus dem die wichtigsten meiner Zahlen stammen, legt den Finger in die Wunde: "Viele Regierungsentscheidungen haben eine Verschärfung der Ungleichheit sogar begünstigt. So wurden Steuern für reiche Privatpersonen und Unternehmen immer weiter gesenkt oder zugelassen, dass die Billionen, die zur Krisenbewältigung in die Volkswirtschaften gepumpt wurden, zu einem großen Teil den Reichsten zu gute kamen."
Das bringt mich zu meinem zweiten Versuch, dich davon zu überzeugen, dass Vermögen keine Privatsache ist...
2. Reiche sind nicht nur reich, sondern auch einflussreich
Natürlich bedeutet diese spannende Statistik nicht automatisch, dass alle Vermögenden ihre theoretischen Kontakte auch praktisch nutzen. Darauf legt auch der Forscher wert. Aber es ist unumstritten, dass der Lobbydruck reicher Privatleute und Unternehmen auf die Steuerpolitik besonders hoch ist – und wirkt.
Der Philosoph Christian Neuhäuser, der intensiv zur moralischen Verantwortung der Vermögenden forscht, geht im Interview mit Mein Grundeinkommen noch weiter: "Reichtum kann genutzt werden, um die Demokratie auszuhöhlen, beispielsweise durch einseitigen Lobbyismus oder mehr oder weniger direkten Ämterkauf."
Viel Vermögen schafft offensichtlich viele Möglichkeiten, die politische und die öffentliche Debatte so zu steuern, dass das eigene Vermögen nicht in Gefahr gerät, umverteilt zu werden. Das erklärt eben auch, warum wir angesichts des aktuellen Haushaltslochs lautstark über Kürzungen im Sozialstaat nachdenken – aber über eine faire Besteuerung von Vermögen schweigen.
So verstärken die einflussreichen Reichen nebenbei die Politikverdrossenheit bei denen, die in den Debatten gar nicht mehr vorkommen – oder nur als Betroffene möglicher Einsparungen. Schon jetzt ist die Wahlbeteiligung bei den Menschen am geringsten, die am wenigsten haben. Indem sie nicht wählen, schwächen sie auch noch selbst ihren Einfluss auf Politik. Ein Teufelskreis.
3. Vermögen wachsen im Verborgenen – wenn wir sie lassen
Zu guter Letzt noch eine Schätzfrage: Wo ist der Abstand zwischen den reichsten und den ärmsten zehn Prozent in unserem Land größer, bei den Einkommen oder bei den Vermögen? Wenn du bis hierhin gelesen hast, kannst du die richtige Antwort bestimmt erahnen. Die meisten tippen hier allerdings falsch:
Die Uni Konstanz fragte die Deutschen, wie sie die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen einschätzen. Das Ergebnis zeigt: Es ist kein Zufall, dass wir uns ständig über die Gehälter von Fußballern und Politiker*innen aufregen – uns aber viel seltener für die Vermögen der Reichsten interessieren.
Es gibt zwei Gründe für diese falsche Wahrnehmung: Der erste liegt in unseren Köpfen. Wer eher wenig hat, überschätzt sein Vermögen im Vergleich mit anderen. Die tatsächlich Reichen werden hingegen unterschätzt. So bekämpfen wir unsere Existenzangst. Niemand mag Extreme, alle tendieren zur Mitte, pure Psychologie. Daran kann man nicht viel ändern.
Solange Vermögen als Privatsache betrachtet wird, kann sich an der ungerechten Vermögensverteilung gar nichts ändern – weil sie schlicht nicht von genügend Menschen gesehen wird. Schlimmer noch: Ausgerechnet die Menschen, die von einem gerechten Ausgleich der Vermögen profitieren würden, lehnen so einen Ausgleich oft ab. Aus der falschen Angst heraus, dass eine Vermögenssteuer sie selbst betreffen könnte.
Ich wollte dir in diesem Text zeigen, dass Vermögen keine Privatsache ist. Weil es die Gesellschaft zusehends in reich und arm spaltet. Weil es undemokratischen Einfluss ausübt, um sich selbst zu erhalten. Weil ihm das nur im Verborgenen gelingen kann. Glaubst du mir, dass es mir um mehr geht als eine Neiddebatte gegen die Reichsten?