Wenn wir in 10 Jahren so viel erreicht haben – können wir dann in den nächsten zehn Jahren sogar das Bedingungslose Grundeinkommen für alle schaffen?
Zuerst eine gute Nachricht, die viele überraschen wird: Die Chancen für ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle stehen heute deutlich besser als vor zehn Jahren. Warum? Ganz einfach: Als Mein Grundeinkommen vor zehn Jahren das erste Grundeinkommen verloste, galt die politische Idee dahinter als bloße Utopie. Ein schöner Traum, der immer einer bleiben würde.
Denn zwischen einem Grundeinkommen für alle und der Realität standen vor allem die zwei immer gleichen Totschlagargumente: Das kann keiner bezahlen! Dann werden wir alle faul! Wann immer einer dieser beiden Sätze fiel, war jede Debatte um das Grundeinkommen für alle vorbei.
Zehn Jahre später ist eines dieser hohlen Argumente endgültig widerlegt: Das kann keiner bezahlen? Stimmt nicht! Wir können ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle finanzieren, wenn wir nur wollen. Sogar auf mehr als einem Weg.
Was das zweite Argument angeht, beobachten wir seit zehn Jahren hundertfach, wie das Grundeinkommen alles mögliche auslöst – aber Faulheit? Bestimmt nicht! Nächstes Frühjahr werden die Ergebnisse des Pilotprojekts Grundeinkommen zeigen, ob unsere Beobachtungen stimmen. Noch läuft die wissenschaftliche Auswertung unter Hochdruck. Aber wir hoffen, dass auch die Forschung uns recht geben wird.
Wenn es so kommt, dann wird es zehn Jahre gedauert haben, diese Argumente als Vorurteile zu entlarven. Sie beiseite zu schaffen und den Weg frei zu machen für eine sachlichere Debatte. Eine Debatte, die das Grundeinkommen nicht mehr als bloße Utopie abhakt – sondern sich endlich darauf einlässt.
Deswegen stehen die Chancen auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle heute besser als vor zehn Jahren. Womit nicht gesagt ist, dass der Weg dahin leicht wird. Noch sitzen die Vorurteile tief in vielen Köpfen fest. Noch fehlen Antworten auf echte Wissenslücken und Gegenargumente.
Was können wir in den nächsten Jahren tun, um diese Chance zu nutzen? Welche Antworten müssen wir noch geben, um eine sachliche Debatte zu fördern? Was muss in Politik und Gesellschaft passieren, damit diese Debatte nicht weiter abgewürgt wird? Und können wir es schaffen, in den nächsten zehn Jahren das Bedingungslose Grundeinkommen für alle zu erreichen?
Dieser Ausblick trägt ein paar der möglichen Antworten zusammen. Ohne Anspruch auf weissagerische Kräfte – aber mit einer großen Lust auf die nahe Zukunft.
Aus "Wir wollen es wissen" wird "Wir werden es wissen"
DIE ERGEBNISSE DES PILOTPROJEKTS
Als vor etwas mehr als drei Jahren mit dem Pilotprojekt Grundeinkommen die größte wissenschaftliche Praxisstudie zum Grundeinkommen in Deutschland begann, stand "Wir wollen es wissen" in großen Buchstaben darüber. Im Frühjahr 2025 wird aus dem "wollen" nun endlich ein "werden". Anfang April wird die Wissenschaft der Öffentlichkeit präsentieren, was sie über die Wirkung eines Grundeinkommens von 1.200 Euro auf 122 Menschen herausgefunden hat, die sie mit 1.380 Menschen ohne Grundeinkommen vergleicht.
Dieser Moment wird ein Meilenstein für die Arbeit von Mein Grundeinkommen sein – und gleichzeitig nur der Auftakt für eine neue Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen als realistischer Zukunftsidee für alle. Wir wollen 2025 mit ganz Deutschland ins Gespräch kommen: Was würde es in deinem Leben verändern? Wäre es dir auch so ergangen wie den Testpersonen? Welche Fragen hast du noch?
Unsere Herausforderung im Anschluss an das Pilotprojekt sehen wir darin, so viele Menschen wie möglich dazu einzuladen, ganz konkret über das Bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken. Dazu wird ernsthafte Information genauso gehören wie ganz neue, spielerische Formen des Ausprobierens. Nur so können wir Menschen aller Altersgruppen und aller Überzeugungen dort abholen, wo sie beim Thema soziale Gerechtigkeit gerade stehen.
"Die Studie wird uns ungeschönt zeigen, wo Grundeinkommen wirkt und wo nicht", sagt Miriam Witz voraus, die das Pilotprojekt koordiniert. Und weiter: "Sie wird uns zeigen, wo wir uns verschätzt haben und wo sich die Gegner*innen der Idee verschätzt haben. Es sieht so aus, als ob niemand wirklich "recht" hatte. Für uns als Mein Grundeinkommen heißt das auch, dass wir nach 10 Jahren an einigen Stellen umlernen müssen."
Für Miriam ist die logische Folge, in Zukunft den spielerischen Charakter der Verlosung auf alle Menschen auszuweiten: "Warum nicht ab jetzt 'Grundeinkommen für alle!' spielen? Denn eine Welt ohne Grundeinkommen ist doch genauso sehr ein Glaubenskonstrukt wie eine Welt mit Grundeinkommen. Nur eben eins, an das vor allem die Menschen glauben, die die Entscheidungen für viele treffen. Vielleicht müssen es alle einmal ausprobiert haben, um keine Angst mehr davor zu haben."
Vom Individuum zur ganzen Gesellschaft
WAS NOCH ERFORSCHT WERDEN MUSS
Wenn wir die Wissenschaft fragen, welche Forschungsfragen sie nach dem Pilotprojekt noch auf dem Zettel hat, hören wir vor allem eine: Was sind die gesellschaftlichen Effekte? Verändert das Grundeinkommen nur das Denken und Verhalten der Menschen, die es bekommen – oder auch in ihrem Umfeld?
Das Pilotprojekt wird zeigen, wie das Bedingungslose Grundeinkommen auf den einzelnen Menschen wirkt. Das war so geplant, diese Wissenslücke musste zuerst geschlossen werden. Ob es aber über das Individuum hinaus auch Effekte auf Gruppen oder gar die ganze Gesellschaft hätte, ist damit noch nicht geklärt.
Kann Praxisforschung solche Gruppeneffekte überhaupt wirklichkeitsnah simulieren? Weltweit gab und gibt es immer wieder Projekte, die das bestätigen: In Kenia und fünf weiteren afrikanischen Ländern erhielten ganze Dörfer ein Grundeinkommen, in Indien die Frauen in einem Bundesstaat, die unbezahlte Hausarbeit leisten, in Wales junge Erwachsene aus Pflegefamilien, in Irland waren es Künstler*innen.
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Das Problem ist: Viele dieser Projekte sind entweder nicht bedingungslos, nicht existenzsichernd oder aus anderen Gründen nicht auf unsere Gesellschaft übertragbar. Andere Projekte, die näher an uns dran wären, sind wie im schweizerischen Rheinau leider vor dem Start gescheitert – oder noch Zukunftsmusik wie in Hamburg.
Mein Grundeinkommen hat mit dem Pilotprojekt bereits bewiesen, dass wir unabhängige Forschung finanzieren und umsetzen können. In den nächsten zehn Jahren können wir genauso erfolgreich die gesellschaftlichen Effekte eines Grundeinkommens innerhalb einer Gruppe erforschen lassen.
Wie diese Forschung genau aussehen kann, wird unser Team schon im kommenden Jahr herausfinden. Ziel wird sein, die letzte große Wissenslücke zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu schließen, damit nicht neue Vorurteile an die Stelle der alten treten können. Nach wie vor gilt, was Micha Bohmeyer schon am Beginn des Pilotprojekts sagte: "Jetzt ist der Zeitpunkt, [...] sich demütig der Wissenschaft zu verschreiben. Jetzt heißt es messen, beobachten und verstehen. Denn: Gehofft und geglaubt wird schon genug."
Die Politik machen lassen – oder lieber selber machen?
WAS NACH DER FORSCHUNG KOMMT
Die große Frage der kommenden zehn Jahre ist: Wer geht den mutigen Schritt in Richtung Grundeinkommen, wenn alle Wissenslücken geschlossen sind?
Nehmen wir mal an, die Forschung bestätigt uns, dass das Bedingungslose Grundeinkommen nicht nur machbar, sondern auch wünschenswert ist, weil es soziale Sicherheit für den einzelnen Menschen und soziale Gerechtigkeit für die ganze Gesellschaft stärkt. Müsste dann nicht die Politik ohne Zögern ihre breite Ablehnung aufgeben und das Grundeinkommen für alle einführen?
Wir waren nie naiv und sind es nach zehn Jahren Arbeit rund ums Grundeinkommen erst recht nicht. Wir beobachten den politischen Betrieb sehr genau. Wir sehen, wie vehement die Einen versuchen, den Begriff Grundeinkommen gegen alle Fakten zu verteufeln, um Menschen von der Idee abzuschrecken – und wie die Anderen sich höchstens sehr zögerlich der Idee annähern. Sollten wir trotzdem darauf bauen, dass die Politik eines Tages das Grundeinkommen einführt?
Lesetipp: So seht ihr das
Wir haben unsere Crowd gefragt, wie sie sich den Weg zum Grundeinkommen für alle vorstellt.
Unser Team findet darauf unterschiedliche Antworten: "Die wachsende Ungleichheit weiterhin zu ignorieren, halten wir für unverantwortlich. Deswegen sind wir überzeugt, dass wir weiterhin politische Ansätze brauchen, die Menschen Hoffnung geben und Realität werden können", sagt Klara Simon, die Vorsitzende unseres Vereinsvorstands.
Man könne mit den Ergebnissen unserer Forschung "wirklich mal auf die Politik zugehen und zeigen, was wir tun müssen, um der Ungleichheit etwas entgegenzusetzen", sagt Kirsten Herrmann, ebenfalls aus dem Vorstand unseres Vereins. Sie drängt zur Eile: "Worauf warten wir also noch? Wir können uns den aktuellen Problemen unserer demokratischen Gesellschaft nicht erst widmen, wenn es zu spät ist."
Andere Stimmen mahnen zur Skepsis: "Ich gehe nicht davon aus, dass [...] irgendeine Partei, die es für eine gute Idee hält, das Grundeinkommen in ihr Wahlprogramm aufnimmt und dass wir dann alle für diese Partei stimmen – man sieht ja auch, dass Wahlprogramme nicht unbedingt zur Umsetzung führen", sagt Miriam Witz.
Es ist wichtig, dass wir den besten Weg zur Umsetzung des Grundeinkommens weiterhin offen diskutieren. Sich auf einen Weg zu verengen, würde bedeuten, die Chancen auf seine Umsetzung zu schmälern.
Braucht es einen Fukushima-Moment?
WIE ES SCHNELLER GEHEN KÖNNTE
Nach der letzten Bundestagswahl 2021 haben wir kurz aufgehorcht: Einen Moment lang sah es fast so aus, als würden Elemente des Bedingungslosen Grundeinkommens schrittweise in der Politik ankommen: Die ersten Ideen für die Kindergrundsicherung klangen nach bedingungsarmer Existenzsicherheit für alle Kinder. Das Klimageld hätte die erste Geldleistung werden können, die automatisch an alle Menschen ausgezahlt wird, ohne dass das Einkommen der Empfänger*innen dabei eine Rolle spielt...
Heute wissen wir, dass es vorerst keine der beiden Ideen in die Realität geschafft hat. Sie wurden so lange verschleppt und zerredet, bis selbst die öffentliche Zustimmung abflaute. Das wirft die Frage auf, ob Konzepte zum sozialen Ausgleich überhaupt noch Chancen haben, sich erst in der Gesellschaft und danach auch in der Politik durchzusetzen?
"Die Zeiten werden gerade härter, die Leute fahren die Ellenbogen aus. Aber gerade jetzt ist eine Idee wie das Grundeinkommen wichtig. Da müsst ihr dran bleiben – auch die nächsten 10 Jahre!" gab uns Micha Bohmeyer bei unserer Jubiläums-Verlosung mit auf den Weg. Aber wie schaffen wir wieder Mehrheiten in unseren Köpfen und Parlamenten für sie? Vielleicht braucht es dafür einen sozialen ...
Aber das müsse nicht der letzte gewesen sein, glaubt Miriam: "Wir werden in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Krisen haben. Wir sehen ja bereits, dass ein Phänomen wie KI dazu führt, dass selbst in der IT-Branche weniger Menschen gebraucht werden. Weitere Möglichkeiten, das Grundeinkommen als Maßnahme einzuführen, um solche Entwicklungen abzufedern, werden also nicht ausbleiben."
Die nächsten zehn Jahre können nicht nur auf den Arbeitsmärkten so einen Fukushima-Moment erzeugen. Auch die Klimakrise und selbst die schleichende Demokratiekrise können zur Folge haben, dass über Nacht soziale Sicherheit wichtiger wird denn je. Das ist gleichzeitig das Problematische daran: So sehr der Tiefpunkt einer Krise den Weg zum Grundeinkommen beschleunigen könnte – so wenig wünscht man sich, dass sich die Krise bis zu diesem Tiefpunkt zuspitzt.
"Ich hoffe sehr, dass wir uns in eine andere Richtung wenden, dass wir uns in einer Zeit vertrauen und helfen wollen, in der es sicher schwieriger wird – und nicht auch noch Krisen unter uns selbst heraufbeschwören", sagt Miriam Witz.
Hauptsache gemeinsam
WORAUF ES JETZT ANKOMMT
Wir können nicht vorhersagen, welche dieser möglichen Schritte hin zum Grundeinkommen für alle tatsächlich eintreten werden. Manche können wir selbst gehen, auf andere haben wir wenig Einfluss und auf wieder andere – etwa einen sozialen Fukushima-Moment – würden wir lieber ganz verzichten.
Was auch passiert, eines haben wir uns fest vorgenommen: Die Vorurteile der letzten zehn Jahre gegen das Grundeinkommen werden wir in den kommenden zehn Jahren konsequent hinter uns lassen. Keine Ablenkung mehr durch längst widerlegte Finanzierungs-Zweifel und Faulheits-Vorwürfe. Stattdessen volle Konzentration auf das Machbare.
Das Bedingungslose Grundeinkommen ist möglich und machbar. Vielleicht schon innerhalb der nächsten zehn Jahre. Wir sagen "schon", obwohl wir natürlich wissen, dass zehn Jahre für Millionen Menschen nach sehr lange klingt, wenn sie dringend auf echte soziale Gerechtigkeit und neuen Gestaltungsmut warten.
Wenn du uns helfen willst, den Weg zu einem Grundeinkommen für alle zu beschleunigen, kannst du viel tun: Erzähle weiter, was wir in den nächsten zehn Jahren tun und herausfinden werden. Bleib am Ball, indem du unseren wegweisenden Newsletter liest. Und – wenn du kannst – unterstütze unsere Arbeit mit deiner Spende.
Denn das ist das Wichtigste: Welche Schritte zum Grundeinkommen wir auch gehen werden, am liebsten möchten wir sie mit dir gemeinsam gehen.
Welchen Weg schlägst du vor?
Was wünschst du dir für die nächsten 10 Jahre von Mein Grundeinkommen? Verrate es uns in der Jubiläums-Umfrage.
Was denkst du? Hältst du zehn Jahre bis zum Grundeinkommen für alle für realistisch, zu schnell oder viel zu langsam? Schreib es uns in die Kommentare!
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