Ist die soziale Spaltung nur ein Problem der Armen? Nein, alle würden profitieren, wenn wir die Ungleichheit überwinden, sagt Michael Bohmeyer. Aber wie? Das Grundeinkommen könnte die Sicherheitsnadel sein, die unsere auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenhält.
Warum ist die soziale Spaltung zwischen arm und reich eigentlich ein Problem? Wenn die Wirtschaft wächst, verdienen zwar die Reichen relativ gesehen mehr als die Armen – aber trotzdem haben doch alle mehr als vorher. Und mehr ist doch besser, oder? Nicht ganz.
Menschen, die in Ländern mit großer Ungleichheit leben, haben im Durchschnitt eine schlechtere Bildung, erleben mehr Gewalt, sitzen wahrscheinlicher im Gefängnis, sind fettleibiger und eher alkoholabhängig, haben weniger Aufstiegschancen, mehr psychische Krankheiten, weniger Vertrauen und sogar eine kürzere Lebenserwartung als Menschen, die in Ländern mit geringer Ungleichheit leben.
Die Spaltung schadet auch den Reichen
Dies gilt übrigens für alle Menschen eines Landes. Das heißt, in sehr ungleichen Gesellschaften haben auch reiche Menschen ein schlechteres Leben als sie es in einer gleicheren Gesellschaft haben könnten. Anders gesagt: Die soziale Spaltung schadet allen, auch den Reichen.
Ein Gutachten im Auftrag des Bundesinnenministeriums warnte schon 2009: “Das Auseinanderdriften der sozialen Schere könnte zum Zusammenbruch des Zusammenhalts und zu unabsehbaren Folgen im Hinblick auf politische Radikalisierung und Kriminalitätsentwicklung führen.”
Je ungleicher meine Nachbar*innen und ich sind, desto mehr vergleiche ich mich mit ihnen, desto größer wird die Konkurrenz, die Sorge vor dem Abstieg und der Frust über die unüberwindbaren Gräben. Frust und Existenzängste bedeuten sozialen Stress. Wir werden unsicherer, zweifeln an uns selbst. Das führt zu Einsamkeit, Vorurteilen und, ganz nebenbei, zu mehr unbewusstem Konsum, was wiederum schlecht für die Umwelt ist.
Wofür ist dann die zunehmende Ungleichheit zwischen den Menschen gut? Für die Wirtschaftsleistung? Auch das nicht: Forschende der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben herausgefunden, dass Deutschland wegen der zunehmenden sozialen Spaltung mögliches Wirtschaftswachstum verschenkt.
Zwischen 1990 und 2010 hätte das Wachstum um sage und schreibe ein Fünftel höher ausfallen können, wäre der Abstand zwischen den Armen und den Reichen nicht gewachsen. Viele Ökonom*innen gehen zudem davon aus, dass erst durch die zunehmende Ungleichheit die Finanzkrise von 2008 ausgelöst wurde.
Umverteilung ist keine Frage der Moral
Kurzum: Wir sollten die Ungleichheit unbedingt abmildern und Einkommen und Vermögen durch höhere Steuern neu zwischen Reichen und Armen verteilen. Nicht aus Mitleid oder moralischen Gründen, sondern weil es besser ist – für alle. Dennoch findet eine ernsthafte politische Debatte über höhere Steuern so gut wie nicht statt. Warum nicht?
Steuererhöhungen gelten als unpopulär, denn “viele Bürger überschätzen ihre Steuerbelastung (und) lehnen Steuererhöhungen für wirklich Reiche ab, weil sie (...) fürchten, selbst davon betroffen zu sein”, wie Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in seinem Buch Unsere Steuern feststellt. Dabei wären die allermeisten Menschen von einer Vermögens- oder höheren Erbschaftssteuer gar nicht betroffen.
Dranbleiben! Mit dem wichtigsten Newsletter zum Grundeinkommen
Der Mythos von der eigenen Schuld
Dass die Mehrheit zu ihrem eigenen Nachteil gegen höhere Steuern stimmt, liegt daran, dass seit den 70er Jahren neoliberale Wirtschaftswissenschaftler*innen, Lobbyist*innen und Politiker*innen unaufhörlich die gleichen Mythen verbreiten: Steuererhöhungen würden die Wirtschaft lähmen – und wer arm ist, solle nicht nach dem Staat rufen, sondern sei selbst Schuld an seiner Misere. Ungleichheit sei demnach kein Problem, das der Staat lösen muss, sondern ein individuelles Versagen einzelner Bürger*innen, die sich eben nicht genug angestrengt hätten.
Die Schuldzuweisung an die Armen ist mittlerweile tief verinnerlicht. Immer, wenn Sozialleistungen erhöht werden sollen, um die Ungleichheit zum Wohle aller abzumildern, können Politiker*innen dies wirksam verhindern, indem sie “die Steuerzahler” gegen die Armen aufhetzen. “Nicht auf dem Rücken der Steuerzahler”, heißt es dann. Dringend notwendige Debatten über Umverteilung werden so blockiert.
Diese Blockade könnte das Bedingungslose Grundeinkommen auflösen, indem es das “Wir finanzieren Euch”-Argument aushebelt.
Alle kriegen es...
Denn Grundeinkommen würde nicht wie eine Sozialleistung wirken, die von den Reichen bezahlt und von den Armen kassiert wird. Das Grundeinkommen würden alle Bürger*innen erhalten, egal ob Milliardär*in oder Obdachlose*r. Es wäre eine neue Strategie auf dem Weg zu weniger Ungleichheit. Statt von den Einen zu fordern, um es den Anderen zu geben, bekommen am Monatsanfang erst einmal alle 1.000 Euro überwiesen.
So werden keine Gruppen mehr gegeneinander ausgespielt und auch der Staat muss nicht mehr – immer für irgendwen ungerecht – definieren, wer überhaupt Anspruch auf Auszahlung hat. Denn das haben schlicht und einfach: Alle.
…und alle zahlen es
Doch natürlich muss ein Grundeinkommen für alle auch finanziert werden. Anders als oft geglaubt, ist das Grundeinkommen kein zusätzliches Geld für alle – das würde ja auch an der Ungleichheit nichts ändern. Vielmehr ist es die Garantie, dass niemand zu wenig hat. Dafür erhalten zwar alle am Monatsanfang Geld überwiesen, müssen aber mit ihrer Steuererklärung deutlich höhere Steuern zahlen als bisher.
Unterm Strich hätten die Armen deutlich mehr Geld als heute – und wären dann nicht mehr arm. Die Mittelschicht hätte ungefähr gleich viel. Die Reichen bekämen nicht etwa – wie oft behauptet – Geld, das sie nicht brauchen, sondern hätten in allen gängigen Grundeinkommensmodellen netto deutlich weniger als heute.
In unserer neuen Serie Das Thema beleuchten wir diesmal Die soziale Spaltung. Wie sehr bestimmen Armut oder Reichtum unser Leben – und können wir diese Spaltung irgendwie überwinden? Diskutiere mit und abonniere unseren Newsletter, um nichts zu verpassen.
Umverteilung eben, aber mit einem entscheidenden Unterschied: Würde der Staat die Steuern stark erhöhen, ohne gleichzeitig ein Bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, bestünde die berechtigte Sorge, dass er das mehr eingenommene Geld für alles mögliche ausgibt, aber nicht für die Armen und damit nicht für mehr Gleichheit.
Beim Grundeinkommen ist das anders. Es ist eine Direktumlage von Bürger*in zu Bürger*in, ohne staatliches Reinfunken. Jeder gezahlte Euro wird direkt umverteilt.
Zusätzlich wird fast die vollständige Sozialbürokratie eingespart, die sich heute mehr schlecht als recht daran versucht, mehr Gleichheit herzustellen. Effizienter als mit einem Grundeinkommen kann man Umverteilung, und damit eine bessere Gesellschaft, nicht haben.
Es geht nicht nur ums Geld – es geht auch um seinen psychologischen Effekt
Vielleicht sagst du jetzt: Hä? Warum sollte man den Reichen erst Grundeinkommen auszahlen, um es ihnen am Ende über die Steuern wieder wegzunehmen? Die Antwort ist: Psychologie!
Wir Menschen sind keine rationalen Rechenmaschinen. Wir brauchen nicht nur Geld, damit die soziale Spaltung überwunden wird, sondern auch Anerkennung. Anders als bei allen heutigen Sozialleistungen müssten wir das Grundeinkommen nicht beantragen, uns nicht dafür schämen oder rechtfertigen. Weil es bedingungslos ist und weil alle es kriegen, dürften wir damit machen, was wir wollen.
Das Grundeinkommen gibt uns so Wertschätzung für unsere Lebensentwürfe – aber auch Sicherheit, weil es wirkt wie ein monatlicher Vertrauensvorschuss. Wir können damit auch mal was wagen und auf die Nase fallen. Das erzeugt mehr Vertrauen in uns selbst, in die Anderen und damit auch einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt – wie das zweijährige Grundeinkommens-Experiment in Finnland herausgefunden hat.
Die Frage ist doch: Was kostet KEIN Grundeinkommen?
Diese Form der Anerkennungspolitik kann der heutige Sozialstaat ohne Bedingungsloses Grundeinkommen niemals leisten. Das ist auch der Grund, warum wir trotz unseres verhältnismäßig teuren Sozialstaats bisher noch immer viel Armut, Angst und Ungleichheit haben. Pro eingezahltem Euro erzeugt er zu wenig Gleichheit und damit zu wenig gutes Leben für alle. Wie lange wollen wir uns diese Ineffizienz noch leisten?
Was wäre hingegen, wenn sich alle Bürger*innen jeden Monat gegenseitig ein Grundeinkommen zugestehen würden? Jede*r würde monatlich auf dem Kontoauszug das Signal erhalten: Wir sind für dich da – und du für uns. Egal was du machst, wir lassen dich nicht zurück. Du bist eine*r von uns. Das wäre ein fundamental neuer Gesellschaftsvertrag, der nicht nur die Spaltung zwischen oben und unten überwindet, sondern auch die zwischen dir und mir.
Zulassen von Cookies
Durch deinen Klick auf den Link zur Umfrage willigst du ein, dass automatisch Marketing-Cookies gesetzt werden. Deine Einwilligung ist aus datenschutzrechtlichen Gründen notwendig. Du kannst sie jederzeit auf der Seite Cookie-Einstellungen rückgängig machen.