Zum ersten Mal lässt eine Bundestagspartei ihre Mitglieder entscheiden, ob sie das Grundeinkommen für alle will. Die Chancen für die Abstimmung stehen gut – wenn sich die Partei nicht selbst im Weg steht.
Bis zum 26. September können die knapp 61.000 Mitglieder der Linken darüber entscheiden, ob ihre Partei das Bedingungslose Grundeinkommen will oder nicht. Das ist gleich doppelt bemerkenswert: Es ist der erste Mitgliederentscheid zu einer inhaltlichen Frage, der von der Parteibasis herbeigeführt wurde. Und es wäre das erste Mal, dass eine Partei, die im Bundestag sitzt, sich zum Grundeinkommen bekennt.
Hat die Abstimmung Erfolg, könnte es das Grundeinkommen schon bei der nächsten Wahl zum ersten Mal direkt ins Parlament schaffen. Das wäre bahnbrechend.
Update vom 30. September 2022: Die Mitgliederabstimmung war erfolgreich, das Bedingungslose Grundeinkommen wird voraussichtlich ins Parteiprogramm der Linken aufgenommen. 56,6 Prozent der abstimmenden Mitglieder sprachen sich dafür aus, dagegen stimmten 38,4 Prozent. Insgesamt nahm ein Drittel aller Mitglieder an der Abstimmung teil. "Ein bedeutender Schritt ist getan! Die Mehrheit der Mitglieder gibt der Partei eine neue Richtung vor", kommentiert die BAG Grundeinkommen den Erfolg ihrer Initiative.
Auf den ersten Blick scheinen die Hürden für den Mitgliederentscheid nicht besonders hoch: Eine einfache Mehrheit der Ja-Stimmen genügt, wenn insgesamt mehr als ein Viertel aller Parteimitglieder abstimmen. Aber gerade die zweite Bedingung könnte zum Problem werden.
"Ob wir erfolgreich sein werden, hängt ganz stark davon ab, ob wir eine hohe oder eine niedrige Wahlbeteiligung haben werden", sagt Moritz Fröhlich aus dem Team der parteiinternen Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen, die den Mitgliederentscheid gegen viele Widerstände durchgesetzt hat. Fröhlich ist überzeugt, "dass die Gegner*innen aus der Funktionärsebene und ihr näheres Umfeld mehrheitlich ihre Stimme abgeben werden. Wir beobachten, dass je weiter wir uns von der Funktionärsebene entfernen, desto höher wird die Zustimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen."
Die Gefahr besteht, dass am Ende vor allem die Stimmen dieser einfachen Mitglieder fehlen, die das Grundeinkommen eher befürworten – aber schlicht nicht wissen, dass es die Abstimmung gibt. Das wäre paradox, falls Moritz Fröhlich die Haltung in seiner Partei richtig einschätzt: "Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Mitglieder der Linken für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist."
Aufwind für eine zerrissene Partei
Damit der Mitgliederentscheid nicht an seiner mangelnden Bekanntheit in der Partei scheitert, haben die Befürworter*innen des Grundeinkommens in den vergangenen Monaten so laut getrommelt, wie sie konnten: auf einer Kampagnenseite, bei Infoveranstaltungen in den Verbänden vor Ort, sogar mit einem eigenen Podcast.
Die Offensive unter dem Slogan "Mit Links zum Grundeinkommen" zeigte offenbar Wirkung, manchmal sogar über die Parteigrenzen hinaus: "Ich kenne persönlich Menschen, die Mitglied geworden sind, um abstimmen zu können", sagt Moritz Fröhlich. Er verschweigt nicht, dass es vermutlich mehr gewesen wären, würde Die Linke nicht momentan "einen desolaten Zustand nach außen abgeben", wie er sagt. "Das hat ein Werben um neue Mitglieder nicht erleichtert."
Übrigens: Mein Grundeinkommen ist als gemeinnütziger Verein überparteilich. Wir berichten über die Haltung und Debatten zum Bedingungslosen Grundeinkommen in allen demokratischen Parteien – aber wir machen uns ihre Positionen nicht zu eigen und geben keine Wahlempfehlungen. Warum das Grundeinkommen sowieso ins Programm (fast) aller Parteien passen würde, hat Michael Bohmeyer vor der letzten Bundestagswahl erklärt.
Könnte eine klare Positionierung zum Bedingungslosen Grundeinkommen im Parteiprogramm der Linken helfen, die anhaltende Parteikrise zu beenden? Nach den Verlusten bei der letzten Bundestagswahl und einem Sexismus-Skandal wirkt die Partei zerrissen wie nie – und angesichts der akuten sozialen Krise im Land als linke Oppositionsstimme erstaunlich kraftlos.
Moritz Fröhlich sieht gerade jetzt die Chance, dass "ein 'Ja' zum Grundeinkommen der Partei wieder Aufwind geben kann, auch damit das Thema in Zukunft im Bundestag vertreten sein wird."
Ein ungehobenes Wahlpotenzial
Die Hoffnung könnte durchaus berechtigt sein, wenn man auf die repräsentativen Vorwahlumfragen schaut, die Mein Grundeinkommen erhoben hat. Knapp 39 Prozent aller Menschen, die das Bedingungslose Grundeinkommen befürworten, konnten sich kurz vor der letzten Bundestagswahl vorstellen, Die Linke zu wählen – falls sich die Partei für ein Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro für alle aussprechen würde.
Spannend dabei: Längst nicht alle dieser Menschen sind ohnehin Anhänger*innen der Partei. Auch ein guter Teil der Menschen, die im vergangenen Jahr eine ganz andere Wahlabsicht hatten, konnten sich vorstellen, stattdessen Die Linke zu wählen, wenn die Partei ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle im Programm hätte.
Besonders von den Grünen, der SPD und den Wähler*innen sonstiger Parteien hätte Die Linke nach unseren Umfragen einen Zuwachs zwischen 38,2 und 45,6 Prozent derjenigen Wähler*innen erwarten können, denen das Grundeinkommen ein wichtiges Anliegen ist.
Diese Umfragewerte lassen sich nicht ohne Weiteres in absolute Zahlen umrechnen. Der Anteil der Menschen, die das Bedingungslose Grundeinkommen befürworten, an allen Wahlberechtigten schwankt regelmäßig zwischen 40 und knapp über 50 Prozent.
Aber selbst wenn nur ein Bruchteil von ihnen ihre Wahlabsicht für Die Linke bei der letzten Bundestagswahl in die Tat umgesetzt hätte, wäre das ein ungehobenes Wähler*innen-Potenzial gewesen, das die Partei dringend nötig hatte. Schließlich verfehlte sie knapp die Fünf-Prozent-Hürde und zog nur wegen drei direkt gewonnener Mandate überhaupt wieder in Fraktionsstärke ins Parlament ein.
Ob sich Die Linke mit der Richtungsentscheidung zum Bedingungslosen Grundeinkommen für die nächste Wahl besser aufstellt?
Nur Besserverdienende zahlen am Ende drauf
Die Befürworter*innen in der Partei sind jedenfalls gut vorbereitet auf die Zeit nach einem erfolgreichen Mitgliederentscheid. Ihr Grundeinkommenskonzept liegt längst bereit. Was steht drin?
1.180 Euro soll jede*r Erwachsene monatlich ausgezahlt bekommen. Kinder sollen ein Grundeinkommen in halber Höhe erhalten. Die Beträge sollen aber an die wirtschaftliche Entwicklung geknüpft und jedes Jahr angepasst werden. Finanziert werden soll das linke Grundeinkommen hauptsächlich durch eine Sozialdividende – eine Abgabe auf alle Einkommen in Höhe von 35 Prozent und eine Abgabe auf Vermögen und Immobilien in Höhe von 2,5 Prozent.
Moritz Fröhlich betont den Begriff des "emanzipatorischen" Bedingungslosen Grundeinkommens: "Kinder wären finanziell durch das Grundeinkommen in halber Höhe abgesichert – Kinderarmut wäre besiegt. Ältere würden neben dem Grundeinkommen ihre individuelle Rente beziehen – Altersarmut wäre abgeschafft. Jüngere könnten endlich ohne Druck nach einer passenden Erwerbsarbeit suchen – Existenzangst wäre passé."
Das ist vielleicht der wichtigste Baustein des linken Grundeinkommenskonzepts: "Es schließt den Abbau des Sozialstaates aus", argumentiert Fröhlich, weil Renten-, Kranken-, Pflege- und Erwerbslosenversicherung in Form einer Bürgerversicherung erhalten blieben.
Wer wissen möchte, wie sich das linke Grundeinkommen auf das eigene Portemonnaie auswirken würde, kann den Einkommensrechner der Bundesarbeitsgemeinschaft ausprobieren. Der dürfte die Ängste einiger Besserverdienenden vor dem Bedingungslosen Grundeinkommen zerstreuen: Nur wer mehr als 6.000 Euro brutto im Monat verdient, wird im linken Rechenmodell schlechter gestellt als ohne Grundeinkommen.
Klare Absage an neoliberale Modelle
Ob sich alle diese Eckpunkte tatsächlich im Parteiprogramm der Linken wiederfinden werden, falls der Mitgliederentscheid Erfolg hat, steht nicht fest. Denn die Mitglieder stimmen darüber ab, ob der Parteivorstand einen neuen Entwurf für das Parteiprogramm erarbeiten muss, in dem ein Grundeinkommenskonzept enthalten ist. Auf das konkrete Konzept verweist der Abstimmungstext nur als ein Beispiel.
Immerhin, in der Abstimmung wird ausdrücklich ein bedingungsloses, "emanzipatorisches" Grundeinkommenskonzept gefordert und allen neoliberalen Modellen eine klare Absage erteilt. Man kann davon ausgehen, dass eine deutliche Zustimmung der Mitglieder in der Partei als klares Votum für das Konzept gewertet werden müsste, so wie es sich Moritz Fröhlich und die Bundesarbeitsgemeinschaft vorstellen.
Nie mehr verpassen, wenn es etwas Neues zum Bedingungslosen Grundeinkommen gibt!
Am 30. September werden die Stimmen der Mitglieder ausgezählt. Falls die Abstimmung erfolgreich ist, soll der Parteivorstand seinen Entwurf für das Parteiprogramm inklusive Grundeinkommen innerhalb eines Jahres vorlegen. Dann müsste ein Parteitag diesen Entwurf annehmen. Wenigstens dieser Schritt ist laut Moritz Fröhlich keine hohe Hürde: "Ich gehe nicht davon aus, dass ein Parteitag sich gegen die Mehrheit der Mitglieder stellt."
"Ein Riesengewinn für die Idee"
So könnte das Bedingungslose Grundeinkommen noch rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl auch seinen Weg ins Wahlprogramm der Linken finden. Die Befürworter*innen brächte das gleich zwei große Schritte weiter: Zum Einen könnte dann zum ersten Mal eine Partei das Grundeinkommen auf die Tagesordnung im Parlament setzen. Zum Anderen hätten Initiativen und Aktivist*innen aus der Gesellschaft zum ersten Mal eine Partei als Ansprechpartnerin im Parlament.
Oder wie Moritz Fröhlich es zusammenfasst: "Für die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens wäre dies alles ein Riesengewinn."
Was denkst du? Ist der Mitgliederentscheid eine Chance, dem Grundeinkommen für alle einen Schritt näher zu kommen? Wie findest du das Grundeinkommenskonzept der Linken? Schreib es uns in die Kommentare!
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