Wie erklärt man jemandem, wie sich ein Leben mit Grundsicherung anfühlt, der das nicht selbst erlebt hat? Die Satirikerin Helene Bockhorst hat eine perfekte Metapher gefunden: Der Staat geht mir dir picknicken – aber ganz anders, als du denkst.
Stell dir vor, jemand lädt dich auf ein Picknick ein. "Ich kümmere mich", sagt er. "Es wird für alles gesorgt sein!"
Du kommst zum Picknick und statt der Picknickdecke hat dein Freund ein Taschentuch auf dem Boden ausgebreitet. "Was ist das?", fragst du. "Da kannst du dich draufsetzen", sagt er. Das Taschentuch ist ein bisschen zu klein, und deine Hose wird etwas feucht. Bequem ist das nicht, aber du willst dich auch nicht beschweren. Schließlich ist es ja nett, dass dein Freund sich gekümmert hat.
Jetzt packt dein Freund das Essen aus: In einer Tupperdose, die nach Füßen riecht, schwitzen drei Käsewürfel, die traurigsten Apfelstückchen, die du je gesehen hast, und ein paar Weintrauben, die wohl mal halbherzig eine Karriere als Rosinen angestrebt und dann aufgegeben haben. "Ähm, danke", sagst du, würgst eines von den Apfelstückchen herunter und hältst unauffällig nach einem Getränk Ausschau, um den Geschmack loszuwerden.
Willst du mehr von Helene Bockhorst sehen und hören? Im Video-Podcast Steile Thesen erledigt die Satirikerin die schlimmsten sozialen Vorurteile! In der neuesten Folge geht's um die Tücken der Grundsicherung.
Auch für die Erfrischungen hat dein Freund gesorgt: In einer ausgespülten PET-Flasche hat er ein paar Schlucke lauwarmes Wasser mitgebracht.
"Hat dir unser Picknick gefallen?", fragt er am Ende und strahlt dich erwartungsvoll an. Naja, denkst du. Es ist ja nett von dir, dass du mich eingeladen hast – aber nenn das doch nicht Picknick! Unter einem Picknick stelle ich mir ein bisschen was anderes vor.
In Deutschland haben wir eine Grundsicherung für Arbeitsuchende – auf dem Papier. Das sogenannte Bürgergeld. "Das Bürgergeld sichert das wirtschaftliche Existenzminimum und ermöglicht Ihnen die Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben unserer Gesellschaft", heißt es auf den Webseiten der Bundesländer.
Leider machen viele Bürgergeld-Empfänger da andere Erfahrungen.
Darüber, wie minimal ein Existenzminimum sein darf, kann man eventuell noch unterschiedlicher Ansicht sein, aber bei einem monatlichen Budget von 1,81 Euro für Bildung müssen Betroffene sich entscheiden, ob sie sich alle zwei Monate eine Zeitung kaufen, oder lieber ein Jahr lang auf ein Buch sparen wollen - soziale und kulturelle Teilhabe sieht anders aus.
Für einen alleinstehenden Erwachsenen sind 174,19 Euro im Monat für Lebensmittel und Getränke vorgesehen. Das sind ungefähr 5,80 Euro am Tag. Diese überschaubare Summe ist schon weg, wenn man sich einen kleinen Kaffee und ein Snickers im Bordbistro kauft – glücklicherweise kommen Bürgergeld-Empfänger ohnehin nicht in diese Verlegenheit, denn für Verkehr und Mobilität sind 45,02 Euro vorgesehen und ein 49-Euro-Ticket kostet … 49 Euro :-)
Im Endeffekt müssen Betroffene ständig Geld hernehmen, das eigentlich für andere Zwecke vorgesehen war, weil die einzelnen Bedarfe sehr niedrig kalkuliert sind und jede unvorhergesehene Ausgabe zur Herausforderung wird.
Oma hat dir zum Geburtstag Geld überwiesen? Was für eine Trickbetrügerin!
Da könnte man meinen, dass man den Leuten von dieser geringen Summe nicht auch noch etwas abziehen würde. Doch nein! Wenn ein Mensch, der Bürgergeld bezieht, unartig ist, muss er mit Sanktionen rechnen. Dafür reicht es schon, wenn er zum Beispiel kein Bewerbungstraining absolvieren möchte bei einer Person, deren einzige Lebensleistung es ist, in solchen Kursen mit ClipArts aufgehübschte Arbeitsblätter zu verteilen. Oder auch, wenn er Briefe verbummelt oder einen Termin verpasst.
Bis zu 30% des Regelbedarfs können durch Sanktionen wegfallen. Ebenfalls muss man mit Abzügen rechnen, wenn der Eindruck entsteht, man habe irgendwo einen Vorteil gehabt: Ein Familienmitglied war im Krankenhaus? Dann zahl mal schön was zurück, immerhin hat es in diesem Zeitraum nicht zu Hause gewohnt! Dass die Miete trotzdem fällig wurde, spielt keine Rolle. Oma hat dir zum Geburtstag Geld überwiesen? Was für eine Trickbetrügerin! Dein Kind wurde entführt? Super, dann hat es bestimmt in dieser Zeit nichts gegessen und du hast ordentlich Geld gespart!
Um mal bei der Picknick-Metapher zu bleiben: Das ist, als würde einem das welke Apfelstück wieder weggenommen, weil rauskommt, dass man kürzlich erst ein Kaugummi angeboten bekommen hat.
Ein weiterer Grund, warum das Bürgergeld den Namen Grundsicherung eigentlich nicht verdient: Es wird nur auf Antrag gezahlt. 2019 untersuchte eine Studie, wie viele Menschen in den Jahren 2005 bis 2014 Transferleistungen nicht in Anspruch genommen haben. Es wurde deutlich, dass ein erheblicher Teil der Anspruchsberechtigten die Leistung nicht beantragt – und das ziemlich konstant über den gesamten untersuchten Zeitraum hinweg. Im Durchschnitt lag die Quote mit 55,7 Prozent bei mehr als der Hälfte.
Eine echte Grundsicherung würde allen zur Verfügung stehen – nicht nur denjenigen, die die damit immer noch verknüpfte Scham überwinden und sich durch Formulare wühlen.
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Stell dir vor, dein Freund lädt dich auf ein Picknick ein, aber wenn du ihn im Park triffst, gibt er dir einen Zettel und ein Klemmbrett und du sollst erstmal begründen, warum du meinst, das Recht auf einen Käsewürfel zu haben – gleichzeitig vermittelt er dir, dass es irgendwie schon ein bisschen peinlich ist, dass du Hunger hast. Und offenbar traut er dir zu, dass du ihn bescheißen willst.
Was kann man da machen? Lösung Nr. 1: Nennt es nicht Grundsicherung! Das Bürgergeld ist keine wirkliche Grundsicherung und sollte auch nicht so genannt werden. Stattdessen könnte man einen passenderen Namen suchen, z.B. "Knausergeld" oder "Schikaniergeld".
Lösung Nr. 2: Ganz verwegene Idee – man könnte den Betrag so anpassen, dass den Betroffenen ein menschenwürdiges Leben mit sozialer Teilhabe möglich ist und auf demütigende Sanktionen verzichten.
Welchen Weg wir gehen wollen, sagt einiges über uns und unsere Werte aus.
Was denkst du? Ist Helenes Picknick aus der Hölle ein zu hartes Bild für die Grundsicherung – oder noch nicht hart genug? Schreib es uns in die Kommentare!
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