In den vergangenen Wochen haben wir hier diskutiert, wie Klimapolitik sozial gerecht werden kann – und sind vorerst beim Klimageld gelandet. Dabei gibt es einen im Prinzip ähnlichen, aber viel mutigeren Weg zu mehr Klimagerechtigkeit, der bisher übersehen wird. Die letzten Wahlen zeigen: Es ist höchste Zeit, diesen Weg endlich genauer unter die Lupe zu nehmen.
Auch wenn es bestimmt langsam nervt: Wir müssen nochmal über die Europawahl reden. Aber anders, als du jetzt vielleicht denkst…
Seit dem Wahlsonntag vor fast drei Wochen ist nämlich etwas Spannendes passiert: Ein bestimmtes Thema ist weg. Einfach verschwunden. Als hätten sich über Nacht unter Berlin, Brüssel und sämtlichen Polittalkshows dazwischen schwarze Löcher aufgetan, die es verschluckt haben. Die Rede ist von der Klimapolitik.
Nur wenige Tage vor der Wahl sahen wir etwa noch Markus Söder dabei zu, wie er in Gummistiefeln durch das sechste Jahrhundert-Hochwasser in nur 22 Jahren stolperte – mit dem nach seinen gespielt überraschten Worten “keiner normalerweise rechnen konnte” – und hörten sein Versprechen, sich nun aber wirklich “viel stärker dem Thema Klimaschutz zu widmen”.
Die Klimadebatte: Wie von einem Hochwasser weggespült
Nach der Wahl ist davon nicht mehr viel übrig. Es scheint, als hätten die höchsten Stimmenverluste bei den Grünen, deren Markenkern der Klimaschutz ist, und die höchsten Zugewinne bei der AfD, die den menschengemachten Klimawandel wider besseres Wissen leugnet, das Thema Klimapolitik von der Tagesordnung gespült. So plötzlich, wie das Hochwasser die Habseligkeiten tausender Menschen aus ihren Häusern.
Grün ist seit der Europawahl nur noch der Rasen in den EM-Fußballstadien…
Klar, man könnte das Verschwinden des Themas Klimapolitik für die zwangsläufige Folge dieses Wahlergebnisses halten. Scheinbar interessiert sich eine Mehrheit in diesem Land – und genauso in weiten Teilen Europas – eben einfach nicht mehr genug für die Klimakrise und ihre Folgen. Das stimmt aber gar nicht.
Wenn man die Deutschen nämlich fragt, welches Thema für sie die größte Rolle für ihre Wahlentscheidung gespielt hat, landet der Klimaschutz mit 14 Prozent immer noch auf dem vierten Platz. Häufiger nennen die Befragten nur die Friedenssicherung (26%), soziale Sicherheit (23%) und die Zuwanderung (17%).
Ist das Klima jetzt weniger wichtig? Ein Fehlschluss!
Solche Ereignisse beschäftigen uns alle, sie platzieren Themen im Wahlkampf und verdrängen andere. Das Thema Klimaschutz konnten sie zwar von Platz 1 auf Platz 4 der wahlentscheidenden Themen schubsen – verdrängt haben sie es aber keineswegs.
Lassen wir diese zwei Drittel mit ihren existenziellen Ängsten jetzt allein, weil wir als Gesellschaft das Wahlergebnis dahin fehldeuten, dass diese Ängste plötzlich weniger präsent seien? Oder wäre nicht eine ganz andere Erkenntnis aus der Europawahl viel naheliegender?
Die Erkenntnis nämlich, dass eine große Mehrheit zwar unverändert Angst vor den Folgen der Klimakrise für sich selbst und uns als Gesellschaft hat, aber auf dem Wahlzettel trotzdem lieber Parteien ihre Stimme gibt, die von dieser Angst ablenken. Die lieber ablenken, weil sie entweder keine Lösungen für die Angst haben – oder erst gar keine suchen!
Diese Wählenden wenden sich resigniert ab vom Thema Klimaschutz und hin zu anderen Themen, die ihnen ähnlich große Sorgen machen, aber – vermeintlich – einfacher zu lösen sind. Was der Klimapolitik an diesem kritischen Punkt fehlt, sind offenbar mutige, aber auch machbare Lösungen, die uns allen wieder Lust statt Angst machen, in die Zukunft zu schauen.
Auch ein Schlüssel gegen den Trend zur Radikalisierung
Wenn diese Erkenntnis stimmt, könnten solche Lösungen gleich dreifach wirken: Sie würden faktisch etwas gegen die fortschreitende Klimakrise tun. Sie würden die Sorge der Mehrheit vor dem Klimawandel wieder ernstnehmen, anstatt sie kleinzureden. Und sie könnten auch noch bei kommenden Wahlen den Trend eindämmen, sich aus einem Gefühl der Ohnmacht und Frust über fehlende Perspektiven an die radikalen Ränder zu flüchten. Gibt es solche mutigen, aber machbaren Lösungen?
Unsere Antwort ist: Wahrscheinlich ja! Schließlich erzählen uns seit fast zehn Jahren etliche Gewinner*innen, wie das Bedingungslose Grundeinkommen den Kopf frei macht, um sich jenseits persönlicher Sorgen und finanzieller Ängste positiv den großen Zukunftsfragen wie der Klimakrise stellen zu können.
Wenn das Grundeinkommen bei einzelnen Menschen diesen Effekt hat, könnte es dann nicht auch eine ganze Gesellschaft offener machen für den Kraftakt, den wirksame Klimapolitik uns allen zwangsläufig abverlangen muss?
Die Bereitschaft, frei von Verlustängsten mutige Klimapolitik zu akzeptieren und sogar selbst zu wählen, ist aber nur die halbe Miete. Gleichzeitig müsste das Bedingungslose Grundeinkommen an sich ein klimafreundliches politisches Werkzeug sein – anstatt "nur" soziale Ungerechtigkeit und finanzielle Unsicherheit zu bekämpfen.
Dieses Klima-Grundeinkommen finanziert das Grundeinkommen aus einer von 550 Euro pro Tonne. Klimaschädlicher Konsum wird dadurch deutlich teurer. Wer nachhaltig konsumiert, wird hingegen durch das Grundeinkommen sehr stark finanziell belohnt. Die klimapolitische Lenkungswirkung, die der heute viel niedrigere CO₂-Preis hat, würde so um ein Vielfaches verstärkt.
Jannik von Mein Grundeinkommen hat die soziale Seite des Klima-Grundeinkommens bei Erscheinen der Studie so erklärt: "So eine massive Erhöhung der CO₂-Steuer wäre ohne ein Grundeinkommen undenkbar. Zwar wäre sie ökologisch sinnvoll, aber sozial eine Katastrophe. In Kombination mit einem Grundeinkommen wird die hohe CO₂-Steuer plötzlich sozial gerecht."
Das Klima-Grundeinkommen aus einer Steuer auf Emissionen wäre also ein so starker Anreiz zur Verringerung unseres CO₂-Ausstoßes wie kaum eine andere politische Idee – ohne neue Existenzangst auszulösen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt bisher nur das , das zwar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, aber noch immer auf sich warten lässt. Das Klima-Grundeinkommen würde die Wirkung des Klimageldes aber weit übertreffen.
Überzeugt dich das? Falls nicht, dann sind hier die drei wichtigsten Argumente, warum nur das Klima-Grundeinkommen den Widerspruch zwischen Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit beenden kann, auf einen Blick:
1. Weil sich alle Klimaschutz leisten können: 77% aller Menschen hätten mehr in der Tasche als heute
Diese Zahl lässt aufhorchen, oder? Wenn sonst eine politische Maßnahme als "sozial verträglich" angepriesen wird, kann das auch heißen, dass die schlimmsten Härtefälle abgefedert werden sollen. Wird man selbst zu ihnen gehören oder geht es einem am Ende doch ans Portemonnaie?
Das Klimageld, so wie es aktuell diskutiert wird, hat genau diesen Effekt bei mir: Würden 130 Euro ausgezahltes Klimageld pro Jahr wirklich meine Mehrkosten auffangen, die entstehen, wenn ich Produkte oder Dienstleistungen kaufe, auf die ihre Hersteller CO₂-Steuer bezahlen mussten?
Das Klima-Grundeinkommen, wie es das DIW Berlin berechnet hat, schafft hier viel mehr Sicherheit: 77 Prozent aller Menschen in Deutschland hätten unterm Strich mehr Geld zur Verfügung als vorher. Weitere sechs Prozent hätten gleich viel. Nur die reichsten 17 Prozent würden mehr Steuern zahlen, als sie Grundeinkommen ausgezahlt bekämen. Die ökonomische Mittelschicht würde nicht weiter schrumpfen – sondern von 56 auf 74 Prozent aller Haushalte wachsen.
2. Weil es auch das Arbeiten verändert: So kommen wir schneller zur klimaneutralen Wirtschaft
Welchen Effekt das auf unsere Wirtschaft hätte, lässt sich kaum vorhersagen. Ein wahrscheinlicher Effekt wäre, dass weniger Menschen Berufe ergreifen oder weiter ausüben, die per se klimaschädlich sind. Zusammen mit den lenkenden Effekten der dann sehr hohen CO₂-Steuern könnte das den Übergang unserer Wirtschaft zur Klimaneutralität erheblich beschleunigen.
3. Weil es langfristige Sicherheit schafft: Nur wer planen kann, baut sein Leben klimaneutral um
Gute, nachhaltige Entscheidungen brauchen Sicherheit und Planbarkeit. Nur die Verlässlichkeit eines lebenslangen Bedingungslosen Grundeinkommens erlaubte es uns, die wirklich einschneidenden Veränderungen in unserem Alltag anzugehen. Kleine Kompensationen wie das angedachte Klimageld können das nicht, auch wenn sie natürlich ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung wären.
Natürlich gibt es nicht nur Argumente für dieses Klima-Grundeinkommen. Vor allem beim Stichwort Konsum könnte ein Klima-Grundeinkommen womöglich auch negative Folgen haben. Denn wir wissen einerseits, dass zufriedene Menschen weniger konsumieren. Sie müssen Existenz- oder Zukunftsängste nicht mehr durch Materielles kompensieren.
"Ein Grundeinkommen kann durchaus ein Gewinn für uns alle sein, wenn wir es in andere Maßnahmen einbetten: das Voranbringen des Klimaschutzes, klimaschonender Technologien oder auch veränderter Arbeitsbedingungen in der Gesellschaft, die viel mehr Chancengleichheit und Fairness ermöglichen. Dann kann es dazu kommen, dass ein solches Grundeinkommen uns nicht in eine Hyperkonsumgesellschaft zwingt. [...] Ein Grundeinkommen allein wird diese Probleme nicht lösen können, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung."
Der Ausweg aus dem Klima-Klassenkampf?
Ich habe versucht, dich zu überzeugen, dass die Ergebnisse der Europawahl keineswegs bedeuten müssen, dass Klimapolitik und Sozialpolitik jetzt noch härter gegeneinander ausgespielt werden als bisher schon.
Um das zu verhindern, braucht es aber mutige und machbare Ideen. Wie das Klima-Grundeinkommen, das Klimaschutz und Klimagerechtigkeit untrennbar miteinander verbindet. Es könnte den Klima-Klassenkampf beenden, in dem wir längst feststecken.
Das letzte Wort gehört unserem Gewinner Holger aus Nordrhein-Westfalen, der mit seiner ganzen Familie schon mal vorangegangen ist und sein Grundeinkommen zum Klima-Grundeinkommen gemacht hat: "Grundeinkommen würde für Nachhaltigkeit schon was nützen. Wenn nämlich jeder in seinem kleinen Bereich Dinge angehen kann, die Nachhaltigkeit positiv beeinflussen. Und aus vielen kleinen Dingen wird ja auch was Großes."
Was denkst du?Kann das Klima-Grundeinkommen als Schlüssel gegen den Klima-Klassenkampf funktionieren? Welche Fragen hast du? Was siehst du kritisch? Schreib es uns in die Kommentare!
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