Können wir mit Grundeinkommen ein nachhaltigeres Leben führen? Eine vierköpfige Familie aus Nordrhein-Westfalen hat's ausprobiert. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen teilt sie im Gespräch mit dem Mein Grundeinkommen Magazin.
Herbst 2021. Die Heizkosten drohen zu explodieren, die Gesellschaft wird von existenziellen Sorgen geplagt: Wie komme ich über den Winter, ohne am Ende bedrohlich viel nachzahlen zu müssen?
Auch die Dusche von Judith, Holger und den beiden Kindern Klara (12) und Jonte (5) ist fast immer auf kalt gestellt. Sie ziehen außerdem eher dicke Wollsocken an, als die Heizung höher zu drehen. Familienvater Holger erinnert sich: "Auch wir hatten Angst vor der Nachzahlung, aber das monatlich zusätzliche Geld hat uns ein gutes Gefühl gegeben. Wir hatten nicht die Sorge, dass uns die Stromrechnung das Genick brechen könnte."
Die vierköpfige Familie wohnt in einer kleineren Stadt im südlichen Nordrhein-Westfalen. Vor drei Jahren, kurz nach den Sommerferien, gewinnt sie dank der Losnummer von Kind Klara ein Grundeinkommen.
Mit dem Grundeinkommensgewinn wollen Judith und Holger nichts Geringeres als eine familieninterne Mobilitätswende einläuten. Oberstes Ziel: So wenige Autokilometer wie möglich fahren und (sich) stattdessen lieber aufs Fahrrad setzen.
Das Thema Nachhaltigkeit war schon immer wichtig für Judith und ihren Mann Holger. "Es ist eher so drin, wir sitzen nicht jeden Tag da und diskutieren, wie wir die Welt retten können", erzählt Judith. Seitdem die beiden Kinder auf der Welt sind, hätte das Thema aber nochmal eine neue Brisanz bekommen. Mobilität sehen Holger und Judith als wichtigen Eckpfeiler des Klimaschutzes. Deshalb die Idee, mit ihrem Grundeinkommen genau da anzusetzen.
Mit der ersten Grundeinkommenszahlung bekommt Klara ein neues Fahrrad. "Sie hat vorher immer nur gebrauchte Räder bekommen, das ist ja auch nachhaltig", sagt Judith, "aber jetzt haben wir geschaut, dass es was ist, was ihr Brüderchen auch noch fahren kann."
Für Klaras Bruder Jonte wird ein neuer Fahrradanhänger gekauft. Der Alte sei nicht mehr ganz wasserdicht gewesen und Jonte von unten immer pitschnass geworden. Zur Bestätigung wird Jonte nochmal kurz gefragt, der während unseres Gesprächs etwas abseits mit seiner Burg spielt: "Mit dem Anhänger fahren wir viel rum, Jonte, ne?" "Ja." "Und wird dein Popo noch nass?" "Nö."
Die meisten Kilometer per Auto kostet der Arbeitsweg von Holger. Es sind 36 Kilometer, die er jeden Tag zur Arbeit braucht. Pro Weg. So oft es geht, versucht Holger die Strecke mit dem Fahrrad zurückzulegen, aber: "Fünfmal in der Woche ist das wirklich schwer durchzuhalten."
Das Bedingungslose Grundeinkommen hat geholfen, Ausgaben tätigen zu können, die sonst nicht drin gewesen wären. Hochwertige Regenbekleidung zum Beispiel. Holger meint: "Eine Regenjacke von ALDI hat einfach nicht so die Qualität, als wenn ich eine von VAUDE oder Patagonia nehme – die kosten dann aber das Zigfache."
Mit der richtigen Klamotte fährt Holger häufiger mit dem Rad, aber sein Arbeitsweg ist nicht darauf ausgelegt, ein Radweg zu sein. Und immer wieder gibt es heikle Situationen mit Autofahrer*innen, die beispielsweise nicht ausreichend Abstand zum Rad halten. Holger: "Judith hat jeden Tag Angst, wenn ich mit dem Fahrrad fahre und die Angst kann ich ihr nicht nehmen."
Weil der Weg zur Arbeit also nicht allein mit dem Rad zu bestreiten ist, soll das Auto wenigstens durch ein klimafreundlicheres, elektronisches Mikromobil ersetzt werden. Letztlich scheitert das Vorhaben aber an den zu hohen Kosten: "Da haben wir uns ganz schön gewundert, was so ein E-Mobil, das man an der Steckdose auflädt und das kaum Sicherheitsvorkehrungen und nur zwei Sitzplätze hat – was das schon kostet", berichtet Judith. "Finanziell ist das null drin. Der Strom kostet ja auch Geld."
Selbst mit ihrem Grundeinkommen ist diese Ausgabe nicht leistbar. Wenn das Grundeinkommen eine dauerhafte Ressource wäre, sähe das natürlich anders aus, sind Holger und Judith überzeugt. Dann wäre auch ein E-Mobil wieder denkbar.
Wir träumen in die Zukunft. Mit einem lebenslangen Grundeinkommen würde Holger einen Tag weniger arbeiten wollen: "Dann hätte ich die schöne 4-Tage-Woche." Und einen Tag weniger Arbeitsweg, ergo weniger Energieverbrauch.
Manchmal liebäugelt Judith schon jetzt mit nachhaltiger Kleidung, die nicht von H&M kommt: "Da siehst du erst, was die Dinge kosten müssen, wenn du sozial und umweltgerecht produzierst. So wie wir gerade finanziell aufgestellt sind, kleidet man die Kinder da nicht jeden Sommer und Herbst und Winter mit ein."
Mit einer finanziellen Basis wie dem Grundeinkommen sähe sie das schon. Judith: "Wenn man ein guter, klimafreundlicher Mensch sein will, dann muss man Geld haben."
Ein lebenslanges Grundeinkommen böte eine Grundsicherheit. "Vielleicht hätten dann auch nicht so viele Mitmenschen Angst vor neuen Ideen", überlegt Holger laut, "so Ängste, dass uns der Habeck die Ölheizung wegnehmen will."
Holger zieht aus Judiths und seinen Gedanken ein Fazit: "Grundeinkommen würde für Nachhaltigkeit schon was nützen. Wenn nämlich jeder in seinem kleinen Bereich Dinge angehen kann, die Nachhaltigkeit positiv beeinflussen. Und aus vielen kleinen Dingen wird ja auch was Großes."
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