Mobilität ist eine Gerechtigkeitsfrage. Während sich Millionen in Deutschland gar keinen eigenen Pkw leisten können, dominieren Autos nach wie vor Politik und Gesellschaft. Mobilitätsexpertin Katja Diehl zeigt, wie eine klimafreundliche Verkehrswende möglich ist – und warum wir dafür endlich umdenken müssen!
Katja Diehl ist eine, die sich nicht nur für eine nachhaltige Verkehrswende einsetzt, sie lebt sie auch selbst vor. Sie fährt Bahn und mit dem öffentlichen Nahverkehr – und hat ihr praktisches Faltrad immer dabei, um zumindest das letzte Stück ihrer Reise autonom und trotzdem klimaneutral zurücklegen zu können.
Was sie dabei aber nie vergisst: "Mobilität ist eine Gerechtigkeitsfrage". Und damit meint sie nicht nur, dass sie sich im Gegensatz zu vielen anderen in diesem Land selbst ihre Bahnfahrten und ein E-Bike leisten kann. Denn auch, wenn im Wort Autonomie das Wort Auto steckt: Dass Autonomie in unserer Gesellschaft mit dem Auto gleichgesetzt wird, ist keine naturgegebene, sondern eine ungerechte Realität, die politisch konstruiert wird.
Eigentlich unfassbar, dass das auf so einen riesigen Teil unserer so aufs Auto fixierten Gesellschaft zutrifft – und trotzdem seit Jahrzehnten fast ausschließlich von und für Autos gedacht und argumentiert wird, wenn es um Mobilität geht. Oder wie Katja Diehl sagt: "Ich war gestern auf einer Fahrradstraße im Autostau."
Von Barrierefreiheit wollen wir lieber erst gar nicht anfangen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Barrierefreiheit wird laut Katja meist einfach komplett vergessen. Aber hör selbst!
"Es ist viel möglich, weil wir im System sehr viel Geld haben"
Wie, nun, soll in dieser automatisch eingenommenen Auto-Logik erst die nachhaltige Mobilitätswende gelingen? "Die Verkehrswende", so Katja, "würde auch ohne Klimakatastrophe Sinn machen".
Und Katja weiß, dass nun mal 63 % dieser Emissionen von privaten PKWs kommen. Viele Prozente, die zeigen, dass unser auf Autos ausgerichtetes Land nicht nur ungerecht, sondern gleichzeitig extrem schlecht für das Klima und die Umwelt ist.
Wenn wir also eine nachhaltige Verkehrswende schaffen wollen, müssen wir Klima und Gerechtigkeit zusammendenken. Wir müssen endlich aufhören, einfach immer weiter und breiter Autobahnen zu bauen.
Wenn unser Verkehrsminister mindestens 30 Milliarden Euro für die Verbreiterung von Autobahnen ausgeben will, bedeutet das nicht nur per se einen riesigen CO2-Ausstoß beim Bau der Autobahnen selbst. Es führt auch noch dazu, dass der klimaschädliche Verkehr darauf einfach weiter zunimmt. Gerade dann, wenn viele Menschen aus finanziellen oder – gerade in ländlichen Regionen – schlichtweg praktischen Gründen überhaupt keine Wahl haben zwischen dem Auto oder einer Alternative wie Bus, Bahn oder Fahrrad.
Dass Deutschland als einziges Land in Europa ohne Tempolimit damit sogar eine einfache, obendrein kostenlose und nachweislich effektive Maßnahme nicht umsetzt, weil das Auto an sich und die vermeintliche Freiheit, die damit einhergeht, wichtiger ist – das sagt eigentlich alles: Denn das ist in keiner Argumentation der Welt gerecht, noch ist es nachhaltig.
Soziale Gerechtigkeit zuerst!
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Die 30 Milliarden Euro für die Verbreiterung der Autobahn zeigen gleichzeitig aber auch das Potenzial, das eigentlich im Verkehrssystem steckt. Dort steckt nämlich extrem viel Geld, das gerade fast ausschließlich ins Auto fließt.
Neben dem teuren und klimaschädlichen Straßenausbau gibt es ja zum Beispiel auch noch das Dienstwagenprivileg, das Dieselprivileg oder die Pendlerpauschale, die 2023 unglaubliche 23,5 Milliarden Steuergelder gekostet haben. Bereits damit ließen sich nicht nur einige Haushaltslöcher stopfen, sondern auch eine gerechtere und gleichzeitig nachhaltige Verkehrswende finanzieren.
"Es ist viel möglich, weil wir im System sehr viel Geld haben, das wir aktuell aber nur fürs Auto ausgeben", sagt Katja deswegen. Schau am besten selbst rein!
Wie konnte es so weit kommen – und wie kann es weitergehen?
Der Frage, wie man alle an einer nachhaltigen Verkehrswende teilhaben lassen kann, geht Katja Diehl mit Nachdruck nach. Gerade, weil sie immer wieder die Erfahrung macht, dass diese Frage abgewehrt wird, da doch angeblich alle schon beteiligt würden, schaut sie zurück, um zu zeigen:
Die Mobilität in unserer Gesellschaft war nicht immer so autozentriert. Erst, wenn wir erkennen, dass der Status Quo keine naturgegebene Sache ist, können sich viele von uns grundlegende Veränderungen überhaupt vorstellen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Menschen hier in Deutschland vor allem auf zwei Rädern unterwegs. Die Fahrradmobilität ist erst verschwunden, als der öffentliche Raum dem Auto übergeben wurde: "In den 60er Jahren wurde das System so gedreht, dass der öffentliche Raum eine Autoabstellfläche wurde", meint Katja.
Mobilität ist durch und durch politisch! Was wir heute entscheiden, wird unsere Realität in Zukunft prägen. Und Katja Diehl weiß, dass es sehr viele Menschen in Deutschland gibt, die sich eine andere Realität, eine andere Mobilität wünschen. Sie werden aber nicht gehört, weil sie keine große Lobby und viele Milliarden Euro haben, so wie die Autoindustrie.
Und hier sind wir wieder beim Gerechtigkeitsthema. Es scheitert meist nicht zuallererst am Willen der Bevölkerung. Menschen, die sich ein Elektroauto oder ein Lastenrad leisten können, sind natürlich in einer Komfortzone. Denn sie können nachhaltige Mobilitätsentscheidungen treffen und sich dabei auch noch gut fühlen, weil sie etwas fürs Klima tun.
Gleichzeitig setzen sie sich häufig zu wenig für diejenigen ein, die sich solche klimafreundlichen Entscheidungen nicht leisten können. Gerade Menschen in Armut fahren oft alte Autos, die besonders umweltschädlich sind – und dabei im Alltag auch noch besonders teuer. Für das Individuum – und für die Gesellschaft.
Katja Diehl macht also einen entscheidenden Punkt, wenn sie fragt, warum wir nicht gerade diese Menschen fördern – könnte man so doch gleichzeitig etwas für die soziale Gerechtigkeit und für das Klima tun?
Warum 1966 das sogenannte Bremer Laternenparker Urteil eine ganz besondere Rolle für unsere heutige Mobilität eingenommen hat und was wir jetzt für eine nachhaltige Mobilitätswende brauchen, erklärt dir Katja im Video!
Ohne Moos nix los – das gilt also auch in Sachen Verkehrswende. Denn klimafreundliche Mobilität muss man sich leisten können. Wenn wir Mobilität nicht für alle denken, ist sie weder gerecht, noch besonders nachhaltig. Denn eine gesellschaftliche Wende ist nur dann möglich, wenn sie sich auch die Ärmsten leisten können.
Wie geht’s dir mit dem Thema Mobilität? Fühlst du dich von der Politik gut abgeholt – oder eher im Regen stehen gelassen? Erzähl’s uns in den Kommentaren!
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