Wer gestaltet die Zukunft der Arbeit? Die Arbeitenden! Sagt die renommierte Forscherin Prof. Dr. Barbara Prainsack. Wie diese Workers' World aussehen wird – und warum es dringend ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle braucht – verrät Barbara Prainsack im Gespräch mit Florian Hoffmann.
Hallo Barbara, der Chef der Arbeitgeberverbände hat kürzlich gesagt: "Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit!" Was war deine erste Reaktion darauf?
Barbara Prainsack: Ich habe zunächst gedacht: Schon wieder so ein Boomer! Nicht, dass ich so jung wäre. Aber die Studien zeigen doch: Die Leute haben Bock auf Arbeit! Nur haben wir es als Gesellschaft geschafft, die Erwerbsarbeit für viele Menschen so unangenehm zu machen, dass sie sich mit dreißig schon auf die Rente freuen. Weil es diesen Bock auf sinnvolles Tätigsein ohnehin gibt, kann die Lösung des Problems nicht darin liegen, die Leute zu drangsalieren, zu bestrafen und sie darüber zu mehr Arbeit zu drängen. Die Lösung liegt darin, die Erwerbsarbeit so zu gestalten, dass die Menschen sie gerne machen.
Drückt sich der Wandel der Arbeitswelt in der Haltung der Menschen zu ihrer Arbeit aus?
Barbara Prainsack: Ja, und nicht nur bei den jungen Leuten. Die Gen Z wird immer wieder als Beispiel genannt. Dort ist dieser Wertewandel zwar am ausgeprägtesten, aber wir haben in unserer Studie gesehen – und sehen das auch in anderen Studien – dass er sich in allen Bevölkerungs- und Altersgruppen vollzieht.
Was sind gegenwärtig die größten Treiber dieser Veränderungen in der Arbeitswelt?
Barbara Prainsack: Es gibt drei Hauptursachen für den Wertewandel: Die erste ist die Tatsache, dass es jetzt einen generellen Arbeitskräftemangel gibt und nicht nur Fachkräftemangel. In fast allen Branchen besteht gerade das Problem, genügend Arbeitskräfte zu finden. Das hat mit demografischem Wandel zu tun – aber auch mit einer sehr hohen Teilzeitquote, die wiederum auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastung zurückgeht.
Zweitens: Je mehr jüngere Menschen in den Arbeitsmarkt kommen, desto relevanter werden Fragen zur Gestaltung des Lebens. Das sind Sinnfragen danach, wie die Menschen unterschiedliche Formen des Tätigseins organisieren.
Der dritte Grund ist der Lockdown. Aus unserer europaweiten Studie wissen wir, dass das bei vielen Menschen zum Sortieren ihrer Prioritäten geführt hat. Wenn man die Befunde quer über alle Gruppen zusammenfassen möchte, könnte man sagen: Das ist kein Abwenden von der Erwerbsarbeit, sondern ein Abwenden von krankmachender, schädlicher Erwerbsarbeit.
Wann haben Menschen Bock auf Arbeit – und wann nicht?
Barbara Prainsack: Die Erwerbsarbeit gibt Menschen Sinn und Einkommen, von dem sie gut leben können müssen. Im Idealfall macht Arbeit Freude. Gleichzeitig bedeutet Erwerbsarbeit für viele Menschen Stress. Oftmals sind die Arbeitsbedingungen leider unvereinbar mit anderen Formen des Tätigseins.
Über die Forscherin
Barbara Prainsack ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, zuvor lehrte sie am King’s College London. Sie ist international ausgewiesene Expertin für Gesundheits-, Wissenschafts- und Technologiepolitik, Vorsitzende der Ethik-Kommission der Europäischen Kommission. Ihr aktuelles Buch "Wofür wir arbeiten" ist im Brandstätter-Verlag erschienen.
Wie ist es in letzter Zeit dazu gekommen, dass das Thema Arbeit medial so präsent ist?
Barbara Prainsack: Vor der Pandemie hat dieses Thema den öffentlichen Diskurs nicht so stark dominiert, weil es für die Mächtigeren in unserer Gesellschaft kein Problem war. Es ist erst jetzt zu einem Problem geworden, wo der Arbeitskräftemangel auch für jene eines darstellt, die eine lautere Stimme im öffentlichen Diskurs haben.
Du schreibst in deinem Buch, die Resignation in der Erwerbsarbeit käme daher, dass sie das Versprechen eines guten Auskommens und finanzieller Stabilität oft nicht mehr erfüllt. Warum können einige Menschen trotz Vollzeitjob kaum mehr ihre Lebenshaltungskosten bewältigen?
Barbara Prainsack: Die Produktivitätsgewinne, die zum Teil durch den Einsatz von Technologie entstehen, wurden lange nicht an die Arbeitnehmer*innen weitergegeben. Außerdem hat sich die Arbeit verdichtet. In vielen Berufen erledigt man heute in einem Vollzeitjob deutlich mehr als noch vor fünf Jahren. Dennoch haben sich auch diese Produktivitätsgewinne der letzten Jahrzehnte nicht proportional auf die Löhne niedergeschlagen.
Durch den Anstieg der Lebenshaltungskosten wird das Problem akuter. Während es früher eher die unteren Einkommensgruppen betraf, trifft es jetzt – durch den Anstieg der Energiekosten, der Mieten, der Kreditzinsen – auch die Mittelschicht. Die ökonomische Situation und die subjektiv wahrgenommene Schwierigkeit, mit dem auszukommen, was man hat, tragen zudem zum Verlust von Vertrauen in die Regierenden bei.
Kann die Arbeitsmotivation durch gute bzw. verbesserte Arbeitsbedingungen neu geweckt werden?
Barbara Prainsack: Wenn man zeitweise so viel arbeitet, dass man fast umfällt, ist das einfach nicht nachhaltig. Es geht also nicht nur um die Motivation. Es geht heute häufig darum, ob die Leute überhaupt das normale Pensum schaffen. Deshalb wäre die Arbeitszeitverkürzung ein Instrument, um Arbeit nachhaltiger zu gestalten und letzten Endes mehr Menschen Vollzeitarbeit zu ermöglichen, die dann aber kürzer wäre als heute.
Arbeitnehmer*innen erleben es als positiv, wenn sie weniger Stunden arbeiten – wohlgemerkt, bei vollem Lohnausgleich. Sie sind nachhaltig erholter durch längere Wochenenden. Dazu gibt es mittlerweile einige wissenschaftliche Studien. Darin sehen wir auch, dass es häufig möglich ist, die Arbeitszeit zu reduzieren, ohne die Produktivität zu senken. Mittelfristig rechnet sich das deshalb, weil die Firmen weniger Kündigungen und weniger Ausfälle haben.
Was braucht es noch, damit die Arbeitswelt fit für die Zukunft wird?
Barbara Prainsack: Letzten Endes möchte kein Mensch ein Roboter sein. Gerade im höher bezahlten Bereich ist es oft schon ein Symbol für Vertrauen, wenn die Leute mehr Selbstbestimmung haben, wenn sie darüber mitentscheiden, wie sie ihre Arbeitszeit verbringen. Die arbeitenden Menschen in die Organisation der Arbeit einzubinden, das geht auch in einer Bäckerei, zwar nicht in derselben Weise wie in einem Architekturbüro oder auf einer Baustelle. Aber im Rahmen des Möglichen können überall die Selbstbestimmung und der Respekt gegenüber den arbeitenden Menschen gestärkt werden. Es geht dabei nicht immer nur um den Arbeitsort, es kann schon helfen zu überlegen, wie man Schichten und Termine organisiert. Hier können die arbeitenden Menschen Mitspracherechte bekommen.
Das heißt, jede und jeder schaut da, wo sie und er ist, was es braucht, um die Arbeitswelt zu demokratisieren?
Barbara Prainsack: Wir sprechen heute viel über Demokratie. Die meisten von uns finden Demokratie extrem wichtig – gleichzeitig akzeptieren viele Menschen, dass sie am Arbeitsplatz kaum demokratische Mitbestimmungsrechte haben. Also das ist etwas, was man ändern muss, je mehr sich die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in Richtung arbeitender Menschen verschieben.
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Du regst in deinem Buch an, den Arbeitsbegriff zu erweitern. Wäre das ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft neu zu definieren – als Grundlage für ihre Demokratisierung?
Barbara Prainsack: Zunächst wäre es wichtig, alle Formen der Arbeit anzuerkennen.Damit man auch unbezahlte Arbeit sieht. Wir befinden uns in einer absurden Situation. Nancy Fraser betont das immer wieder: Wir werten unbezahlte Arbeit immer weiter ab, obwohl sie die bezahlte Arbeit erst möglich macht. Alle Menschen müssen deshalb als arbeitende Menschen anerkannt werden, auch wenn sie unterschiedliche Formen der Arbeit leisten. Wenn ich frage, was gute Arbeit ist, dann bezieht sich das auf Arbeit im weiteren Sinne – aber auch auf die Frage, was gute Erwerbsarbeit ist. Denn bisher sind viele Menschen leider gezwungen, Erwerbsarbeit zu machen, die gesundheitsschädlich oder extrem gefährlich ist.
Ist nicht auch das Gefühl der Sinnlosigkeit der Arbeit demotivierend und letztlich gesundheitsschädlich?
Barbara Prainsack: Was allen Arbeitsbereichen gemeinsam ist: Sinnlosigkeit ist die Überholspur in den Burnout. Deshalb muss Arbeit so organisiert sein, dass sie nachhaltig getan werden kann.
Was bedeutet der Begriff der Workers' World, über den du in deinem Buch schreibst? Wie sieht diese Arbeitswelt der Zukunft aus?
Barbara Prainsack: Die Zeitschrift The Economist hat prognostiziert, dass die nächsten Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte eine sogenannte Workers' World werden. Aufgrund des Arbeitskräftemangels können die Arbeitnehmer*innen immer mehr mitbestimmen, wie sie arbeiten. Denn die Arbeitskräfte gehen dorthin, wo das Arbeitsklima gut ist, wo der Arbeitgeber die Mitarbeitenden korrekt behandelt, wo die Entlohnung als fair angesehen wird, wo die Arbeitsbedingungen so sind, dass die Menschen dort gerne arbeiten, wo es gute Kommunikation gibt, wo kein krankmachendes Arbeitsklima herrscht und wo die Arbeitszeit nachhaltig organisiert ist.
Im erweiterten Arbeitsbegriff bedeutet die Workers' World zudem, dass alle Menschen genug für ein würdevolles Leben haben und dass ihnen das ermöglicht, sich für gute Arbeit zu entscheiden. Arbeit wird so als sinnvoll für einen selbst und bereichernd für andere Menschen wahrgenommen. Aus ihr kann man Anerkennung schöpfen.
In deinem Buch geht es auch darum, dass in der Workers' World neue soziale Sicherungssysteme etabliert werden sollten. Wo siehst du Bedarf zur Anpassung?
Barbara Prainsack: Die Bismarcksche Idee, dass soziale Sicherung stark an Erwerbsarbeit geknüpft ist, ist für die heutige Welt – schon aufgrund der Veränderung der Erwerbsarbeit – nicht mehr zeitgemäß. In einer Workers' World benötigen wir einen neuen, stärkeren Sozialstaat samt bedingungsloser Absicherung der Grundbedürfnisse. Nicht als Alternative zur Erwerbsarbeit, sondern für einzelne Personen zur Absicherung zu verschiedenen Zeitpunkten im Leben der Menschen.
Menschen wechseln häufiger die Arbeit und die Art der Anstellung. Unterschiedliche Beschäftigungsphasen als Selbstständige, Angestellte oder Weiterbildungen gehen oftmals ineinander über. Einkommen und soziale Unterstützung kommen aber jeweils aus verschiedenen Töpfen. Wir wissen außerdem, dass ein großer Prozentsatz der Menschen Hilfeleistungen, auf die sie Anspruch haben, nicht in Anspruch nehmen, weil es zu kompliziert oder demütigend ist. Eine bedingungslose Absicherung wäre die Grundlage für gute Erwerbsarbeit.
Passt das Bedingungslose Grundeinkommen zu deiner Forderung nach bedingungsloser Absicherung?
Barbara Prainsack: Wir brauchen ein Grundeinkommen, weil alle Menschen genug für ein würdevolles Leben haben müssen und weil es ein besseres Fundament eines Sozialstaates wäre. Ein Grundeinkommen wäre in meinen Augen kein Abschied von der Erwerbsarbeit. Übrigens, das Argument, dass wir das Grundeinkommen benötigen, weil uns Maschinen die Arbeit wegnehmen, ist eine viel zu starke Verkürzung dessen, was das Grundeinkommen kann. Ich sehe aber großes Potenzial zur Automatisierung der Arbeit, in denen die Bedingungen genuin schlecht sind, aus der man keinen Sinn ziehen kann und die Menschen ohnehin nur aufgrund der Bezahlung annehmen.
Hätte ein Bedingungsloses Grundeinkommen auch Schwachstellen, die nicht aus dem Blick geraten sollten?
Barbara Prainsack: Heute braucht man die Arbeit von Frauen. Es können aber durchaus wieder Zeiten kommen, in denen bestimmte gesellschaftliche Gruppen Interesse daran haben, dass die Frauen zu Hause bleiben. Es gibt Menschen – und ich nehme das sehr ernst – die fürchten, dass ein Grundeinkommen zur Herdprämie für Frauen wird, die unbezahlte Arbeit erledigen. Strukturellem Sexismus müsste so oder so mit anderen Politikinstrumenten begegnet werden. Denkbar wären Jobgarantien für Eltern, die nach der Elternzeit wieder einsteigen wollen. Ebenso Jobgarantien für ältere Arbeitnehmer*innen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Situation vieler Menschen mit geringem Einkommen, unter denen überproportional viele Frauen sind, verbessern. Das betrifft nicht nur die Diskriminierung von Frauen, sondern greift überall dort, wo es Diskriminierung gibt.
Wer glaubt, dass niemand mehr arbeiten geht, wenn wir alle ein Bedingungsloses Grundeinkommen hätten, der hat nicht verstanden, was Menschen wirklich zum Arbeiten motiviert. In unserem Schwerpunkt "Warum wir arbeiten" zeigen wir, dass es dabei um viel mehr als Geld geht...